Ein Sieg für einen verstorbenen Freund

München - Hinter dem 3:2-Sieg gegen die Slowakei steht eine ganz besondere Dramatik. Torhüter Martin Gerber hat in der Nacht vor dem Spiel einen Freund verloren.

Presse • • von 20 Minuten online, Klaus Zaugg

Es gibt wichtigere Dinge als ein Eishockeyspiel und ein 3:2-Sieg gegen den WM-Finalisten beim Deutschland-Cup. Aber manchmal hilft ein Eishockeyspiel, die wichtigeren Dinge zu verarbeiten.

Am Mittwoch hat Martin Gerber das Trainingslager der Nationalmannschaft in Winterthur für ein paar Stunden verlassen um ein letztes Mal seinen Freund Walter Gerber zu besuchen. Mit dem gleichnamigen «Wale» ist er zwar nicht verwandt. Aber eine lange Freundschaft verbindet die beiden Emmentaler. Gemeinsam sind sie im Frühjahr 1998 mit Langnau in die NLA aufgestiegen.

Für Torhüter Martin Gerber war dieser Aufstieg der Beginn einer einmaligen Karriere, die er mit einem Meistertitel in Schweden und einem Stanley-Cup-Sieg krönte und die ihn zum Multimillionär gemacht hat. Für «Wale», der sich durch seine Leidenschaft, seine Zähigkeit und sein grosses Herz bei den Fans Kultstatus erarbeitet hatte, war es der einsame Höhepunkt seiner Karriere. Unvergessen sind die TV-Bilder, als er, den Playoffbart in den Tigerfarben rot-gelb coloriert, die Zähne ausgeschlagen, trotzig in die Kamera sagte: «Und wir schaffen es trotzdem!».

Für die NLA zu klein

Weil er von seiner Kampfkraft und nicht von seinem Talent lebte, war er für die NLA mit 170 Zentimeter Grösse zu klein. Deshalb blieb er in der NLB und in der zweithöchsten Spielklasse hatte er einmal in Lyss einen Coach namens Sean Simpson. Er machte sein Glück als Wirt im «Hot Shot», der Sportbeiz neben der Kunsteisbahn Oberlangenegg auf dem Hochland zwischen Emmental und Oberland. Noch letzte Saison stürmte er für den dortigen Zweitligisten und buchte in 18 Spielen 32 Punkte.

Im August hat Walter Gerber, erst 43 Jahre alt, die Diagnose Gehirntumor erhalten. In der Nacht auf Freitag ist er gestorben. Nationaltrainer Sean Simpson war nach dem Spiel gegen die Slowaken sichtlich erschüttert. «Martin Gerber hat mir vor dem Aufwärmtraining gesagt, dass es Walter nicht mehr geschafft hat und in der Nacht auf Freitag gestorben sei. Ich fragte ihn, ob er okay sei. Aber es war gar keine Frage, dass er gegen die Slowakei spielen wollte. Denn es war ganz im Sinne seines verstorbenen Freundes.»

Martin Gerber mit einer seiner besten Leistungen

Martin Gerber hat gegen die Slowaken (noch mit zwölf Spielern der WM-Finalmannschaft) eine seiner besten Leistungen im Nationaldress gezeigt. Er war der charismatische Leader der Schweizer (mit sieben WM-Teilnehmern) und hielt 94,59 Prozent der Schüsse. Auch Sean Simpson sah seinen Goalie in einer zentralen Rolle: «Martin hat uns mit seiner Präsenz, seiner Ausstrahlung sehr geholfen und ich habe ihn nach dem Spiel in der Kabine dafür gelobt und vor allen gesagt, dass er so gespielt hat, wie es sich auch Walter gewünscht hätte.»

Martin Gerber ist kein Mann der grossen Worte. Wenn Sean Simpson die Geschichte um den Tod Walter Gerbers nicht erzählt hätte, sie wäre wohl nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Nach dem Spiel darauf angesprochen hielt Martin Gerber einen Moment lang inne und sagte mit leiser Stimme. «Es ist sehr traurig.» Er ist ein Emmentaler. Emmentaler «verwärche» (verarbeiten) solche Erlebnisse. Dieses Spiel war für ihn vielleicht die beste Möglichkeit, die letzten zwei Tage zu «verwärche».

Martin Gerber zurück in die Schweiz?

Martin Gerber spielt bei Rögle, dem Tabellenletzten der höchsten schwedischen Liga. Der Vertrag läuft im Frühjahr aus und darüber, was nächste Saison sein wird, hat er noch nicht nachgedacht. Er ist am 3. September 38 geworden und spielt immer noch sein bestes Hockey. Ein Aufgebot für die WM 2013 ist nicht ausgeschlossen. Es wäre nach 2000, 2001, 2002, 2004, 2005, 2008, 2009, 2010 sowie den Olympischen Spielen 2002 und 2006 das elfte Aufgebot für ein Titelturnier.

Im Sommer 2001 hat Martin Gerber die SCL Tigers verlassen um die Hockeywelt zu erobern. Abgesehen von einem kurzen Gastspiel in Langnau während der NHL-Lockout-Saison 2004/05 hat er seither nie mehr für ein Schweizer Team gespielt. Kehrt er im Frühjahr 2013 in die NLA zurück? Es komme auch darauf an, was seine Familie dazu sage. Martin Gerber nächste Saison zurück zu den SCL Tigers? Oder zum EV Zug? Oder noch ein weiteres Jahr im Ausland? Er schliesst weder das eine noch das andere aus. Das will wenig heissen. Denn er schliesst nie etwas aus. Deshalb hat er es aus der 2. Liga in Signau bis zum Stanley-Cup-Sieger in Amerika und Dollarmillionär gebracht.

Heute Samstag bekommt Martin Gerber eine Ruhepause. Gegen Deutschland (16.15 Uhr) steht Biels Reto Berra im Tor.