Neue Zürcher Zeitung, Jürg Vogel

Im Kalten Krieg in die Schweiz geflüchtet

Er war der Eishockey-Stolz der Tschechoslowakei, der Jaromir Jagr der 1970er Jahre: Vaclav Nedomansky. 1974 flüchtete er, in der Schweiz spielte sich ein Agentenkrimi um ihn ab.

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Das Eis war abgetaut in den Eishockeystadien der Stadt Bern. Im Diplomaten-Vorort Muri herrschte Glace- und Sommerzeit. In einer breiten Garage verschwand ein Deux-Chevaux mit fremden Kontrollschildern. Das Bagnole gehörte einem gewissen Mister Vaclav Nedomansky aus Hodonin im tschechischen Weingebiet Mähren.

 

1974 verlor das tschechoslowakische Eishockey seinen berühmtesten Sohn. Zusammen mit Richard Farda, einem weiteren Nationalspieler, nützte Nedomansky eine vorgetäuschte Ferienreise nach Italien zum Absprung in den Westen. Die Kommunisten erlebten im Nachgang zum gescheiterten Prager Frühling bitterste Momente im Sport. Vor Nedomansky waren die Tennisstars Martina Navratilova und Ivan Lendl in die USA geflüchtet.

 

Tempi passati. Diesen Freitag feiert Vaclav Nedomansky in Los Angeles seinen 70. Geburtstag. Der Inhaber eines kanadischen und eines US-Passes hat frühere Grössen zum Fest geladen, etwa Bobby Orr, die Gebrüder Mahovlich und Jarda Krupicka aus Kloten. Dieser Center der Extraklasse war 1969 als Mitglied des Teams Litvinov via Bad Nauheim in die Schweiz emigriert. 1974 in der SCB-Ära Cadieux spielte Krupicka an der Aare. Er war die Schaltstation bei der Flucht des grossen Nedomansky. Dessen Familie logierte zusammen mit Farda in der Wohnung Krupickas.

 

Die Gäste durften bis zur Erledigung des Papierkriegs mithilfe des damaligen Bundesrates Kurt Furgler das Appartement nicht verlassen und keine Telefone abnehmen. Es herrschte die Angst, Agenten aus dem Osten könnten eines der Kinder entführen. Viele Jahre später erfuhr Krupicka, dass der Mossad, Israels Geheimdienst, über die Flucht der zwei Superstars informiert gewesen war, aber nichts Konkretes unternahm.

1974 herrschte auch im Eishockey der Kalte Krieg. Ins Exil geflüchtete Ost-Stars sahen sich vom Internationalen Verband für 18 Monate gesperrt, auch für die NHL. Trotzdem gab es damals ein Schlupfloch, die World Hockey Association (WHA), eine wilde Konkurrenzliga zur NHL. Nedomansky schloss sich den Toronto Toros und später den Birmingham Bulls an. In der grossen NHL machte er später Karriere im Dress der Detroit Red Wings, der New York Rangers und kürzer bei den St. Louis Blues. Als Scout arbeitet er heute noch für Nashville, zuvor tat er dies über vier Jahre für die Los Angeles Kings.

 

Es gab die Zeit der tschechoslowakischen Techniker, die elegant wie Dior übers Eis schwebten. Nur einer war anders, der Mann mit der Nummer 14. Ein Kleiderschrank von Gestalt, fast 95 Kilo schwer, war Nedomansky ein Spielmacher und Goalgetter der exklusiven Art, gewissermassen der Jaromir Jagr der siebziger Jahre. «Big Nedo» verfügte über einen wahren Hammer aus dem Handgelenk. Berühmt war sein Trick, den Puck über den Schlittschuh des ihn angreifenden Verteidigers zu schiessen und damit auch den Torhüter zu überraschen.

 

Sein Stammverein war Slovan Bratislava mit dem berühmten Vladimir Dzurilla im Tor. Mit 16 Jahren hatte der sportliche Autodidakt am Flügel debütiert. Später studierte «Nedo» Biologie und träumte von der Karriere im Westen. Die Funktionäre des Militärs hatten ihm versprochen, mit 30 Jahren dürfe er gehen, ein später nicht gehaltenes Accord. Das erzürnte Nedomansky, der stets auch das Captain-Amt ablehnte, weil er nicht über Gebühr mit den Funktionären kutschieren mochte.

 

In einer Ära, da die physische Komponente noch nicht so präsent war im Rink wie heute, wirkte einer wie Nedomansky wie Nitroglyzerin im Angriff. Nedomansky konnte förmlich explodieren und gleichzeitig mit feiner Stocktechnik die Scheibe wenn nötig auf einen Eierhalter ablegen. Logischerweise stieg er auch in Übersee ins Pantheon der All-Time-Greats auf.

 

Heute hat der gesunde Jubilar ein paar Schrammen am Körper. Nach einem oder zwei Bierchen kommt der grosse Tschechoslowake in Fahrt, spinnt er das Garn der Zeitgeschichte. Gross ist die Vorfreude jeweils rund um den Zürichsee, wenn «Nedo» ein- oder zweimal pro Jahr in der Schweiz auftaucht.