Halbzeit in der Qualifikation

Darüber könnte man wohl ein Buch schreiben. Die SCL Tigers «zieren» bei Halbzeit der Qualifikation mit 10 Punkten Rückstand auf den Vorletzten das Tabellenende der Eishockey-NLA. Seit die Langnauer auch Heimspiele bestreiten dürfen, sank der Punkteschnitt nochmals dramatisch ab. Unterirdische 0,8 Punkte waren es im Schnitt in den ersten zehn Auswärtspartien. Es geht noch deutlich tiefer: 0,53 Punkte sind es seither.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Im Nachhinein ist man immer klüger: Bei genauer Betrachtung der Transfers für die letzte und die aktuelle Saison erkennen wir: Nach der Playoff-Saison erlebten die SCL Tigers einen Substanzverlust, der bis heute nicht kompensiert wurde (siehe weiter unten). Bereits die letzte Saison verlief deshalb enttäuschend. und nun ist die Hälfte der Qualifikation der Saison 2012/13 abgeschlossen, und nicht erst seit heute ist klar, dass sich die SCL Tigers nur noch auf den Ligaerhalt konzentrieren können. Kein Mensch erwartet von den Emmentalern noch mehr als den Klassenerhalt. Zeit genug, sich für die wichtigste Phase der Saison in Form zu bringen. Zeit genug auch für Erkenntnisse und Massnahmen. Zeit genug, die Wunden zu lecken. Zeit genug, zurück zu schauen, um sich erfolgreich vorwärts zu orientieren. Denn das, was uns seit dem 12. September dieses Jahres mit wenigen Ausnahmen widerfahren ist, sollte sich so schnell nicht mehr wiederholen.

 

Frühling/Sommer 2011: Die Spieler, die nach der Playoff-Saison die SCL Tigers verliessen: Torhüter Benjamin Conz, Daniel Steiner, Captain Andreas Camenzind, Sven Helfenstein, Curtis Murphy, Mike Iggulden, Brendan Brooks, Aurelio Lemm, und Roman Schild. Neu kamen: Philipp Rytz, Martin Stettler, Robin Leblanc. Robert Esche, Joel Perrault, und Kurtis McLean. Die Bescheidenheit der Tiger liess es nach der Playoff-Saison nicht zu, in die Rückversicherung Benjamin Conz zu investieren. Dem jungen Torhüter aus dem Jura gefiel es in Langnau, und die Chance wäre wohl nicht unerheblich gewesen, ihn nach Ablauf des Leihvertrages mit Genf-Servette längerfristig an die SCL Tigers zu binden. Die Bescheidenheit liess es auch nicht zu, nach den Verpflichtungen von Robin Leblanc, Philipp Rytz und Martin Stettler auch noch Daniel Steiner eine gute Offerte zu unterbreiten. Er, der zuvor in seinem Eishockeyleben wahrlich noch nicht viel verdient hatte, nahm dann die gut dotierte Offerte von Lugano an. Für ihn war es höchste Zeit, dafür zu sorgen, dass er nach seiner Karriere etwas auf dem Konto hat. Andere mit seinem Talent haben in seinem Alter längst ausgesorgt. Auch den kleinen, spiel- und konditionsstarken Curtis Murphy und den Skorer Mike Iggulden wollten die Langnauer nicht mehr. Gut, die beiden kamen damals auch bei den Fans nicht immer gut weg, Vor allem auf dem Internetforum der SCL Tigers wurde über die beiden zuweilen recht übel abgelästert. Aber nachdem sie weg waren, wünschten sich die gleichen Fans die gleichen Spieler wieder zurück. Denn vor allem Joel Perrault, der Mike Iggulden ersetzen sollte, erfüllte die Erwartungen bei weitem nicht und wurde später nach Ambri abgeschoben. Diese Abgänge veränderten die Chemie des vormaligen Winning-Teams nachhaltig. Leblanc, Stettler und Rytz vermochten die abgewanderten Steiner, und Camenzind bezüglich Potential nie zu kompensieren. Der amerikanische Torhüter Robert Esche vermochte Benjamin Conz erst gegen Ende der Saison einigermassen vollwertig zu ersetzen, insgesamt verloren die Langnauer sowohl bei den Schweizern als auchbei den Ausländern zünftig an Potential. Der potentielle Wert des Teams Ausgabe 2011/12 sank gegenüber der vorherigen Ausgabe um mindestens 30 Prozent.

