Berner Zeitung, Florian A. Lehmann

Damit der Bodycheck nicht ins Spital führt

Das Drama um den verunglückten Eishockeyaner Ronny Keller ist noch nicht vergessen. Eine italienische Firma hat nun eine Bande entwickelt, die das Verletzungsrisiko verringern soll.

Presse •

 

Der schwere Unfall von Oltens Ronny Keller nach einer Körpercharge von Langenthals Stefan Schnyder im vergangenen Frühjahr ist im Schweizer Eishockey immer noch präsent. Keller, der nach dem unglücklichen Zweikampf kopfvoran in die Bande gestürzt war, ist seither querschnittgelähmt. Schnyder wurde zwar in Folge von der Verbandsjustiz vom Vorwurf eines Fouls freigesprochen, der Fall ist aber juristisch noch nicht vom Tisch. Der EHC Olten zog den Fall an den Sportsgerichtshof (CAS) in Lausanne weiter, primär, um Keller in finanzieller und rechtlicher Hinsicht zu unterstützen.

 

Nach dem tragischen Vorfall im Kleinholzstadion von Olten wurden einmal mehr im ganzen Land Stimmen laut, technische Massnahmen einzuleiten, um die Unfallgefahr in dieser dynamischen Sportart einzudämmen. Besonders im Bereich der Bande soll eine höhere Sicherheit für die Aktiven entstehen, äusserten sich Spieler, Funktionäre, Journalisten, aber auch Mediziner.

 

Technischer Support der Uni Dresden

Das Unternehmen Engo GmbH befasste sich vier Jahren lang intensiv mit dem Projekt, eine flexiblere Bande herzustellen. Dabei entwickelte die Firma aus dem italienischen Pustertal mithilfe von Ingenieuren der Universität Dresden ein Produkt, das die Verletzungsgefahr im Eishockey durchaus minimieren könnte. Labortests ergaben, dass die weichere Bande bei Bodychecks längsseits um bis zu acht Zentimeter nach hinten federt. «Das ist acht- bis zehnmal mehr als bei den klassischen Banden», erklärt der Schweizer Generalvertreter Ernst Kaufmann von der Kaner-Tec AG gegenüber Bernerzeitung.ch/Newsnet.

 

Der Grund für die Biegsamkeit des neuen Bandensystems liegt in den Stützpfosten. Diese sind aus einem Verbundfaserstoff statt aus Stahl hergestellt. Der Kunststoff-Mix führt dazu, dass der Aufprall für die Spieler elastischer ist. Die Bande, deren Lebensdauer mit 15 bis 20 Jahren angegeben wird, bleibt nach einem Crash stabil.

 

Feuertaufe bei Turnier für Sotschi

Die SRF-Sendung «Einstein» hat das Produkt aus dem Südtirol in der Eishalle Bergholz von Wil SG getestet. Ingenieure der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur liessen ein mit Sensoren bestückter Dummie-Kopf mit Tempo 35 mehrmals gegen die Bande krachen, und zwar nicht längsseits, sondern im gebogenen Radius in der Ecke des Spielfelds. Das Ergebnis: Die neue Bande schnitt um ein Drittel besser ab als jede herkömmlich hergestellte Spielfeldumrandung. Was die Kosten betrifft, so ist die Neuentwicklung aus Italien gewiss kein Nachteil. Bachmann bezeichnet den Richtwert mit 200'000 Franken, was nicht mehr wäre als bei einer konventionellen Anlage.

 

Nach Wil hat sich Aarau entschieden, das neue Produkt einbauen zu lassen. Die Feuertaufe bestanden die neuen Banden beim Olympia-Qualifikationsturnier für Sotschi im Februar im deutschen Bietigheim-Bissingen. Das Echo der männlichen Profis war positiv, auch die Amateure vom Zweitligisten EC Wil sind mit der weicheren Abschrankung im Rink sehr zufrieden. In Arenen von Salzburg und Moskau werden ebenfalls weichere Banden installiert.

 

«Keine falsche Sicherheit suggerieren»

Die flexiblere Bande – ein Segen für das Eishockey? Gery Büsser, Sportmediziner und Teamarzt der ZSC Lions, findet es erfreulich, dass technische Bemühungen gemacht werden, um die Verletzungsgefahr im Eishockey zu reduzieren. «Aber wir dürfen uns nicht in einer falschen Sicherheit wiegen. Ein Eishockeyaner, der nicht auf einen Check gefasst ist, kann sich weiterhin eine schwere Hirnerschütterung zuziehen, auch bei diesem neuen Produkt.» Die Körperhaltung der involvierten Spieler beim Zweikampf sei entscheidend. «Und die Gefahr, dass die Spieler bei einer weicheren Bande noch mehr den Respekt vor dem Gegner verlieren und noch härter zur Sache gehen, ist zweifellos vorhanden.»

 

Mit anderen Worten: Flexiblere Banden seien noch nicht das Gelbe vom Ei. Vielmehr verweist der Arzt auf die Richtlinien der Verbands-Kampagne «Respect the game» hin, in denen auf das richtige Verhalten im Zweikampf auf dem Eis hingewiesen wird. Selbst Generalvertreter Bachmann sagt: «Eine Bande, die alle Probleme im Eishockey löst, existiert nicht.» Aber dank technischer Innovationen könne man versuchen, schwere Verletzungen zu verringern.

 

Allein diese Tatsache wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung. Auf die Entwicklung in Sachen weichere Eishockey-Banden darf man jedenfalls gespannt sein.