Neue Zürcher Zeitung, Samuel Burgener

Draussen vor der Tür

Die SCL Tigers starten in die NLB-Saison. Sie wollen aufsteigen. Sie müssen.

Presse •

 

Wenn es vor dem Wochenende Langnauer gegeben hat, die nicht gewusst haben, wo genau ihr Eishockeyklub gelandet ist, dann wissen diese Langnauer jetzt Bescheid. Am Freitagabend zum Start ein Auswärtsspiel in Pruntrut, eine Fahrt auf der A 16 in den Norden der Ajoie, fast in ein anderes Land. Ein Spiel in der Patinoire Voyeboeuf, die beinahe auseinanderfällt, 2043 Zuschauer, wenigstens ein Sieg, 5:0. Am Samstagabend das erste Heimspiel in Langnau, der Gegner ist der HC Thurgau. Ja, den gibt es im professionellen Eishockey. Die Ilfishalle ist fast voll, 5160 Leute sind gekommen. Sie hadern, hoffen, jubeln. So, wie sie das immer gemacht haben. Die Fans ver­kaufen ein T-Shirt mit dem Spruch «Liebi kennt ke Liga», Langnau gewinnt 4:1.

 

Im Frühjahr verloren die SCL Tigers die ­Ligaqualifikation gegen den Lausanne HC und stiegen ab. Jetzt spielen sie in der Nationalliga B. In einer Ausbildungs- und Nischenliga, die Peripherien wie das Wallis, das Mittelland und den Jura mit Eishockey bedient, aber sonst kein Aufsehen erregt. Die SCL Tigers sehen sich seit je als Ausbildungsklub, und das Emmental ist weiss Gott eine Randregion. Aber zur B-Liga gehören? Das passt nicht zum Selbstverständnis der Langnauer, die für sich in Anspruch nehmen, seit dem Aufstieg in die Nationalliga A vor 15 Jahren gegen die Besten im Land zu spielen. Und sei es nur, um zu ­verlieren, wie sie es oft taten, aber meistens ehrenvoll. Die Langnauer sehen ihren Klub als Teil der Schweizer Eishockey-Kultur. Als Wirtschaftsfaktor und Begegnungszentrum im Emmental. Als eine Institution.

 

Diese Institution gehört jetzt «nicht mehr dazu», wie Peter Jakob sagt. «Wir kommen nicht mehr im ‹Sportpanorama›. Wir sind draussen vor der Tür.»

 

Am Mittwoch sitzt Peter Jakob an einem Tisch im Bistro der renovierten Ilfishalle. Das Menu mit Suppe und Kaffee kostet 16 Franken 50, das Personal kennt die Kunden. Jakob, Inhaber einer Drahtseilfirma in Trubschachen, ist seit viereinhalb Jahren Präsident der SCL Tigers. Er hat den Klub von mehr als 3 Millionen Franken Schulden befreit und die Renovation der Ilfishalle vorangetrieben. 33 Millionen Franken hat sie gekostet, Jakob hat die Hälfte bezahlt. Jakob, der ein einfaches Hemd mit Streifenmuster trägt und ein Beizer oder Landwirt sein könnte anstatt Millionär.

 

Jakob und die Klubführung haben Fehler gemacht in der vergangenen Saison. Das gibt Jakob zu. Aber die Fehler erklären will er nicht. «Vorbei, fertig. Wir schauen nach vorne.» Im Dezember entliess Jakob den Trainer John Fust, im Februar den Geschäftsführer Ruedi Zesiger, im April, kurz vor dem Abstieg, den neuen Trainer Alex Reinhard. Er verpflichtete Jakob Kölliker als Sportchef, machte ihn kurzzeitig zum Trainer und entliess ihn im Sommer, obschon er versichert hatte, mit ihm weiterzuarbeiten. Es war ziemlich etwas los im beschaulichen Langnau.