 

Frühling/Sommer 2012: Folgende Spieler verlassen die SCL Tigers: Sebastian Schilt, Anton Gustafsson, Robert Esche und Urban Leimbacher, sowie die nachträglich als Verstärkungen verpflichteten Paul diPietro und Thomas Nüssli (beide hatten massgeblichen Verdienste am letztlich problemlosen Ligaerhalt der Langnauer. Neu hinzu kamen: Torhüter Thomas Bäumle, Etienne Froidevaux, Arnaud Jacquemet und Adrian Brunner. Zudem wurde mit dem in der Vorsaison nachträglich verpflichteten Mark Popovic verlängert. Bereits im September stiessen dann die beiden Lockouter Tyler Ennis und Jared Spurgeon zum Team.

 

November 2011: Das Management der SCL Tigers überraschte die Sportwelt mit der längerfristigen Anbindung der beiden jungen Teamstützen Simon Moser und Lukas Haas, sowie des Trainerduos John Fust und Alex Reinhard. Im Juli 2012 gab Simon Moser im grossen FANTIGER-Interview (siehe Ausgabe Nr. 127 vom Juli 2012) klar zu erkennen, weshalb er in Langnau unterschrieb. Obwohl er dies nicht direkt sagte, sind seine Aussagen nur so zu interpretieren, dass «Simu» damit rechnete, dass das Team noch weiter verstärkt werde. Zum besseren Verständnis: Zum Zeitpunkt des Interviews waren die vier Neuzuzüge Etienne Froidevaux, Arnaud Jacquemet, Adrian Brunner und Thomas Bäumle längst verpflichtet, und noch niemand hatte davon gesprochen, die Saison nur mit drei Ausländern bestreiten zu wollen. Wurde Simon Moser bei seiner Verpflichtung zu viel versprochen? Und wie war das bei John Fust, Alex Reinhard und Lukas Haas? Rechneten die Vier bei ihrer Vertragsverlängerung, dass die Verpflichtung von drei Viertlinienspielern, die in einer neuen Organisation mehr Verantwortung übernehmen wollten, sowie die Ersetzung des Torhüters bereits alles gewesen sein sollte? Rechneten die Vier damals damit, dass die Tigers planen würden (und dann im Sommer 2012 auch kommunizierten), nur mit drei Ausländern in die neue Saison steigen? Angesichts der Tatsache, dass zum Zeitpunkt dieses Entscheides klar war, dass der Schweizer Teamleader Simon Moser den ersten Teil der Saison wegen seiner an der Weltmeisterschaft eingefangenen, schweren Knieverletzung nicht würde bestreiten können, war dieser Ausländer-Entscheid fatal und hatte möglicherweise negative mentale Folgen im Team. Schwer vorstellbar, dass John Fust oder Simon Moser bei den SCL Tigers unterschrieben hätten, wenn sie gewusst hätten, welche Entscheide danach gefällt würden.

 

Wären alle Spieler fit, so hätten die SCL Tigers mit ihrem Team Ausgabe 2012/13 potentiell gegenüber der Mannschaft des Vorjahres wieder etwas hinzu gewonnen. Denn noch gehören ja auch die beiden derzeit verletzten Lockouter Tyler Ennis und Jared Spurgeon dazu. Aber dieser Vergleich, der bei wohlwollender Betrachtung ein leichtes Plus an Potential ergibt, stimmt zwar im Vergleich mit dem Team des Vorjahres, nicht aber beim Vergleich mit der Konkurrenz. Denn da haben sich diverse Teams aus dem NHL-Lockout ganz anders bedient als die Langnauer. Der EV Zug machte keinen überzeugenden Eindruck, solange sie noch ohne Raffael Diaz, Damian Brunner und Henrik Zetterberg antraten. Im Spiel zwischen den Rapperswil-Jona Lakers und den SCL Tigers vom vergangenen Samstag war ebenfalls der NHL-Star Jason Spezza klar der beste Feldspieler auf dem Eis. Und im Spiel vom Tag zuvor zwischen den Langnauern und dem HCD sorgten in erster Linie Joe Thornton und Rick Nash für die Musik. Wie viele Punkte der EHC Biel aufweisen würde ohne Tyler Seguin, können wir nur erahnen. Seit 11 Spielen ist jetzt auch Patrick Kane aus dem Lockout dabei. Zurück zu den Verletzten bei den SCL Tigers: Derzeit sind Tyler Ennis, Jared Spurgeon, Mark Popovic, Sandro Moggi, Martin Stettler, Adrian Brnner und Tom Gerber verletzt. Auch Simon Moser, Lukas Haas und Jörg Reber fielen in dieser Saison über längere Zeit aus. Andere Teams haben auch Verletzte. Aber sie haben ein breiteres Kader.

