Die Kunst des Verteidigens auffrischen

Wer wie die SCL Tigers 4,11 Gegentore pro Spiel kassiert, darf sich über den letzten Tabellenplatz nicht wundern. Deshalb will der neue Headcoach Alex Reinhard mit der Mannschaft die Kunst des Verteidigens auffrischen.

Presse • • von Wochen-Zeitung, Werner Haller

Wochen-Zeitung. Alex Reinhard, Sie haben ein Team mit mehr Schwächen als Stärken übernommen. Ist Ihnen schon klar, welche Massnahmen Sie treffen wollen?
Alex Reinhard. Ja. Höchste Priorität hat die sofortige Verbesserung unseres gesamten Defensivverhaltens. Das ist unser Trainingsschwerpunkt bis zum ersten Spiel nach dem Meisterschaftsunterbruch am nächsten Dienstag zuhause gegen Ambri und danach selbstverständlich auch noch. Ich muss mit der Mannschaft vorerst einmal die Kunst des Verteidigens auffrischen.

 



Sie gehen also zurück zur Basis für den Gewinn von Punkten und Spielen?
Richtig. Wir müssen wieder so weit kommen, dass jeder einzelne Spieler unser Spielsystem versteht und sich bei jedem Einsatz auch mit hundertprozentiger Disziplin und Konzentration daran hält. Jeder muss sich auch bewusst werden, welche Rolle er innerhalb der Mannschaft zu erfüllen hat. Er muss sie akzeptieren und bereit sein, sie für den Erfolg des Teams umzusetzen.


Es gibt aber vereinzelte Spieler, die ihre Rolle mit einer bemerkenswerten Zuverlässigkeit spielen.
Aber es sind zu wenige, um mit einer soliden, ausgeglichenen Mannschaftsleistung den Gegnern über 60 Minuten hinweg konstant erfolgreichen Widerstand leisten zu können.



Mit einem Tordurchschnitt von rund 2,00 kommt man aber auch nirgends hin.
Das ist ein weiteres Problem. Wir müssen uns auch intensiv mit dem ungenügenden Abschlussvermögen beschäftigen. Wir benötigen eindeutig zu viele Chancen, um ein Tor zu erzielen.



Das Selbstvertrauen der Mannschaft ist nach elf Niederlagen in den letzten zwölf Spielen praktisch auf den Nullpunkt gesunken. Wie kann man es wieder stärken?
Mit ganz kleinen Schritten und Erfolgserlebnissen. Beispielsweise wieder einmal die ersten Minuten eines Spieles zu überstehen, ohne gleich vorentscheidend oder sogar entscheidend in Rückstand zu geraten. Oder dass es gelingt, einen Vorsatz wie ein 0:0-Zwischenstand nach dem ersten Drittel erfolgreich umzusetzen.
Allerdings nicht nur ein- oder zweimal, sondern einige Male hintereinander. Nur Erfolgserlebnisse mit einer gewissen Konstanz führen eine Mannschaft allmählich zur Überzeugung «Ja, wir können das.»



Im Dezember 2010, als John Fust Vater wurde, waren Sie in zwei Spielen gegen Lugano schon einmal Headcoach der Langnauer. Nach einem 0:5 im Tessin und einem 0:2-Rückstand im Heimspiel gelang dem Team im Schlussdrittel noch die Wende zum 4:2-Erfolg.
Das ist so ein Schlüsselerlebnis, welches ein Team mit einem Schlag verwandeln kann. Wenn man, wie wir damals, von weit unten wieder hochkommt und einen Weg findet, um trotz Rückstand noch zu gewinnen – das gibt unglaublich viel Energie.



Die SCL Tigers lagen in dieser Saison in 17 von 28 Spielen nach zwei Dritteln im Rückstand und gingen auch 17mal als Verlierer vom Eis.
Man kann sich leicht vorstellen, dass uns so ein Umschwung wie vor zwei Jahren gegen Lugano ganz bestimmt nicht schaden würde. Es wäre interessant zu sehen wie die jetzige Mannschaft darauf reagieren würde.



