So war das erste Tatze-Derby

Innerhalb von 53 Stunden ausverkauft - 30076 Zuschauer - Europarekord

Am 14. Januar 2007 fand das erste Tatze-Derby unter freiem Himmel im Berner Stade de Suisse statt. Morgen Mittwoch, 2. Januar 2019 steht die zweite Auflage auf dem Programm. Doch wie war dies damals?

Blog • • von Bruno Wüthrich

Wir schreiben das Jahr 2007. Gemeinsam mit dem "Blick" schickte "FANTIGER" einen Fotografen in die Luft, um das Tatze-Derby von oben zu bebildern.

Glaubt man den damaligen Verantwortlichen, so verging von der Idee bis zum Event gerade Mal ein Monat. Aus heutiger Sicht ist dies kaum mehr zu glauben. Vor allem, wenn man bedenkt, was alles notwendig ist, um einen derartigen Anlass durchzuführen. Und auch, was daneben noch stattgefunden hat.

Hier einige Fakten.

Die 30'076 Zuschauer bedeuteten damals Europarekord. Der vorherige Rekord von 23'192 Zuschauern wurde dabei geradezu pulverisiert. Ganze 53 Stunden dauerte der Vorverkauf. Dann war dieses Derby restlos ausverkauft. Über eine halbe Million Franken Gewinn machten die SCL Tigers mit diesem einzigen Anlass.

Für einen reibungslosen Ablauf garantierten 314 Sicherheitsleute im und rund um das Stade de Suisse. 400 Personen wurden für die Gastrononie aufgeboten. FANTIGER widmete diesem Anlass eine ganze Ausgabe und schickte gemeisam mit der Tageszeitung Blick einen Fotografen mit dem Helikopter in die Luft, um Aufnahmen von oben zu machen.

Nicht zu vergessen den Versuch, einen Rekordschal zu stricken. Der Rekord wurde zwar klar verpasst. Trotzdem stickten SCL Tigers - Fans einen Schal von beachtlichen 1,4 Kilometern Länge. Dieser Rekordversuch faszinierte weit über die Strickerinnen und Stricker hinaus und war mit ein Grund, dass das Tatze-Derby jederzeit in aller Munde war. So gelang es den eng zusammen arbeitenden Verantwortlichen der SCL Tigers und ihres Haupt-Fanclubs (Fanclub SCL Tigers), eine richtige Euphorie zu entfachen.

So wurde der 1,4 Kilometer lange SCL Tigers - Schal präsentiert. Das Bild (hier ein stark vergrösserterTeilausschnitt) wurde vom Helikopter aus aufgenommen.

Im Stadion selbst wurden die Langnauer dann aber gleich zweifach "abgetrocknet". Denn erstens ging das Spiel 2:5 verloren und zudem gelang den Fans des SCB die Choreo viel besser als den Fans des Veranstalters. Schlimmer noch: auf Seiten des SCB schmähte man den Konkurrenten aus dem Emmental, indem die Frage gestellt wurde, ob denn der Schal lang genug sei, um die Playout-Tränen zu trocknen.

Im bereits erwähnten FANTIGER meldete sich auch Klaus Zaugg zu Wort. Seinen damaligen Artikel bringen wir nachfolgend in voller Länge:

Ein Spiel? Ein Derby

Wie die Melodie der ersten Liebe

Nein. Es war nichts von beidem und doch viel mehr. Ein historisches Sportereignis. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Wir alle kennen Sportereignisse, an die wir uns ein Leben lang erinnern. Sie begleiten uns wie die Songs, die wir während unserer ersten grossen Liebe hörten.

von Klaus Zaugg (Januar 2007)

Für die Langnauer gibt es nun seit dem 14. Januar 2007 ein zweites solches Ereignis. Das erste ist am 2. März 1976 über die Bühne gegangen: Das 6:3 über den EHC Biel, das uns den ersten und (nur vorerst) einigen Titel brachte.

Das zweite ist das „Tatzen-Derby“, das 100. NLA-Spiel zwischen den SCL Tigers und dem SC Bern. 30 076 Tickets in 53 Stunden verkauft. In 53 Stunden rübisundstübis ausverkauft. Auf dem Schwarzmarkt wurden bis zu 500 Franken geboten. Mehr als für das Konzert von Robbie Williams in der gleiche Arena. Wenn 20 Emanzen auf dem Bundesplatz mit Pfannendeckeln Protest klappern, gibt es eine Einschaltung in der Tagesschau und eine Sondersession im Bundeshaus. Wenn mehr als 30 000 Männer, Frauen und Kinder Geld in die Hand nehmen um ein Eishockeyspiel zu sehen, lässt das die arroganten Stadtberner Politiker kalt – zur gleichen Zeit, da die Langnauer das Stade de Suisse gefüllt haben, läuft die Komödie um den Umbau der BernArena und die Übernahme der Eishockey WM 2009. Aber das ist ein anderes Kapitel. Lassen wir das.

Und wie präsentierte sich dieses „Tanzen-Derby“, dieses sporthistorische Ereignis im Stadion?

