Berner Zeitung

Martin Gerber: «Ich werde nie sesshaft sein»

Der 38-jährige Torhüter Martin Gerber zeigt sich an der WM in ausgezeichneter Verfassung. Im Interview spricht er über Teamgeist und George Bush und weshalb er nicht nach Langnau zurückkehrt.

Presse • • von Reto Kirchhofer


Mögen Sie Oper und Gesang?
Martin Gerber: Ich kann es mir zumindest anhören. Sie spielen auf die gesungenen Nationalhymnen an der WM an?

Genau.
Ich mag diese zwei Minuten mit der Schweizer Hymne, wenn ein paar Tausend Leute im Stadion mitsingen, das gibt dir Gänsehaut. Aber wenn dann eine himmellange Frau auftritt und unseren Psalm quietscht, denke ich: Es hätte doch sicher bessere Optionen gegeben (lacht).

 

Dafür gefällt Ihnen bisher, was nach der Hymne folgt: stets eine starke Leistung der Schweiz.
So ist es. Mich freut nicht nur der Erfolg, sondern auch die Tatsache, dass die Siege keineswegs gestohlen, sondern allesamt erspielt wurden.

 

Viele Spieler betonen den tollen Teamgeist – ist dieser nicht selbstverständlich?
Nein, überhaupt nicht. Es ist meine neunte WM-Teilnahme, aber solch eine Mischung aus Spass und Professionalität, dieses Gaudi im Team, welches der Konzentration weicht, wenn es zählt – so etwas habe ich nicht oft erlebt.

 

Haben Sie bereits ganz kurz an eine Medaille gedacht?
Nein! Damit habe ich aufgehört, das kommt nie gut (lacht).

 

Wie beurteilen Sie Ihre WM-Leistung?
Während des Spiels gibt es immer Dinge, die du besser machen kannst. Aber wichtig ist, dass die guten Punkte die schlechten deutlich übertreffen. Letztlich muss das Team gewinnen. Ich bin dann zufrieden, wenn wir gewonnen haben.

 

Was erwarten Sie von den nächsten Gegnern Dänemark und Norwegen?
Wir sind glücklich, haben wir so viele Punkte auf dem Konto. Natürlich wäre es falsch, uns nun auszuruhen. Die Dänen und die Norweger werden defensiv gut stehen und versuchen, die Mittelzone zu schliessen. Wir müssen auf ihre Konter aufpassen, es wird keine einfache Aufgabe.

 

Sie haben vier Jahre in Schweden gespielt, kennen zahlreiche Leute. Werden Sie dieser Tage oft angesprochen?
Es gab einige Reaktionen und Gratulationen, vor allem per SMS – auch aus Übersee. Die Schweden waren natürlich nicht alle erfreut (schmunzelt). Die meisten sind beeindruckt von der Art und Weise, wie wir auftreten, und erwähnen, es mache Spass, der Schweiz zuzusehen.

 

Wie wichtig ist es für Sie, Ihre Saison nach dem Abstieg mit Rögle (Sd) mit einem positiven Erlebnis abzuschliessen?
Das ist sehr wichtig. Die Saison bei Rögle war in sportlicher Hinsicht der absolute Horror.

 

Was hat nicht funktioniert?
Nichts, nichts hat funktioniert. Die Klubverantwortlichen wirkten planlos, man sah dreissig Spiele einfach zu, ohne irgendein Zeichen zu setzen. Und danach war es zu spät.

 

Und wann war für Sie klar, dass Sie in die Schweiz zurückkehren würden?
Unmittelbar nach dem Abstieg.

 

Und hätte Rögle die Klasse gehalten...
...wäre ich dort geblieben.

 

Aber immer die Reiserei, und dies mit zwei kleinen Kindern.
Das war sicher auch ein Punkt, der mich zur Rückkehr bewog. Du musst dich jedes Jahr neu einleben, ein Umfeld aufbauen, und dann brichst du alles wieder ab, das ist nicht einfach. Hingegen ist es unglaublich schön, das Reisen mit dem Sport zu verbinden. Du erlebst neue Orte, neue Kulturen, neue Sprachen, einen neuen Lebensstil. Das habe ich immer genossen – aber nach zwölf Jahren ist es genug.