 

21. September 2012: Die SCL Tigers vermelden die Verpflichtung der beiden 23-jährigen Spieler Tyler Ennis und Jared Spurgeon aus dem NHL Lockout. Kurz darauf sagt mir ein Verwaltungsrat des Langnauer Eishockey-Unternehmens im persönlichen Gespräch, dass jetzt endlich die beiden regulären Tigers-Ausländer Pascal Pelletier und Kurtis McLean ihre Verletzungen auskurieren könnten, damit sie dann, beim Ende des Lockouts, wieder 100-prozentig fit sein würden. Später wurde im Lager der SCL Tigers immer wieder vehement dementiert, dass diese beiden Spieler Verletzungen mit sich herum tragen würden. Aber laut einem Gewährsmann soll sich John Fust nach dem Spiel in Rapperswil im Fall von Pelletier verplappert haben. Wir brauchen uns indes gar nicht auf solche Gerüchte und Spekulationen abzustützen. Wir können uns darauf verlassen, was wir sehen. Pelletier und McLean sind derzeit ein Schatten früherer Tage. Dass sie kämpfen und ihr Bestes geben, ziehen wir nicht in Zweifel. Aber ihr gegenwärtig «Bestes» ist jenseits von Gut und Böse.

 

Dezember 2011 / November 2012: Die SCL Tigers durchleben schwere sportliche Krisen. Im Dezember 2011 kassieren die Langnauer zehn zum Teil empfindliche Niederlagen in Serie. Sie fallen trotzdem nie auf den letzten Tabellenrang zurück, sondern beenden ihre Niederlagenserie am 23. Dezember ausgerechnet gegen das Schlusslicht Rapperswil, das bei einem Sieg die rote Laterne an die Emmentaler abgetreten hätte. Von da weg ging es mit dem Team von John Fust wieder aufwärts, es beendete die Qualifikation schliesslich auf dem 10. Rang und rettete sich im Playout-Halbfinal gegen Ambri auf schnellstmöglichem Wege. Aber damals half das Management mit, die Krise zu meistern. Denn in dieser Phase wurden mit Mark Popovic und Paul diPietro zwei namhafte Verstärkungen geholt, und so der Mannschaft entscheidende Impulse verliehen. In dieser Saison sind die Impulse verpufft, bevor die Krise richtig begann. Tyler Ennis und Jared Spurgeon zeigten zwar in ihrem ersten Spiel für die SCL Tigers (1:2 n.P. Auswärtsniederlage in Fribourg), was sie für die Langnauer hätten sein können. Bereits ein Spiel später fiel Ennis aus, und mittlerweile sind beide Lockouter zur Abklärung ihrer Verletzungen nach Amerika gereist. Weil auch Mark Popovic wegen einer Hirnerschütterung längerfristig ausfällt, spielen die Langnauer derzeit mit lediglich zwei Ausländern, die möglicherweise ebenfalls Verletzungen mit sich herum schleppen. Es sind bereits sechs von acht Ausländerlizenzen vergeben, was das Setzen von Impulsen mit der Verpflichtung von Ausländern zu diesem frühen Zeitpunkt heikel macht. Denn wer weiss, was bis zum Beginn der Playouts sonst noch alles passiert.

