Berner Zeitung

«Der Druck auf die Heads darf nicht eskalieren»

Der ehemalige Spitzengoalie und TV-Experte Lars Weibel (37) äussert sich gegenüber Bernerzeitung.ch/Newsnet über das spannende Playoff, den Druck auf die Heads und das Niveau im Schweizer Eishockey.

Presse • • von Florian A Lehmann

 

Erstmals seit der Saison 1998 werden alle vier Playoffviertelfinals der NLA erst nach Spiel 7 entschieden sein. Mehr Spannung kann das Eishockey nicht bieten, oder?
Ich sehe das auch so. Aber nicht nur wegen der Konstellation: Die Partien insgesamt sind recht ausgeglichen. Es hat bisher noch kein 7:0 für eine Mannschaft gegeben. Wenn alle Teams mit neutralen Leibchen spielen würden, würde man kaum sehen, wer an welcher Stelle klassiert war nach der Qualifikationsrunde. Das spricht für die Qualität der Liga.

 

Was halten Sie niveaumässig vom Playoff 2013?
Ich betrachte das Niveau als gut und beachtlich. Ich finde das Schweizer Eishockey hat sich gemacht. Nach dem Lockout-Ende gab es in der Meisterschaft keinen Einbruch, viele Clubs haben einfach weitergemacht. Nehmen wir als positives Beispiel den EV Zug. Das Schweizer Eishockey kann neue Situationen gut adaptieren. Zu Beginn der Viertelfinals fand ich, dass in gewissen Matches relativ verhalten gespielt wurde, aber mehr, was den Stellenwert der Wichtigkeit betraf. Vielleicht glaubten einige Spieler, es ginge zum Start der Serie noch nicht ganz um alles. Aber mittlerweile hat die Intensität enorm angezogen. Und das Niveau wird in den Halbfinals und später im Final noch besser sein.

 

Sie haben als Experte im SRF auch einmal gesagt, dass man ruhig die Ausländeranzahl von 4 auf 3 runterschrauben könnte. Warum glauben Sie das?
Ich bin überzeugt, dass die NLA-Teams auch mit drei Ausländern auskommen würden. Es hat mittlerweile so viele gute junge Spieler. Und zwar nicht nur in zwei oder drei Vereinen, sondern in der ganzen Liga. Vielleicht würde das Niveau kurzfristig etwas einbüssen, auf lange Sicht aber würde diese Massnahme Früchte tragen.

 

Damals haben die besten Ausländer die Liga stark geprägt. Heute hat es in jedem Team Schweizer, die zu den drei Top-Spielern gehören. Für mich ist das ganz klar ein Indiz dafür, dass unser Eishockey sich auf gutem Niveau bewegt, dass Fortschritte in der Ausbildung der Junioren gemacht wurden. Im Hinblick auf die Belange der Schweizer Nationalmannschaft müsste man einen solchen Schritt wagen – um Nachhaltigkeit zu generieren, um das nationale Eishockey zu stärken.

 

Die Heads stehen in diesem Jahr im Playoff besonders im Brennpunkt. Finden Sie, dass sie schlecht pfeifen?
Nein, überhaupt nicht. Wenn ich jetzt den gestrigen Viertelfinal zwischen Servette und dem SCB als Beispiel nehme, so haben die Schiedsrichter die Overtime NHL-mässig geleitet, also viel laufen gelassen. Gerade diese Spielleitung macht das Eishockey so attraktiv. Ich kann aber als Beobachter nachvollziehen, dass gewisse Coaches den Eindruck haben, es werde inkonsequent und schlecht gepfiffen, weil eben drei oder vier Spieler des gleichen Teams nacheinander von den Heads auf die Strafbank geschickt werden. Aber das liegt in der Natur der Sache: Das Momentum in einem Eishockey-Spiel verhält sich eben auch wellenförmig.