 

Wo hat es Ihnen am besten gefallen?
Mit Sicherheit in Kalifornien (Gerber spielte 2002 bis 2004 beim NHL-Team Anaheim, die Red.). Ich wohnte südlich von Los Angeles, man ist schnell am Strand, schnell in den Bergen, in zwei Stunden in Mexiko. Eine bessere Lage gibt es kaum. Ich liebte und liebe es, am Wasser zu sein, weil ich dies vorher nie gehabt hatte. Zudem durfte ich in einer tollen Mannschaft spielen – niemand gab uns Kredit, und trotzdem erreichten wir den Stanley-Cup-Final...

 

...den Sie schliesslich 2006 mit Carolina auch gewannen. Wie war es, beim anschliessenden Empfang dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush die Hand zu schütteln?
Es war sehr eindrücklich, also nicht der George Bush, aber das Weisse Haus.

 

Haben Sie auch so richtig fest zugedrückt?
Bush hat einen typisch texanischen Händedruck – der langt selber ordentlich zu (lacht).

 

Und jetzt, nach zwölf Jahren im Ausland, wird Martin Gerber endlich sesshaft.
Ich werde nie sesshaft sein. Ich kann mir vorstellen, ein Weilchen am selben Ort zu bleiben, aber das Fernweh trage ich in mir.

 

Es heisst, Sie hätten Ihre Wohnung in Lützelflüh verkauft.
Also momentan wohnen wir noch in Lützelflüh, ich wüsste nichts anderes (schmunzelt).

 

Aber Sie suchten oder suchen in Langnau ein Haus?
Ich suche in Langnau seit fünf Jahren ein Haus. Wissen Sie: Würde alles stimmen, was herumerzählt wird, dann hätte ich wohl schon so alles gekauft, was es überhaupt zu kaufen gibt.

 

Wegen des Gerüchts, wonach Martin Gerber nach Langnau ziehen wird, dachten viele: Endlich, endlich kehrt der Tinu zu den Tigers zurück.
Ich hatte mit Langnau tatsächlich recht viel Kontakt, auch während der Playouts. Wir waren uns nahe, es sah gut aus.

 

Wäre Langnau in der NLA geblieben, hätten Sie unterschrieben?
Ja, sehr wahrscheinlich ist das so.

 

Im Nachhinein lässt sich dies natürlich einfach sagen.
Es war nicht 50 zu 50, es war deutlich pro Langnau.

 

Beschäftigt Sie der Abstieg der Tigers?
Er beschäftigt mich sehr. Während zwanzig Jahren wurde über eine neue Halle gesprochen – und jetzt, wo die Halle steht, ist Langnau in der NLB und muss quasi ein neues Team zusammenstellen. Ich fand, dass man die Playouts zu sehr auf die leichte Schulter nahm. Wer weiss schon, wann Langnau wieder in die NLA zurückkehren wird?

 

Weshalb nahmen Sie das Angebot der Kloten Flyers an?
Es gab auch Offerten aus Russland und Finnland, aber ich kenne viele Klotener aus dem Nationalteam. Es sind Supertypen, dort herrscht ein guter Zusammenhalt, das passt mir. Langnau und die NLB waren für mich keine Option, weil ich mir die Tür für eine Olympiateilnahme 2014 offenhalten will.

 

Ist Sotschi 2014 Ihr letztes grosses Ziel?
Ich habe Sotschi seit zwei Jahren im Hinterkopf. Dieses Ereignis treibt mich an, motiviert mich. Als Athlet sind Olympische Spiele sehr speziell – Turin 2006 zählt zu meinen schönsten Eishockeyerinnerungen. Aber ob ich es ins Kader schaffe, entscheiden andere.

 

Wenn Ihr Vertrag in Kloten ausläuft, sind Sie 40 Jahre alt...
...und im besten Hockeyalter (lacht). Letztlich entscheiden deine Gesundheit und die Form, wie lange du spielen kannst. Ab 35 musst du jedes Jahr als Bonus nehmen und es geniessen.

 

Was kommt nach der Karriere?
Ich habe mir zuletzt in den Gesprächen mit Langnau intensive Gedanken über die Zukunft gemacht – bei den Tigers hätte es für mich einige Optionen gegeben. Aber nun spiele ich mindestens zwei Jahre in Kloten. Klar ist, dass ich später etwas mit Eishockey machen und mein Wissen weitergeben will.