Berner Zeitung, Simon Graf

«Komplexer als eine Beziehung»

ZSC-Sportchef Edgar Salis erklärt das Innenleben eines Teams und blickt zurück auf schmerzliche Lehrjahre.

Presse •

 

Der ruppige Stil, den Edgar Salis als Spieler pflegte, kontrastierte zu seiner Rolle als Integrationsfigur in der Kabine. Der 44-Jährige Bündner zeichnete sich schon damals durch eine hohe Sozialkompetenz aus, die in seiner Jugend gefördert worden war. Seine Eltern führten den Landwirtschaftsteil eines ­Behindertenheims, er sagt: «Ich habe drei ­Geschwister, aber bei uns sassen immer mindestens zehn Leute am Tisch. Wir waren eine Grossfamilie.» Nach seiner Karriere absolvierte er eine Ausbildung zum Sozial­arbeiter, ehe er Anfang 2009 Nachfolger von Peter Iten als ZSC-Sportchef wurde. Er ist Vater von Nico (5) und Jan (3) und hofft, dass seine Söhne auch einmal Eishockey spielen. «Ich finde es eine gute Lebensschule», sagt er. «Ja, ich hätte Freude, wenn sie auch spielen würden.» (sg.)

 

Viele frühere Eishockeyprofis sagen, so schön wie in ihrer Spielerkarriere werde es nie mehr. Einverstanden?

 

Ja. Im Hockeybusiness ist das Spieler­dasein das Schönste. Und wie oft im ­Leben realisiert man erst danach, wie gut es eigentlich war.

 

Vermissten Sie den Applaus und das Adrenalin, als es vorbei war?

 

Am meisten fehlte mir das Leben in der Garderobe. Diese Unbeschwertheit, dass man bei allem Ernst auch kindisch sein Kann. Und dass man zusammen ­etwas erreicht. Applaus stand für mich nie im Vordergrund. Und ich bekam in den letzten Jahren als Spieler auch nicht mehr so viel davon.

 

Sie sind nun schon fünfeinhalb Jahre ZSC-Sportchef. Sind Sie froh, dass der Anruf von Peter Zahner kam?

 

Ich kam zu diesem Job wie die Jungfrau zum Kind. Und es gab auch schwierige Momente. Eine Zeitlang dachte ich: Wieso nur hat er mich angerufen? Aber im Nachhinein bin ich froh darum.

 

Wie grenzten Sie sich 2009 ab, als Sie Chef von Spielern wurden, mit denen Sie noch gespielt hatten?

 

Gute Frage. Heute weiss ich: Ich hatte das unterschätzt. Wie grenzt man sich ab gegenüber einem Menschen, der zehn Jahre ein guter Freund war?

 

Mit Mathias Seger hatten Sie ja sogar zusammengewohnt.

 

Richtig. Ich empfand diese Abgrenzung als unangenehm. Man kann sich nicht ­total verändern, sonst ist man nicht mehr authentisch. Das merken die Spieler.

 

Wie ist es, wenn Sie mit Seger einen neuen Vertrag aushandeln?

 

Es ist eine verquere Situation. Nachdem ich zurückgetreten war, hatte er mich ja einmal gebeten, für ihn zu verhandeln.

 

Und taten Sie es?

 

Ja.

 

Und wie ist es heute?

 

Wir waren uns einig, dass es das Beste ist, wenn ihn ein Agent vertritt. Wie schafft man es als Sportchef, ein funktionierendes Team zu bauen? Es gibt kein Patentrezept. Schauen Sie, wie komplex es nur schon bei Beziehungen zweier Menschen ist. Sonst gäbe es nicht 50 Prozent Scheidungen. Man denkt, alles ist gut, hat die gleichen ­Interessen, und plötzlich stimmt es nicht mehr. Jetzt muss man sich vorstellen, wie es ist, wenn 24 Menschen harmonieren müssen. Das ist komplexer als eine Beziehung. Die meisten Spieler ­haben Teams erlebt, in denen die Chemie gut war. Und wo sie schlecht war. Aber die wenigsten werden es auf einen Nenner bringen, was der Unterschied war.

 

Holen Sie auch einen Spieler, der Ihnen nicht sympathisch ist?

