Zum 70-Jahr Jubiläum des SC Langnau

Aus den Rebellen wird eine der härtesten Mannschaften der Schweiz

Der SC Langnau (heute die SCL Tigers) wird 70! Doch die Geschichte um Langnaus Eishockey begann bereits früher. Hier der erste Teil der Geschichte bis zum ersten Aufstieg des SCL in die NLA im Frühjahr 1961.

Blog • • von Klaus Zaugg und Bruno Wüthrich

Die Gründungsmannschaft des SC Langnau (Bild: Alpenhorn-Kalender 2002)

 

Langnaus Hockeykultur ist einmalig in diesem Land. Meister aus Dörfern und kleinen Städten hat es zu allen Zeiten gegeben: Arosa, Davos, Villars, Kloten. Die Besonderheit ist nicht der Aufstieg eines Dorfvereins in meisterlichen Höhen. Die Besonderheit ist die Beharrlichkeit der Langnauer: Aufstieg, Niedergang, erneute Rückkehr und schliesslich ein Platz im nationalen Spitzenhockey des 21. Jahrhunderts. Kein anderer Meister ist so tief gefallen, zweimal bis in die 1. Liga, und hat dann die Rückkehr in die höchste Liga geschafft.

 

Auf dem Tennisplatz wird Eishockey gespielt. Bild: Alpenhorn-Kalender 2002

 

Langnau ist kein Winterkurort. Langnau ist auch keine reiche Industriestadt. Es waren also im Emmental weder die besonderen äusseren Bedingungen wie in Davos, Arosa oder anderen Wintersportstationen, noch waren es reichliche finanzielle Mittel, welche die Eishockeyentwicklung begünstigten. Der Grund dafür, warum sich Langnau im Hockeygeschäft seit mehr als einem halben Jahrhundert zu behaupten vermag, kann nicht in den äusseren Bedingungen liegen.

 

Die Erklärung liegt im besonderen Menschenschlag. Die Zeiten von Jeremias Gotthelfs sind zwar schon längst vorbei. So mancher Bauernbub hat den Pflug mit der Drehbank und dem Computer vertauscht und wo früher stolze Pferde vor einem Bernerwägeli dahintrabten, fahren heute auf geteerten Güterstrassen japanische Benzinkutschen. Aber die besondere Mentalität ist geblieben. Technische Entwicklung hin oder her.

 

Am 30. Januar 1949 spielt der SC Langnau in seiner letzten «wilden Saison» ein Freundschaftsspiel gegen den damaligen Erstligisten RotBlau Bern. Vor 1300 Zuschauern gewannen die Langnauer mit 10:4. Bild: Alpenhorn-Kalender 2002.

 

Langnau liegt zwar an der Eisenbahnlinie Bern – Luzern. Die besten Voraussetzungen also, um sich zum Industrieort zu entwickeln. Aber die millionenschweren Käsebarone wollten ihre billigen Arbeitskräfte nicht aus den Käsekellern in Fabriken abwandern sehen und auch nicht höhere Löhne zahlen. Sie verhinderten die Industrialisierung des oberen Emmentals über eine lange Zeit erfolgreich. Langnau hat darum heute weniger Industrie als vergleichbare Gegenden. Langnau ist ein Bauerndorf geblieben. Jeder kennt jeden und dominiert wird die Wirtschaft durch Wirtschaften und erfolgreiche kleinere Gewerbebetriebe. Langnau als Wirtschaftsstandort ist ebenso einmalig wie Langnaus als Eishockeyunternehmen. Industrialisierung und Tourismus haben die ganz besondere Mentalität kaum verwässert. Der Langnauer ist auch heute noch stolz, eigenwillig, ja dickschädlig. Noch lebt jene stolze, bisweilen sture Art, die durch die harte Arbeit an den steilen Hügeln geprägt worden ist, auch bei den Nachfahren fort, die nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sind und Anwälte, Lehrer, Ingenieure oder eben Hockeyprofi geworden sind.

 

Als die Langnauer mit dem Eishockeyspielen beginnen, entfalten sie in diesem Spiel all ihre Stärken: Sturheit, Härte, Kampfgeist, unbeugsamer Wille, Stolz. Wo steht die Wiege der Langnauer Hockeykultur? Wer mit dem Eishockey angefangen hat, weiss niemand mehr genau zu sagen. Bekannt ist aber, dass auf einem kleinen Weiher am linken Ufer der Ilfis die ersten Geh- bzw. Gleitversuche unternommen worden sind. Es hat also mit ziemlicher Sicherheit alles gegenüber dem heutigen Hockey-Tempel auf der anderen Seite des Flusses begonnen. Bereits 1934 wurde der Eislaufverein gegründet. Auf einer speziell dafür errichteten Holzpasserelle gelangten die Hockey-Urväter vom Dorf über die reissenden Wasser der Ilfis zum sogenannten «Barbeli-Weiher». Hier wurde «Eishockey» gespielt. Die Anführungszeichen sind wohl berechtigt. Spielten die Cracks von damals, so wird berichtet, nicht mit einem Puck. Sondern mit gefrorenen Rossbollen. Der «Barbeli-Weiher» verschwand nach einem Hochwasser, bei dem die Ilfis über die Ufer trat und den Weiher und die Holzpasserelle wegschwemmte. Doch die Eishockeybegeisterung blieb. 1943 erfolgte dann die Gründung des Hockeyclub Langnau. Noch vor dem SC Langnau gab es also einen HC Langnau. Von 1943 bis 1946 wurde auf dem Tennisplatz an der Alpenstrasse Eis gemacht.