 

Vor ein paar Jahren monierten die Headcoaches, dass am Ende der Playoffserien die Strafen immer ausgeglichen gewesen seien. Das sei doch ein Witz, es werde zu oft kompensiert, lautete die Kritik der Trainer. Heute versuchen die Schiedsrichter, den Faktor der Kompensation auszuschliessen. Aber das ist den Coaches nun auch wieder nicht recht. Man muss sich einfach bewusst sein, dass die Aufgabe der Schiedsrichter eine undankbare ist. Ich unterstütze Heads, die im Playoff etwas mehr laufen lassen, statt kleinlich zu pfeifen. Allerdings muss die Sicherheit der Spieler gewährleistet sein.

 

Der Druck der Trainer während der Spiele auf die Heads hat zugenommen. Ist das nicht eine Unsitte?
Ich erkenne diese Tendenz auch. Aber das steht auch im Zusammenhang mit dem erhöhten wirtschaftlichen und sportlichen Druck, den auch die Coaches spüren. Man darf nicht vergessen: Es geht im Playoff um enorm viel. Die armen Schiedsrichter bekommen dann ihr Fett weg, wenn eine Mannschaft verloren hat oder ausgeschieden ist. Es ist deshalb enorm wichtig, dass die Schiedsrichter geschützt werden, dass dieser Druck auf die Heads nicht eskaliert. Denn nicht nur die Trainer oder die Profis spüren diesen Druck, sondern auch die Schiedsrichter.

 

Aufgrund der jüngsten Vorfälle auf dem Eis häuft sich die Diskussion um die Härte im Schweizer Eishockey. Finden Sie, dass in diesem Playoff zu aggressiv oder sogar zu brutal gespielt wird?
Tendenziell habe ich das Gefühl, dass in diesem Playoff härter gespielt wird als in den letzten Jahren. Aber das hat nicht nur mit Aspekten wie physischem Spiel und Kampfgeist zu tun, sondern hat auch einen Zusammenhang mit dem Tempo und dem Material. Das Tempo wird immer höher, die Schüsse, aber auch die Checks werden immer härter, das Material verändert sich und wird stabiler. Wenn jemand ein Video vergleicht von heute und vor zehn Jahren, dann erschrickt der Zuschauer und muss erkennen: Das Eishockey ist so viel dynamischer geworden – aber auch gefährlicher für die Spieler.

 

Wie beurteilen Sie als ehemaliger Spitzengoalie die Leistungen der Torhüter in den Viertelfinals?
Die Leistungen sind eigentlich sehr gut. Leonardo Genoni hält ganz stark und hat im Playoff noch einmal einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Der Goalie hat grossen Anteil daran, dass die Serie gegen den ZSC über sieben Spiele geht. Auch Lukas Flüeler von den Lions spielt auf einem sehr hohen Niveau. Auch die jüngeren Torhüter machen einen guten Job: Zugs Sandro Zurkirchen beispielsweise, der in einer nicht so einfachen Situation mit dem Druck gut umgegangen ist. Luganos Michael Flückiger ist für mich so etwas wie die Entdeckung dieser Playoffs. Im Prinzip ist keiner negativ aufgefallen. Natürlich gab es den einen oder anderen kuriosen Gegentreffer. Aber dann haben sich die Torhüter wieder gefangen und es weggesteckt. Die Schweizer Goalies befinden sich für mich weiterhin auf einem sehr hohen Niveau.

 

Wagen Sie eine Prognose, welche Clubs es in die Halbfinals schaffen?
Ich bin kein Gambler. Aber so viel Know-how gibt es gar nicht, dass jemand das richtig voraussagen könnte. Jetzt heisst das Motto «best of now». Und was das Momentum betrifft, so kann man sich wieder darüber streiten, ob ein Heimspiel ein Vorteil oder ein Nachteil ist. Es gibt im siebten Spiel einer Playoffbegegnung 100 Einflüsse. Jetzt kann man nur würfeln oder raten.

 

Es ist eine Ausgangslage, die beweist, wie spannend und wunderbar das Playoff ist. Und es geht ja nicht nur ums Weiterkommen oder den Ferienbeginn. Jene Teams, die den Halbfinaleinzug schaffen, erhalten einen derartigen Motivationsschub, dass sie es bis zum Ziel – sprich Meistertitel – schaffen können. Der ZSC war vor einem Jahr ein Beispiel für diesen Höhenflug und Steigerungslauf während der Playoffzeit.