 

Klar. Es wäre unprofessionell, wenn meine Sympathie entscheidend wäre.

 

Anders gefragt: Erträgt eine Mannschaft auch schwierige Charaktere?

 

Ja. Wie in einer Familie hat es auch in ­einem Team Platz für ein schwarzes Schaf. Das kann sogar zusammen­schweissen. Jedes Team braucht spezielle Typen. Solche, die sich gewisse Dinge herausnehmen. Das gibt Diskussionen, fordert eine Gruppe heraus. So lange es im Rahmen bleibt, ist es produktiv.

 

Wie würden Sie mit einer Situation umgehen wie in Kloten, wo Simon Bodenmann schon vor dem Saisonstart beim SCB unterschreiben hat?

 

Zu Kloten kann ich mich nicht äussern. Jeder Fall ist anders. Aber wir machten mit Gardner (2009) eine ähnliche Erfahrung. Auch er unterschrieb sehr früh bei Bern. Das war höchst problematisch. Bei jedem Fehlpass dachten die Leute: Der hat eh schon unterschrieben, den kümmert es nicht mehr. Ich war damals zu unerfahren. Sonst hätte ich mit dem SCB eine sofortige Lösung gesucht. Wie vergangene Saison bei Maurer mit Lugano.

 

Es gibt bei NLA-Clubs fast nur Ex-Spieler als Sportchefs. Wieso?

 

Weil man diesen Job nicht studieren kann, kein Diplom braucht. Aber es wertvoll ist, wenn man gewisse Dynamiken erlebt hat. Wenn man versteht, was in der Kabine vorgeht. Was passiert in einem Team, wenn der Trainer entlassen wird? Ein Spieler weg muss? Was heisst es, zusammen ­Erfolg zu haben? Misserfolg?

 

Was mussten Sie lernen?

 

Vieles. Vor allem, strategisch zu denken. Wegzukommen vom Hier und Jetzt, in dem man als Spieler lebt. Ich musste ein ganz anderes Denken verinnerlichen. Anfangs stellte ich Fragen wie ein Lehrling im ersten Jahr. Natürlich machte ich Fehler. Aber Fehler muss man machen. Ohne Fehler entwickelt man sich nicht.

 

Was war Ihr grösster Fehlgriff?

 

Das will ich nicht verraten. Ich kann nur sagen, wer mein bester Transfer war.

 

Wer?

 

André Reinhard, der Teamleiter. Er ist eine der guten Seelen, die sich tagtäglich den Hintern aufreissen, damit alles stimmt für die Jungs. Aber ich nenne ­natürlich auch bewusst keinen Spieler.

 

Wie war es für Sie, als Sie als Sportchef anfangs heftige Kritik ernteten?

 

Nicht einfach. Manchmal dachte ich, ich sei der Alleinschuldige für das, was auf dem Eis abläuft. Da ist es wichtig, dass man kompetente Menschen um sich hat, die einen unterstützen. Aber eine Zeit lang war es der Horror. Vor allem die Saison mit Colin Muller (2010/11). Wer liest schon gerne täglich, dass er ein Versager ist? Als mich meine Mutter dreimal am Tag anrief und fragte, ob es mir gut gehe, wusste ich: Etwas stimmt nicht. (lacht)

 

War der Titel 2012 die Bestätigung, die Sie brauchten?

 

Absolut. Nach drei Jahren des Scheiterns im ­Viertelfinal hatten sich verständlicherweise viele gefragt, ob ich das könne.

 

In der Stunde des Triumphs wirkten Sie in Bern aber sehr beherrscht.

 

Ich bin nicht einer, der grosse Emotionen zeigt. Aber es war ein Befreiungsschlag. Nicht nur für mich, für alle Beteiligten.

 

Treiben Sie heute noch Sport?

 

Nein.

 

Vermissen Sie das nicht?

 

Nein. Ich trieb nie gerne Sport. Ich spielte einfach gerne Eishockey. Das mag jetzt blöd tönen. Ich machte nie gerne Sommertraining, mochte den Kraftraum nicht. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, freiwillig ins Fitness zu gehen oder mit dem Velo einen Berg hinaufzufahren. Ich liebe Sport, aber vor allem schaue ich gerne Sport. Ich bin ein Sofasportler.