 

7. November 2012: Die SCL Tigers vermelden die Verpflichtung von Jakob (Köbi) Kölliker als Sportchef. Er hat gleich alle Hände voll zu tun, und die Erwartungen sind riesig. Es wird spekuliert, ob und wann er den Job an der Bande von John Fust übernehme. Die Resultate werden jedoch (noch?) nicht besser. In der kommenden Woche stehen die Spiele in Kloten, gegen Gottéron und in Lugano an. Dann ist Nationalmannschaftspause. Danach werden wohl Massnahmen ergriffen. Ob eine davon die Freistellung von Coach John Fust sein wird? In diesem Fall wäre Fust das Bauernopfer, das stellvertretend für die Versäumnisse auf allen Ebenen in der Organisation den Kopf hinhalten müsste. Die bange Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt ist: Wen zum Teufel soll man an Fusts Stelle an der Bande der SCL Tigers verheizen?

 

Was hat John Fust falsch gemacht?

Im Verlauf einer Saison hat ein Coach immer diverse Entscheide zu treffen, die im Nachhinein hinterfragt werden können? Beispiele gefällig: Wieso stellte Fust diverse Male Mark Popovic nicht auf, als er noch fit und der klar beste der regulären, ausländischen Feldspieler der Langnauer war? Oder weshalb baut er nicht mehr Nachwuchskräfte ins Team ein? Liest man sich aber durch die Internetforen im Eishockey, so tönt es bei andern Klubs im Verlaufe einer Saison ähnlich. Solche Entscheide sind während einer laufenden Saison nie ein Grund, einen Trainer frei zu stellen. Ein Grund könnten jedoch die fehlenden Resultate sein, vor allem, wenn der Sportchef oder der Verwaltungsrat zum Schluss kommen sollte, dass der Trainer der Mannschaft keine Impulse mehr geben kann. Die beiden jüngsten Niederlagen zeigten zwar viel vom derzeitigen Dilemma der SCL Tigers. Von technischen Mängeln bis hin zu mentalen Problemen ist fast alles vertreten. Aber den Kampfgeist konnte dem Team in diesen beiden Spielen wie bereits im Spiel zuvor gegen den SCB niemand absprechen. Klar ist auch, dass der Coach das Team immer noch erreicht. Sofern dies so bleibt, müsste eigentlich die Vorgehensweise bei den Tigern klar sein. Zuerst muss die personelle Situation auf dem Eis geklärt, und die nötigen Nachbesserungen getätigt sein. Erst dann kann der Coach wirklich schlüssig beurteilt werden.

 

VR und Management: Von aussen schwierig zu beurteilen

Genauso wie andere Medien kann auch FANTGER die Ereignisse rund um die SCL Tigers nur von aussen beurteilen. Wir kommentieren, was wir sehen, und was uns gesagt oder zugetragen wird, oder was wir recherchiert haben. Es kann deshalb sein, dass wir einen Sachverhalt übersehen oder nicht genügend würdigen. Wir kennen beispielsweise die jeweiligen finanziellen Hintergründe nicht, die zum einen oder andern Entscheid führten.

 

Aber wir haben mathematische Kenntnisse. Und wir wissen, wie Zuschauer und Sponsoren reagieren, und dass die fehlenden sportlichen Resultate Auswirkungen auf die Einnahmen haben können. Bei den Zuschauern war dies bisher glücklicherweise nicht der Fall, und wir hoffen, dies bleibt auch so. Die SCL Tigers strahlen auch dank ihrer Fan- und Zuschauertreue ins Land hinaus. Die SCL Tigers geniessen überdurchschnittlich viele Sympathien im ganzen Land. Dies gilt es unter allen Umständen zu erhalten, wenn NLA-Eishockey auch in Zukunft möglich sein soll. Aber wie ist es mit dem Sponsoring? Hier bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen der SCL Tigers so rasch als möglich ebenso gute Kommunikatoren werden, wie sie Baumeister sind. Als Baumeister haben sie zugepackt, und uns auf sensationelle Weise gezeigt, was im Emmental alles möglich ist, wenn die richtigen Leute wollen. Da wurde nicht gezögert und gezaudert. Da waren mutige Macher am Werk! Die Sanierung der Ilfishalle hat derart positiv ins ganze Land hinaus gewirkt, dass es jetzt höllisch schade ist, dass nun diese tolle Imagekorrektur teilweise wieder rückgängig gemacht wird.

 

Es gibt zu denken, dass allfällige Einbussen bei den Eintritten und beim Cattering Folgen auf die nächste Saison haben sollen, und dies, wenn auch nur irgendwo in einem Nebensatz, auch noch öffentlich kommuniziert wird. Was sollen da Sponsoren denken?