Berner Zeitung, Marco Oppliger und Philipp Rindlisbacher

Bei den Dorfklubs herrscht Euphorie

Keine Liga ausserhalb der NHL zieht mehr Publikum an als die National League A. Doch der Unterschied zwischen den Vereinen ist relativ gross. So gross, dass die SCL Tigers im NLA-Zuschauerrank

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Geht es um die Zuschauer, ist der SC Bern «Top of Europe». In der Vorsaison waren die Berner zum zwölften Mal in Folge Europas populärster Eishockeyklub. Die 16'330 Zuschauer im Schnitt bedeuten für den SCB Rekord. Nicht nur in Bern befeuerten die Lockout-Gäste das Publikumsinteresse.

Umso erstaunlicher ist es, dass der aktuelle Schnitt (16'035) nur unwesentlich tiefer ist – Lockout exklusive, sportliche Baisse inklusive. «Wir verfügen mit 13'000 verkauften Abonnements über eine äusserst solide Basis», sagt Rolf Bachmann, «aber der Schnitt zeigt, dass das hohe Interesse bei einer sportlichen Schwächephase nicht sofort auf der Kippe steht.»

 

Der Chief Operating Officer betont die Wichtigkeit des Publikums, «das Projekt SCB baut auf diesen 16'000 Zuschauern auf». Entsprechend verleiht CEO Marc Lüthi vorab den Leuten auf der Stehrampe eine gewisse Macht, indem er betont, das Publikum habe ein gewisses Mitspracherecht. Ob die Zuschauer auch aus diesem Grund so zahlreich in die Postfinance-Arena pilgern? «Das wäre schön», sagt Bachmann, «denn dies wäre ein Zeichen, dass wir im Bestreben, den Leuten unsere Wertschätzung zu zeigen, auf dem richtigen Weg sind.»

 

Grosser Zuwachs in Ambri

Mit durchschnittlich 6620 Zuschauern pro Qualifikationspartie war die NLA in der letzten Saison europaweit die publikumsträchtigste Liga. Doch auch wenn die Lockout-Stars John Tavares, Patrick Kane und Co. nun wieder in Übersee für Spektakel sorgen, ist das Interesse am Schweizer Eishockey ungebrochen. Die ZSC Lions (+57), Kloten (+20) und Lugano (+180) verzeichnen nach der Hälfte der Qualifikation gar einen leichten Anstieg der Zuschauerzahlen.

 

Den grössten Sprung hat aber Ambri-Piotta gemacht. Die unerwartet starken Leistungen des eigentlichen Abstiegskandidaten zaubern dem Kassier in der Valascia ein Lächeln auf die Lippen. Zu den Heimspielen der Leventiner sind im Vergleich zur Vorsaison über 800 Fans mehr erschienen.

 

Ähnlich überraschend sieht die Situation bei den SCL Tigers aus. Wer nach dem Abstieg der Langnauer einen Zuschauerexodus erwartete, dürfte sich verwundert die Augen reiben. Die Emmentaler stehen hinter ihrem Verein, 5064 Zuschauer weilen im Mittel in der Ilfishalle. Nicht einmal in Lausanne (4485) war der Schnitt in der vergangenen Saison in der NLB-Qualifikation so hoch gewesen. Die Langnauer ziehen mehr Leute an als die NLA-Klubs Lugano, Biel, Davos und Rapperswil-Jona (siehe Kasten). Mit einer derartigen Solidarität habe er nicht gerechnet, sagt Tigers-Geschäftsführer Wolfgang Schickli, «budgetiert waren durchschnittlich 4100 Fans».

 

Die Davoser Auswärtskönige

Fragt man die «Kellerkinder» Davos und Biel nach den Gründen für den bescheidenen Zuschaueraufmarsch, so fallen die Antworten unterschiedlich aus. Bei Davos erweist sich die geografische Lage als Hypothek; abgesehen vom Spengler-Cup und den Playoffs ist die Vaillant-Arena selten voll. «Die Leute kommen nach Davos, aber es braucht gute Bedingungen, also Ferien oder Wochenendspiele», sagt HCD-Marketingleiter Marc Gianola.

 

Die Davoser haben aufgrund der Zahlen in der Vorsaison mit rund 4800 Zuschauern pro Heimspiel gerechnet und sind deshalb nicht zufrieden. Allerdings sind Gianola die Hände gebunden. «Sicher macht man sich Gedanken, was man ändern könnte. Aber es ist einfach so, dass die Leute für Wochentagspiele nicht ein, zwei Stunden hin- und zurückfahren.» Deshalb würde auch mit viel Werbeaufwand nur wenig erreicht. «Uns würde einzig helfen, wenn der Spielplan ganz auf uns abgestimmt würde, aber uns ist klar, dass die Liga nicht auf zwölf Vereine Rücksicht nehmen kann.»

 

Für die Bündner ist die Situation paradox, zählen sie doch zu den populärsten Eishockeyvereinen in der Schweiz und werden bei ihren Gastspielen von vielen Fans unterstützt. «In beinahe jedem Stadion hast du ein halbes Heimspiel, deshalb fühlte ich mich auswärts immer wohl», sagt der langjährige HCD-Verteidiger Gianola. Daheim aber spielen die Fans des Rekordmeisters selten eine solch dominante Rolle wie ihre Kontrahenten aus der Bundesstadt.

