Neue Zürcher Zeitung, Hermann Pedergnana

Forechecking Eishockey: Die Systemfrage

Aus dem modernen Eishockey ist das Forechecking nicht mehr wegzudenken, zum Beispiel mit einem 1-3-1-System. Obwohl es als überholt gilt, erlebt es in der Schweiz eine Renaissance: im SC Bern und im Nationalteam.

Presse •

 

 

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Schwedische Erfindung

In Europa rang die «Neuerung» den Technikern ein müdes Lächeln ab. Erfunden hatte das System schon Anfang der neunziger Jahre das schwedische Coaching-Duo Putte Karlsson / Lars Falk. Das System war erfolgreich, verbreitete aber auch Langeweile. Beim EHC Kloten kam die Idee der beiden Schweden in der Saison 1994/95 nicht gut an, was laut Felix Hollenstein, dem damaligen Spieler und heutigen Headcoach, jedoch nicht an der Taktik, sondern an Falks schroffem Umgang mit den Spielern lag.

 

Nicht nur wegen Langeweile verlor das 1-3-1 seine Befürworter. Die Aufhebung des Red-Line-Offside (vgl. Kasten) erschwerte die wirksame Anwendung. Dennoch erlebte das System in der Schweiz eine Renaissance. Antti Törmänen pfropfte es dem SC Bern auf und wurde Meister, Sean Simpson schwor die Nationalspieler darauf ein und gewann die WM-Silbermedaille.

 

 

Zahlensalat

 

Im Eishockey beschreibt man die Formationen im Gegensatz zum Fussball von vorne nach hinten. 1-3-1: bedeutet 1 Forechecker, 3 Abriegler, 1 Libero, wie in der Grafik dargestellt. Eine Formation, wie sie in der Schweiz der Meister SC Bern und das Nationalteam anwenden. 2-1-2: 2 Stürmer als Forechecker, 1 Stürmer zurückhängend (meist der Center), 2 Verteidiger. Wird vom HC Davos praktiziert. Left Wing Lock: Der forecheckende Flügelstürmer riegelt das linke Couloir ab und steuert damit die Angriffsauslösung des Gegners auf die andere Seite. Lange von Tschechen praktiziert und von den Detroit Red Wings kopiert. Red Line Offside (Zwei-Linien-Pass): Steilpässe von hinter der blauen über die rote Mittellinie hinaus wurden bis 1998 (Schweiz) bzw. 2005 (NHL) als Offside taxiert; seither sind sie bis an die entfernte blaue Linie erlaubt, was das konsequente 1-3-1 erschwert. Wegen des erhöhten Speeds und Kollisionsrisikos wird über die Wiedereinführung diskutiert. ped.

 

Boucher hatte mit seiner «Erfindung» ungeahnten Erfolg. Doch aus der Coaching-Gilde ist er verschwunden. Die Gegner kamen ihm auf die Schliche und fanden ein Gegenmittel, vielleicht dank der Lektüre des Magazins «Sports Illustrated». Im Artikel «Cracking the Code» zeichnete Pierre McGuire, ein ehemaliger NHL-Coach, auf, wie das System geknackt werden kann. Geknackt schien es auch Chris McSorley zu haben, der mit Genf/Servette in den letzten Play-offs fast den SCB zu Fall brachte. Die Verteidiger bleiben durch den einzigen 1-3-1-Forechecker fast unbehelligt und können in Ruhe aufbauen, oft mit Billard-Pässen oder langen Zuspielen auf entlang der Banden vorstossende Flügel, die den Puck in die gegnerische Zone weiterleiten (vgl. Grafik). «Das 1-3-1 ist eine defensive Taktik, mit der schwächere Teams gegen bessere bestehen können. Deshalb verstehe ich nicht, weshalb die Berner sich darauf versteifen», sagt Anders Eldebrink, der Trainer der Rapperswil-Jona Lakers. Ihm imponiert das 2-1-2 des HC Davos.

 

Törmänen bringt eine kleine Korrektur ein. «In Bern sprechen wir eher von einem 1-1-3. Es geht darum, dem Gegner in der Mittelzone den Puck zu stehlen und dann entschlossen ins Forechecking überzugehen. Das machen wir, ob wir führen oder zurückliegen.» Geübt in beiden Versionen ist der Center Martin Plüss. Beim SCB weicht er zur Absicherung zur Seite, um das linke Couloir zu schliessen. Im Nationalteam fällt diese Aufgabe dem linken Flügel zu, und Plüss übernimmt zuvorderst das Forechecking «In beiden Fällen muss man verhindern, dass der Gegner mit langen Pässen und Speed in die Angriffszone vordringt», erläutert er. Törmänens Vorgänger in Bern, Larry Huras, bevorzugte ein 1-2-2, das an das lange von den Tschechen angewandte «Left wing lock» erinnerte, einen Riegel auf der linken Seite. Heute gilt es als zu starr. Mit einem flexibleren 1-2-2 wurde Plüss mit Frölunda schwedischer Meister. Es lasse sich «hoch» oder zurückgezogen anwenden.

 

Personal wichtiger als System

«Die Teams üben heute überall auf dem Eis Druck auf den Scheibenführer aus», erklärt Eldebrink das schwedische Modell. Auch die Stürmer müssten verteidigen. «Das bedingt vier starke Blöcke und kurze Einsätze, denn alle sind konstant in Bewegung. Die Spieler müssen gut ausgebildet sein und gelernt haben, ohne Scheibe zu spielen, etwas, das den meisten Jungen abgeht.» Plüss relativiert: «Man kann nicht 60 Minuten lang nur jagen, man muss sich zwischendurch auch zurücknehmen.» Doch in einem sind sich alle einig: Es kommt letztlich weniger auf das System als auf die Qualität des Personals an.