 

Mit dieser Mannschaft stieg der SC Langnau bereits im Frühjahr 1952 in die Serie A (heute 1. Liga) auf. Bild: Alpenhorn-Kalender 2002.

 

Am 30. Januar 1946 hält der Eislaufverein seine jährliche Hauptversammlung ab. Anwesend sind auch 18 Mitglieder des HC Langnau, die sich um eine Mitgliedschaft bewerben. An diesem offenbar geplanten Zusammenschluss wurde auch gleich die Namensänderung beschlossen. Der fusionierte Verein heisst fortan SC Langnau. Das Datum dieser Hauptversammlung gilt heute als die Geburtsstunde der Langnauer Eishockeykultur, die jedoch tatsächlich bereits mehr als ein Jahrzehnt früher begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand, welche Entwicklung dieser Verein nehmen wird.

Interessant ist, in welche Zeit die Geburtsstunden von Langnaus Eishockey fielen: Es war nämlich eine äusserst schwierige. In den 1930er Jahren herrschten wirtschaftlich schwierige Zeiten, vor allem auch in der Landwirtschaft. Bereits damals wurden um die Preise für landwirtschaftliche Produkte heftige politische Kämpfe ausgefochten. Dann folgte der 2. Weltkrieg, der Europa in Schutt und Asche legte. Am 8. Mai 1945, also gerade mal knapp neun Monate vor der Gründung des SC Langnau kapitulierte die Deutsche Wehrmacht bedingungslos vor den alliierten Siegermächten. Nach den Atombombenabwürfen vom 6. August 1945 in Hiroshima und am 9. August 1945 auf Nagasaki kapitulierte am 15. August 1945 auch das Kaiserreich Japan. Erst damit wurden die letzten zwischenstaatlichen Feindseligkeiten des Zweiten Weltkrieges beendet. Am 20. November 1945 begannen die Nürnberger Prozesse, die bis 1949 dauern sollte, und in denen den Verbrechern des Naziregimes von Deutschland der Prozess gemacht wurde. Die Welt wird neu geordnet. Es wird aufgeräumt und aufgebaut.

 

Bereits ein Jahr nach dem Aufstieg in die Serie A wird die Mannschaft Gruppensieger. Zwar scheitert der SCL in den Aufstiegsspielen an Fribourg-Gottéron, doch weil die NLB erweitert wird, steigt die Mannschaft am grünen Tisch trotzdem auf. Damit sind die Langnauer vier Jahre nach der erstmaligen Teilnahme an einer Meisterschaft bereits in der zweithöchsten Spielklasse angelangt. Bild: Alpenhorn-Kalender 2002.

Aber genug abgeschweift und zurück zum SC Langnau: Es muss eine grössere Eisfläche her und darum zügeln die Eishockeyaner für eine Saison auf die Kniematte (1946/47). Kein idealer Standort. Gesucht wird ein Eisplatz, der weniger der Sonnenbestrahlung ausgesetzt ist. Und so zügelt der SCL im Laufe der Saison 1947/48 an die Winterseite, in die Nähe des heutigen Eisstadions auf den sogenannten Napro-Platz (die Liegenschaft gehörte der Napro AG) – es ist die einzige Saison der Geschichte ohne Eis und Spiele. Es gelingt in diesem milden Winter nicht, Natureis herzurichten. Die Eisbahn liegt unmittelbar hinter der Pelzzurichterei Hutmacher. Später, um den feindlichen Sonnenstrahlen ganz ausweichen zu können, wird die Eisbahn schliesslich ab der Saison 1949/50 (es ist die erste Saison, in der sich die Langnauer an der offiziellen Meisterschaft beteiligen) ganz an die Ilfis hinüber an den heutigen Standort verlegt.

 

Bereits bevor sich Langnau an der Meisterschaft beteiligt, ist die Begeisterung gross. Am 30. Januar 1949 – 1948/49 ist die letzte «wilde Saison» - spielt der SC Langnau vor 1300 Zuschauern gegen den damaligen Erstligisten Rot-Blau Bern-Bümpliz. In den Drittelspausen gibt die Eiskunstläuferin Gretl Veit eine Demonstration ihres grossen Könnens. Das Resultat ist nicht mehr bekannt. Aus dieser Saison gibt es eine Begebenheit der besonderen Art. Die Langnauer haben im «Umkleidehüttli» eine Lautsprecheranlage montiert um Teamaufstellung und Tore durchgeben zu können. In der Pause eines heftig umkämpften Freundschaftsspiels gegen Oberburg wird vergessen, das Mikrofon auszuschalten. Die zahlreichen Zuschauer – bzw. Zuhörer – können live miterleben, wie die Spieler einander die Meinung sagen und vor allem, wie sie über die Oberburger und die Schiedsrichter lästern. Hans Witter hält denn auch in seinem Jahresbericht der Saison 1948/49 fest: «Ich hoffe, dass solches für ewig verschwindet und dafür die Kameradschaft gedeiht und blüht.»