 

Langnau: Nähe zu den Fans

Im Emmental läuft nichts – also gehen alle Eishockey schauen. «Viele Leute denken so», sagt Wolfgang Schickli. Der Tigers-Geschäftsführer glaubt jedoch nicht, dass es in Langnau ein Selbstläufer ist, Fans anzulocken. «Erfolg ist die Voraussetzung dafür, erst recht in der NLB.»

 

Das Interesse am Langnauer Eishockeyverein ist nach dem Abstieg nicht zusammengebrochen, das Gros der Fans hat den SCL Tigers die Treue gehalten. Dies war zu erwarten, hatten die Emmentaler in den Neunzigerjahren doch selbst in der 1.Liga vor 4000 Zuschauern gespielt. Dass 3600 Dauerkarten verkauft werden konnten – nur 100 weniger als in der Vorsaison –, ist laut Schickli aber «schon überraschend».

 

Schickli weist darauf hin, dass sich nach dem Abstieg rund um Langnau eine «Jetzt-erst-recht-Mentalität» entwickelt habe. Jedem Fan, der ein Saisonabonnement bestellt hatte, schrieb er in Handschrift eine Dankeskarte. Die Vereinsverantwortlichen legen Wert auf den Austausch mit den Anhängern; einmal im Monat können Zuschauer den Spielern respektive den Trainern und der Klubführung im Rahmen einer Podiumsdiskussion Fragen stellen und Anregungen mitteilen.

 

Der Langnauer Trumpf ist das für NLB-Verhältnisse aussergewöhnlich moderne Stadion. «Bei uns muss niemand zehn Pullover überstreifen, wenn er einen Match schauen will», sagt Schickli. Dass die Preise gegenüber der letzten Spielzeit um rund 25 Prozent reduziert wurden, wirke sich gewiss auch auf die Zuschauerzahlen aus. Kaum Bedeutung habe hingegen die Tatsache, dass die Partien nicht mehr im Fernsehen übertragen werden.

 

Die Tigers-Heimspiele besuchen im Mittel 1000 Leute mehr als budgetiert; Wolfgang Schickli mag die daraus resultierenden Zusatzeinnahmen indes nicht überbewerten. Geld für teure Transfers stehe nicht zur Verfügung. Vielmehr wollen die Tigers in den Gastronomie- und Eventbereich investieren; seit Jahresfrist stehen mit den neuen Räumlichkeiten weitere Erwerbsquellen zur Verfügung, die es noch besser zu nutzen gilt. Dass die SCL Tigers in der NLB eine verhältnismässig attraktive Adresse geblieben sind, dürfte sich laut Schickli auf die Spielerrekrutierung auswirken.

 

Biel: Marodes Stadion

Die Seeländer müssen mit bescheidenen Zuschauerzahlen auskommen. Im neuen Stadion soll sich dies ändern. Der EHC Biel ist kein Publikumsmagnet. Zu den bisher 15 Heimspielen sind im Eisstadion im Durchschnitt 4571 Zuschauer erschienen. Nur Davos und die Rapperswil-Jona Lakers ziehen noch weniger Fans an. Im Vergleich zur Vorsaison (4909) ist der Aufmarsch damit markant kleiner, trotz einer Steigerung der Saisonabonnemente (3000).

 

Allerdings gelte es diesen Rückgang zu relativieren, sagt Biel-Manager Daniel Villard. «Denn letztes Jahr zogen unsere Lockout-Spieler Patrick Kane und Tyler Seguin den einen oder anderen zusätzlichen Zuschauer ins Stadion.» Hinzu kommt, dass die Bieler in den letzten beiden Saisons die Playoffs erreicht haben, nun ist dieses Ziel schon in die Ferne gerückt. «Das Bieler Publikum wurde zuletzt verwöhnt, es ist anspruchsvoll», sagt Villard.

 

Für ihn liegt das Hauptproblem allerdings anderswo – beim Stadion. Bis 2015 spielt der EHC Biel im maroden Eisstadion, das in den 1970er-Jahren gebaut worden ist. Entsprechend sind dem Klub die Hände gebunden. Nur die unattraktivsten Sitzplätze gelangen in den Verkauf, der Rest ist von Abonnementen besetzt. Besser sieht es auf der Stehrampe aus – allerdings nur, was die Kapazität anbelangt. Die Verpflegungsmöglichkeiten sind suboptimal und die sanitären Anlagen vorab für die Frauen eine Zumutung.

 

Die Erwartungen des EHC und des FC Biel an die neuen Stades de Bienne sind deshalb gross. «Wir werden im Gastronomiebereich, bei den VIP-Logen und natürlich auch bei den Sitzplätzen eine viel bessere Ausgangslage haben», sagt Villard. Die Klubverantwortlichen rüsten sich nun für diese Zeit. Jüngst hat die Stadt Biel als Besitzerin der neuen Stadien mit der Stars of Sports AG einen Pachtvertrag abgeschlossen.

 

Diese wird in den Stades de Bienne zwei Restaurants betreiben und für die Gastronomie während der Eishockeyspiele verantwortlich sein. Im Verwaltungsrat der Stars of Sports AG sitzen mehrere Vertreter des EHC Biel. Der Klub soll dank einer Umsatzbeteiligung finanziell profitieren. Klar ist auch, dass die Seeländer sportlich und bezüglich Publikumsaufmarsch in den neuen Stadien einen Schritt nach vorne machen wollen.