Es war ein Erlebnis weit, weit, weit übers Eishockey, über den Sport hinaus. Seien wir ehrlich: Das Spiel hat eigentlich keiner so richtig gesehen. Eine seriöse Analyse hat keiner gemacht. Ob Zweimannforechecking oder 1-2-2-Defensivsystem, ob das Tempo hoch oder tief, die Partie locker oder intensiv war, ob der Kolanos gut oder schlecht spielte – niemand weiss es. Es hat ja, seien wir ehrlich, auch niemanden interessiert. Das Spiel lief dort draussen auf dem Rasen ab wie ein Stummfilm. Eishockey aber lebt davon, dass man auf den Zuschauerplätzen die Intensität hört, spürt, fühlt. Dass es rumpelt und chlepft. Nichts von alldem. Es war wie ein schöner Erotik-Film ohne Ton. Unvergesslich und erstmalig in der Eishockey-Geschichte die Durchsage der Platzspeakerin, es sei verboten, den Rasen zu betreten. Wohlverstanden: Den Rasen. Nicht das Eis.

Wichtig war, bei diesem Derby dabei zu sein. Zu erleben, wie 30 076 BernerInnen ein Sportfest zelebrieren. Friedlich und freunlich und fröhlich. Unvergesslich diese Stimmung, als die untergehende Sonne ein letztes Mal die oberen Sitzplatzreihen mit ihren Strahlen wärmte – dann ging sie unter und für die Langnauer war halt dann auch eishockeytechnisch Lichterlöschen. Die achte Derby-Niederlage in Serie. Chancenlos. Hoffentlich war dieser Sonnenuntergang am Derby nicht symbolisch für die Chancenlosigkeit der Tiger.

Nur eben: Gottseidank interessierte die Tatsache, dass die Langnauer erneut chancenlos waren, niemandem. Nur fröhliche Gesichter vor, während und auch nach dem Match. Ich habe in den Tagen nach dem Spiel nicht einen einzigen Menschen auf Gottes Erdboden getroffen, der dieses Eishockeyspiel im Fussballstadion nicht in den höchsten Tönen lobte. Quer durch die Schweiz, von Genf über Zürich bis hinauf nach Davos finden es alle eine gute Sache. Und es gibt nichts schöneres als ein Sportereignis das nur Sieger kennt und nach welchem selbst die Verlierer fröhlich sind. Es hat dabei drei Sieger gegeben: Die Langnauer (die rund eine halbe Million Franken Einnahmen erwirtschaftet haben), der SC Bern, der die drei Punkte für den 5:2-Sieg bekam (und, ganz nebenbei dank diesem Sieg die erste veritable Krise unter Trainer John van Boxmeer abwenden konnte) und die Besitzer des Stade de Suisse, die auch gut eine halbe Kiste verdienten. Unser Präsident Hans Grunder hat an einem Tag im Sport in der Stadt Bern mehr bewegt als alle Stadtberner Politiker zusammen seit der A-WM 1971 (oder 35 Jahren).

Die Frage stellt sich: Sollte nun künftig jedes Derby im Stade de Suisse stattfinden?

Nein. Darin sind sich alle Beteiligten einig. Ein einmaliges Ereignis kann nicht einfach beliebig wiederholt werden und soll einmalig bleiben. Das Derby im Stade de Suisse wird so einmalig bleiben wie die Hochzeitsnacht im Leben der BernerInnen.

Kommentar von Kaus Zaugg (Januar 2007)

Der Sieger nimmt alles. So sind die unerbittlichen Gesetze des Sportes. Oder doch nicht ganz? Die SCL Tigers können nicht Schweizer Meister werden. Und damit auf dem Werbemarkt nicht mit den gleichen Argumenten fechten wie der HC Davos, der SC Bern, der HC Lugano oder die ZSC Lions. Die SCL Tigers können interessierten Geldgebern nicht einmal die Playoff-Teilnahme garantieren.

Das ist der Fluch der Kommerzialisierung des Eishockeys, die Anfang der 1980er Jahre begonnen hat und die den SC Langnau vorübergehend bis in die 1. Liga versenkt hat. Aber diese Kommerzialisierung bietet – wie jede Entwicklung – auch Chancen. Sie ermöglicht es einem Kleinen, über das reine Resultat hinaus sich bemerkbar zu machen.

Mit einer Idee wie dem „Tatzen-Derby“ im Stade de Suisse. Die SCL Tigers haben sich damit als kreatives, dynamisches Unternehmen profiliert. Sie haben sich in allen Werbebüros und in allen Chefetagen jener Firmen, die am Sport interessiert sind, zum Thema gemacht.

Wer in die SCL Tigers investiert, bekommt mehr zurück als nur Siege und Niederlagen. Mit dem Spiel im Stade de Suisse haben die SCL Tigers dort, wo Geld für Sportwerbung ausgegeben wird, mehr für ihr Image getan als mit einem Meistertitel.

Nun kommt es darauf an, was sie daraus machen.