 

Depression im Emmental

Der Abstieg der Tigers tat den Langnauern «schampar» weh. Der Gemeindepräsident Bernhard Antener, ein SP-Mann, der für die Abschaffung der Wehrpflicht eintritt, spricht von einer Depression im Emmental. Vor zwei Jahren hatten die SCL Tigers erstmals die Play-offs erreicht. Und sie hatten gedacht, dass nun alles besser wird. Aber seither wurde alles schlechter. Peter Jakob höchstpersönlich musste die Menschen «schütteln und aufmuntern». Zwei Wochen nach dem Abstieg trafen sich 300 Fans und die Klubführung zur Aussprache im grossen Tigersaal im neuen Stadion. Irgendwann sagte Jakob: «So, jetzt ist fertig mit der Trauer. Wir müssen uns zusammenraufen.» Die Fans, die gesagt hatten, sie würden nie mehr an den Match kommen, sagten dann, sie würden wieder kommen, klar, was denn sonst. Und ein paar Bauern verlangten, der Klub solle weiterhin um 19 Uhr 45 spielen und nicht wie in der NLB üblich um 18 Uhr. Weil sie sonst nicht mehr an die Spiele kommen könnten wegen der Arbeit im Stall.

 

Die SCL Tigers verlieren mit dem Abstieg massiv an nationaler Ausstrahlung. Ihre Marke hat an Wert verloren. Aber sie haben es ­geschafft, ihren Sponsoren die Umstände zu erklären. Kein Partner ist wegen des Abstiegs abgesprungen. Die Langnauer spielen nicht mehr gegen den SC Bern, Zürich und Davos. Aber die Fans halten das aus. Sie sind kein Event-Publikum, das Eintritt bezahlt, um glücklich nach Hause zu gehen. 3300 Saisonkarten hat der Klub verkauft. Im vergangenen Jahr, als die renovierte Ilfishalle eröffnet wurde, waren es nur 400 mehr.

 

Das Stadion, mit dem sich durch Catering und Eintritte gutes Geld verdienen lässt, die treuen, lauten Fans, das Vertrauen der regionalen Wirtschaft, die professionellen Strukturen, die starke Nachwuchsabteilung: Vielleicht kann kein Klub einen Abstieg in die NLB besser verkraften als Langnau. Der Klub hat das Budget nur um 3 Millionen auf 8 Millionen Franken gesenkt, der Grossteil betrifft die Lohnkosten für die Spieler, dazu fehlt der Beitrag von 600 000 Franken von der Liga. Auf Langnau folgt in der Liga der HC La Chaux­-de-Fonds mit einem Budget von 4 Millionen.

 

Peter Jakob sagt: «Es gibt wieder eine Euphorie, ich spüre das.» Und der Gemeindepräsident Antener sagt: «Die Stimmung ist wieder gut. Das Schlimmste am Abstieg ist mittlerweile, dass nur noch zwei anstatt vier Aus­ländern Steuern bezahlen.» Antener lacht.

 

Eine Frage der Zeit

Im Frühjahr starteten nur acht Spieler ins Training, weil mit dem Abstieg alle Verträge nichtig wurden. Der Trainer Tomas Tamfal, der in der vergangenen Saison in Kloten entlassen worden war, hat mittlerweile ein gutes Team beisammen. Aber keines, das die Liga dominieren wird. Präsident Jakob sagt trotzdem: «Wir wollen zurück nach oben. Es gibt keinen anderen Weg.» Die Spieler sagen das auch, nur nicht ganz so laut. Einzig Tomas Tamfal sagt: «Die Hälfte der Spieler ist neu. Wir brauchen Zeit.» Zeit? Haben die Langnauer Zeit? Mit jedem Jahr, in dem sie nicht aufsteigen, strapazieren sie die Geduld der Fans und der Wirtschaft ein bisschen mehr. Mit ­jedem Jahr werden die skeptischen Emmentaler skeptischer. Der Metzger Michael Horisberger, ehemals Nationalspieler und Mitglied des Teams, das 1976 den einzigen Meistertitel Langnaus gewann, sagt: «Wir müssen schnell wieder in die A. Langfristig macht uns die B kaputt.» Der Lausanne HC brauchte acht ­Jahre, um wieder aufzusteigen. Langnau will «allerspätestens in zwei Jahren wieder in der NLA spielen», wie Jakob sagt.

 

Am Dienstagabend fahren die SCL Tigers zum Berner Derby. Es ist nicht mehr das Berner Derby in Bern vor 17 000 Zuschauern. Es ist ein Berner Derby im Oberaargau, in der Eishalle Schoren in Langenthal, vor 3000 Fans. Vielleicht ein paar mehr.