 

Ein weiterer Meilenstein: 1959 wurde die Kunsteisbahn in Langnau gebaut. Bild: Alpenhorn-Kalender 2002.

 

Der Wunsch des rührigen Präsidenten geht in Erfüllung. Der Verein und die Kameradschaft gedeihen und blühen. Drei Jahre nach der Vereinsgründung nimmt der SCL 1949/50 erstmals an der Meisterschaft teil. Die Langnauer werden in der Serie B (heute 2. Liga) in der Gruppe Zentralschweiz eingeteilt und erreichen den 2. Platz. Die dritte Saison (1951/52) bringt bereits den ersten Aufstieg. Der SCL steigt in die Serie A (heute 1. Liga) auf. Als Neuling in der Serie A werden die Langnauer auf Anhieb Gruppensieger, scheitern aber in den Aufstiegspartien zur NLB an Fribourg-Gottéron. Doch am 20. Juli 1953 wird an der ordentlichen Delegiertenversammlung in Zermatt die NLB auf 15 Vereine aufgestockt und Langnau steigt darum «am grünen Tisch» in die NLB auf – die Emmentaler profitieren also, wie 1986 der SCB, in ihrer Geschichte auch einmal von einem sportlich nicht erkämpften Aufstieg. Im Herbst 1953 gehören die Langnauer damit bereits zu den besten 23 Mannschaften der Schweiz. Vier Jahre nach der ersten Teilnahme an der Meisterschaft stehen die Langnauer also schon in der zweithöchsten Liga. Vorübergehend wird gar erwogen, aus finanziellen Gründen auf den Aufstieg in die NLB zu verzichten. Schliesslich machen es Spenden aus Langnau und den benachbarten Gemeinden möglich, die Natureisbahn so auszubauen, dass es für die NLB genügt. Ach, was wäre uns entgangen, wenn die Langnauer damals nicht den Mut gehabt hätten, das Abenteuer NLB zu wagen. Aber die Langnauer sind eben Rebellen. Die 1950er Jahre sind schliesslich die Jahre des Rock’n’Rolls. Die Jahre der ersten Auflehnung der Jungen gegen die Ordnung der Eltern. Mit der entsprechenden Musik im 4/4-Taikt dazu. Dem Rock’n’Roll. Der Protest zeigt sich nicht in eingeschlagenen Fensterscheiben. Sondern in sportlichen Heldentatgen, im verrückten Abenteuer, gegen den Rat der Alten das Abenteuer NLB zu wagen. Was Bill Haley und Elvis Presley in der internationalen Musik, das sind die Langnauer im helvetischen Eishockey. Rebellen, Rock’n’Roller im besten Sinne des Wortes.

 

 

Und hier die Mannschaft, die im Frühjahr 1961 in die NLA aufstieg. Der SC Langnau ist in der Klasse angekommen, welcher er die meiste Zeit seines ganzen bisherigen Bestehens angehören sollte. Bild: Alpenhorn-Kalender 2002.

 

In den 1950er Jahren entwickelt sich der SC Langnau zu einem NLB-Spitzenteam und spielt in der NLB eine ähnliche Rolle wie heute der SC Langenthal. Im Januar 1959 schliessen sich rund 50 Bürger von Langnau aus allen Berufen und Ständen zusammen, um dem SC Langnau zu einer Kunsteisbahn zu verhelfen. Am 7. März 1959 wird die Kunsteisbahngenossenschaft gegründet. Innerhalb von drei Monaten ist die Finanzierung gesichert – es ist eine ähnliche Solidarität, die etwas mehr als 50 Jahre später den Umbau des Ilfisstadions in eine der modernsten Hockeyarenen des Landes möglich machen wird. Am 5. Juni 1959 sind 50 000 Franken gesammelt. Am 13. Juli wird mit dem Bau begonnen und am 13. November wird die Kunsteisbahn in Betrieb genommen. Die Eröffnung folgt am Sonntag, den 15. November 1959 um 15.00 Uhr mit einem Spiel gegen den damaligen NLA-Verein Arosa. Langnau fegt die Bündner mit 10.4 vom Eis. Nun steht Langnaus Hockeykultur auf festem Grund.

 

Die Mannschaft, die schliesslich im Frühjahr 1961 den ersten Aufstieg in die Nationalliga A schafft, ist spielerisch ihrer Konkurrenz nicht überlegen. Aber die Langauer sind härter, williger, kräftiger, ausdauernder und daher besser. Ja, der SC Langnau hat den Ruf, eine der konditionsstärksten und härtesten Mannschaften der Schweiz zu sein.