Über den Auftrag, den Sie als Headcoach der zweiten Saisonhälfte zu erledigen haben, muss man sich nicht gross den Kopf zerbrechen.
Nein, das Ziel ist klar. Ich muss zusammen mit der Unterstützung meines Assistenten Konstantin Kuraschew und Sportchef Köbi Kölliker den Verbleib in der NLA schaffen.



Ähnliche Probleme mit anderen Lösungen
In der schwedischen Elitserien befindet sich Martin Gerbers Klub Rögle in einer ähnlich kritischen Situation wie die SCL Tigers. Der Aufsteiger liegt nach 31 von 55 Runden auf dem letzten Tabellenplatz. Die Differenz zum achten und letzten Playoffrang beträgt 22 Punkte und der Rückstand auf die Ränge 10 und 9, die den automatischen Ligaerhalt bedeuten, auch bereits 10 beziehungsweise 18 Punkte. Aller Voraussicht nach werden Martin Gerber und sein Team im Frühling in einer Auf-/Abstiegsrunde gegen die vier Erstklassierten der zweiten Division um den Verbleib in der Elitserien kämpfen müssen.

 



Wie John Fust bei den SCL Tigers geriet auch der Headcoach von Rögle, der 33-jährige Norweger Dan Tangnes, in die Kritik. Er hätte problemlos durch den prominentesten Rögle-Spieler aller Zeiten ersetzt werden können. Durch Kenny Jönsson, seinem Assistenten. Der 38-jährige ehemalige Weltklasseverteidiger wurde mit Schweden 1994 und 2006 zweimal Olympiasieger, 2006 unter dem früheren SCL Tigers-Headcoach Bengt-Ake Gustafsson auch noch Weltmeister und er bestritt 705 Spiele in der NHL. Aber die Klubführung mit dem ehemaligen Elitserienspieler Pelle Svensson entschied anders. Sie hielt an den Trainern fest und setzte dafür ein deutliches und mutiges Zeichen bei den Spielern. Der 37-jährige slowakische Weltmeister Martin Strbak (kein Tor, ein Assist in 23 Spielen) und der drei Jahre jüngere Amerikaner Tom Preissing (5 Tore/7 Assists/minus 8 in 29 Spielen), der letzte Saison noch für Biel verteidigte, wurden wegen ungenügenden Leistungen vorzeitig aus den laufenden und lukrativen Verträgen entlassen. Die beiden launischen Schönwetterspieler wurden durch den erst 17-jährigen Anton Cederholm ersetzt. Schlechter liefs der Mannschaft ohne die beiden Eishockey-Divas jedenfalls nicht. Nach sieben Niederlagen in den letzten acht Spielen kämpfte sich Rögle gegen den Tabellenzweiten HV71 (2:3 n.P.) und Meister Brynäs (4:5 n.V.) in eine Verlängerung und ein Penaltyschiessen und wurde für die Willensleistung mit je einem Punkt belohnt.



Popovic wird weiterhin fehlen
Die SCL Tigers werden auch nach der Nationalmannschaftspause schwerwiegende Aufstellungsprobleme haben. Zuletzt traten sie nur mit zwei Ausländern an und von den neun Verletzten oder Erkrankten des letzten Spieles in Lugano wird nur Etienne Froidevaux ins Team zurückkehren. Der kanadische Verteidiger Mark Popovic leidet weiterhin an den Folgen einer Hirnerschütterung. Claudio Neff und Arnaud Montandon absolvieren in diesen Tagen Probetrainings. Der krank gewesene Martin Stettler wird bis voraussichtlich Mitte Januar mit La Chaux-de-Fonds einige Aufbauspiele bestreiten. Dafür leiht der NLB-Klub den 22-jährigen Verteidiger Sami El Assaoui aus. Für die nächsten zwei Saisons bis 2015 wurde von Kloten der 21-jährige Verteidiger Nicholas Steiner verpflichtet.