20 Minuten online

Die Schiedsrichter als Freiwild

von Klaus Zaugg, 20 Minuten online - Es ist Mode geworden, die Schiedsrichter öffentlich zu kritisieren. Das muss sofort aufhören. Eine Polemik.

Presse • • von Klaus Zaugg


Claude Jaggi ist ein exzellenter TV-Kommentator. Ruhig, sachlich, keine künstlichen Emotionen und mit einer sehr hohen Fachkompetenz. Deshalb ist es besonders bemerkenswert, dass ausgerechnet ihm die Pferde durchgebrannt sind. Weil die beiden Headschiedsrichter Stefan Eichmann und Daniel Stricker in der Schlussphase der Verlängerung der Partie Servette gegen den SC Bern alles laufen lassen, ruft er aus, «dann sollen doch beide gleich in der Kabine verschwinden». Er merkt sofort, dass er zu weit gegangen ist und fügt an, die beiden Schiedsrichter hätten die Partie bis dahin hervorragend geleitet.

 

Dieses Beispiel steht für eine Unsitte, die unserer hoch entwickelten Hockeykultur unwürdig ist: Schiedsrichterkritik in den Zeiten der Playoffs. Wer sich einmal die Mühe nimmt, nach Nordamerika zu reisen und die hochgelobte NHL vor Ort und ganz nüchtern zu beobachten, reibt sich nämlich die Augen: Unsere Schiedsrichter sind besser als jene in der NHL. Aber in Nordamerika ist öffentliche Schiedsrichterkritik tabu. Das gehört zu einer starken Hockeykultur. Und ist für das Funktionieren eines Spielbetriebes und für das Ansehen eines Sportes wichtig.

 

Beeinflussen der Schiedsrichter in der NLA normal

Bei uns laufen die Coaches, die Sportchefs oder die Assistenten nach einem Spiel mit hocherhobenem Haupt und offenem Laptopp nach dem Spiel in die Schiedsrichterkabine, um den Refs die Fehler vom Spiel gleich unter die Nase zu reiben. In der NHL kommt ein Coach nicht einmal auf 50 Meter an eine Schiedsrichtergarderobe heran. Schlimmer: Die Coaches haben es sich bei uns längst angewöhnt, in kritischen Phasen (wie eben den Playorffs) die Schiedsrichterbeeinflussung in ihre Strategie einzubinden. Der TV-Zuschauer sieht die abschätzigen Gesten der Coaches gegen die Unparteiischen, hört aber zum Glück nicht, was sich die Schiedsrichter noch alles anhören müssen. Und geschickt heizen die Bandengeneräle die Stimmung mit öffentlicher Schiri-Kritik an. So geraten sie aus dem Schussfeld. Willfährige Medien transportieren und befeuern diese Kritik.

 

Natürlich ist Kritik an der Spielleitung populär – und sachlich durchaus berechtigt. Schiedsrichter machen Fehler. Gerade in Zeiten der Playoffs. Wie die Spieler auch. Wenn sich allerdings alle Manager und Sportchefs bei den Lohnverhandlungen so gut an die Fehler ihrer Stars erinnern würden wie an die Fehlentscheide der Schiedsrichter, dann könnten wir die Saläre halbieren. Und Manager, die Jahr für Jahr nur die Defizite ihres Klubs verwalten, sollten generell bei der Kritik des Schiedsrichterwesens etwas zurückhaltender sein.



Der Schweizer neigt zu Verschwörungstheorien

In der Schweiz kommt noch eine Besonderheit dazu: Unser starker Föderalismus führt immer wieder zu amüsanten Verschwörungstheorien. Mal wird von einer Mafia der Deutschschweizer fabuliert, dann wieder ist ein Schiri aus Gründen seiner Herkunft, seines Wohnortes, seiner Freundin oder seiner kantonalethnischen Zugehörigkeit natürlich für oder gegen diesen Klub. Das wisse man ja. Und das ständige Jammern über das Fehlen einer klaren Linie ist global. Wer einmal nach Schweden oder Finnland oder eben nach Nordamerika reist, hört die exakt genau gleichen Kritiken wie hier. Weil Spiele einer Sportart zu leiten, die eine Einschüchterung durch Körperangriffe erlaubt, eben extrem schwierig ist. Erst recht, wenn alle an die Limiten gehen.

 

Wenn denn ein Schiedsrichter doch eine klare Linie durchzieht (wie ständig gefordert wird), geht das Gejammer los, in den Playoffs müsse man doch mehr Fingerspitzengefühl haben und laufen lassen. Und wenn Schiedsrichter genau dieses Fingerspitzengefühl haben und in den letzten Minuten einer Verlängerung etwas mehr durchgehen lassen, so wie Daniel Stricker und Stefan Eichmann bei der Partie Servette gegen den SC Bern, dann fordert der TV-Kommentator, sie sollten in der Kabine verschwinden.

 

Liga ist gefragt

Das sind schlichtweg unhaltbare Zustände, sogar einer Operettenliga nicht würdig. Sie schaden unserem Hockey und führen zu einer Verunsicherung der Spielleiter. Hier ist endlich einmal energisches Eingreifen der Liga notwendig. Ligageneral und Leistungssportchef Ueli Schwarz, der Zauderer und Zögerer, ist gefordert. Die Liga hat sehr wohl Möglichkeiten, Mittel und Wege, für eine Verbesserung zu sorgen. Erstens durch klare Schutzvorschriften im Stadion (es kann einfach nicht sein, dass Coaches und Fuktionäre Zutritt zur Schiedsrichterkabine haben), durch harte Strafen gegen jede Form der öffentlichen Schiedsrichterkritik und durch konsequentes Bestrafen der Schiedsrichterbeleidigungen durch die Coaches während eines Spiels.

 

Kritik gehört nicht in die Öffentlichkeit. Sie gehört in die Sitzungszimmer, und dort dürfen, ja müssen die Auseinandersetzungen mit Schiedsrichterchef Reto Bertolotti hart sein. Aber wenn zu Sitzungen und Tagungen geladen wird, um über diese Probleme konstruktiv zu debattieren und nach Lösungen zu suchen, dann haben die grossen Manager und Coaches kaum Zeit. Es ist ja bequemer und populärer, in den Medien über die ach so unfähigen Schiedsrichter zu poltern.

 

Es ist an der Zeit, dass aus dem «Freiwild Schiedsrichter» wieder eine geschützte Art wird. Ende der Polemik.