Nach dem Ende des NHL-Lockouts

Der NHL-Lockout habe die NLA-Meisterschaft nicht verfälscht, wird behauptet. Doch nicht alle sind dieser Ansicht. Und wir fragen uns, was denn der temporäre Auftritt der NHL-Stars in der Schweiz überhaupt für einen Sinn hatte, und ob es nicht auch Verlierer gab in dieser als Win-Win gepriesenen Situation.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Der EV Zug lag auf einem Playout-Rang, bevor aus der NHL Damian Brunner, Raphael Diaz und Henrik Zetterberg herbei eilten. Jetzt, nach ihrer Abreise, sind die Zuger auf dem 4. Rang, und werden die Playoffs locker schaffen. Der EV Zug und der EHC Biel sind wohl die beiden Klubs, die am meisten vom NHL-Lockout profitierten. Hinzu kommen auch der SC Bern und der HC Davos. Die Lockout-Spieler hatten also sehr wohl Einfluss auf die NLA-Meisterschaft, und zumindest im Fall von Zug und Biel haben sie sogar den Verlauf der Dinge verändert.

 

Kaum Auswirkungen auf die SCL Tigers

Die SCL Tigers tun gut daran, den NHL-Lockout nicht für ihren letzten Rang in der Tabelle verantwortlich zu machen. Allenfalls könnten einzelne Resultate ohne gegnerische Lockout-Stars etwas anders heraus gekommen sein. So benötigte Henrik Zetterberg bei seinem allerersten NLA-Auftritt am 19. Oktober gegen die SCL Tigers gerade mal 49 Sekunden, um sich als Torschütze zu profilieren. Die Langnauer verloren das Spiel knapp mit 3:5 (Treffer ins leere Tor in der letzten Minute), und Zugs Lockouter liessen sich insgesamt sieben Skorerpunkte gutschreiben (2 Tore, 5 Assists). Die Tiger verloren jedoch noch drei weitere Male gegen den EVZ, aber obwohl auch da Zugs Lockouter mehr oder weniger fleissig skorten, waren diese Niederlagen nicht auf deren Präsenz zurück zu führen. Beim 2:6 vom 23. November und beim 2:7 am Tag darauf waren die Auftritte der Langnauer derart desolat, dass die Zuger auch ohne ihre Stars keinerlei Mühe gehabt hätten, zu siegen. Und bei der 2:3 n.P. Niederlage vom 4. Januar zeigte das Team von Alex Reinhard eindrücklich, wie man es auch besser machen könnte.

 

Ähnliches lässt sich auch bei den Spielen gegen den HC Lugano sagen. Auch hier standen die Langnauer Pate beim ersten NLA-Auftritt eines NHL-Stars. Und auch Patrice Bergeron benötigte nicht lange, um sich in die Skorerliste einzutragen. Nach 2,17 Minuten assistierte er zum 1:0 von Julien Vauclair, und das 2:0 in der 9. Minute erzielte Bergeron gleich selbst. Die Tigers verloren dieses Spiel am 9. Oktober mit 7:3, und Bergeron erzielte dabei vier Skorerpunkte (2 Tore, 2 Assists). Und auch im mit 2:8 verlorenen Spiel vom 8. Dezember skorte Bergeron vier Mal (4 Assists). Es war das letzte Spiel, das die Tiger unter John Fust bestritten. Am Tag darauf wurde der Playoff-Held des Amtes enthoben. Trotz insgesamt acht Skorerpunkten in zwei Spielen: Die beiden Niederlagen gegen Lugano hatten mit dem NHL-Star nicht so viel zu tun. Zu schlecht waren die Auftritte der Tiger.

 

Ennis und Spurgeon waren nicht die erhoffte Verstärkung

Es gibt noch weitere Beispiele, die wir aufführen könnten. Aber die SCL Tigers haben 11 Punkte Rückstand auf den vorletzten Tabellenrang und liegen 27 Punkte hinter Rang 8 zurück. Diese miserable Klassierung hat zumindest nichts mit den Lockout-Stars der Andern zu tun. Aber eventuell mit den Eigenen? Tatsache ist, dass das Engagement von Tyler Ennis und Jared Spurgeon ausser einem verheissungsvollen Auftakt im Spiel vom 29. September gegen Gottéron (1:2 n.P) und der rührigen Geschichte von zwei Jugendfreunden, die während des Lockouts unbedingt im gleichen Team spielen wollten und so den Weg nach Langnau fanden, rein gar nichts brachte. Zwei Spiele waren es, in welchen die SCL Tigers einen Vollerfolg buchten, und in welchen beide, also Tyler Ennis und Jared Spurgeon im Einsatz standen. Es waren dies der 1:0 Erfolg vom 6. Oktober in Ambri. Da assistierte Ennis mittels eines Schusses an den Kopf von Lukas Haas zum einzigen Treffer der Partie, und beim 5:1 – Heimsieg der Tiger gegen die Lakers aus Rapperswil, welche die Langnauer an diesem Abend jedoch wohl auch ohne die Beiden geschlagen hätten. Immerhin waren Jared Spurgeon als Torschütze und Tyler Ennis als zweiter Assistgeber am dritten Treffer der Einheimischen beteiligt.

 

Was brachte der Lockout dem Schweizer Eishockey?

Dass der Unterhaltungswert bei vielen Partien dank den Lockoutern etwas höher gewesen sein könnte als ohne, wird wohl mangels gegenteiliger Beweise niemand abstreiten wollen. Wir tun dies ebenfalls nicht und blasen ins gleiche Horn, obwohl wir Ähnliches für Langnau eigentlich nicht behaupten können. Die Frage beschränkt sich jedoch nicht auf Langnau allein, und in Zug, Bern und Biel wird man den Abgang der Lockouter sowohl wegen deren Effizienz als auch wegen des Unterhaltungswerts bedauern. Aber sonst? Wir analysieren die Wirkung des Lockouts anhand eines Artikels von Klaus Zaugg in 20 Minuten online.

 

Zaugg rühmt zurecht die Medienpräsenz, die unser Eishockey in Nordamerika dank des Lockouts gehabt hat. Zitat aus seinem Artikel: «So viel Aufmerksamkeit hatte unsere höchste Spielklasse in Nordamerika noch nie. Selbst die Hockeybibel «The Hockey News» widmete unserer NLA mehrseitige Storys. Das kanadische «Dream Team» bescherte dem Spengler Cup einen weiteren Popularitätsschub in Kanada. Hätte unser Hockey diese Medienpräsenz auf dem Werbemarkt kaufen müssen, wäre dafür ein hoher zweistelliger Millionenbetrag notwendig gewesen». Was ist davon zu halten?

 

Was bitteschön bringt uns eine temporäre Medienpräsenz in Kanada? Wenn es hoch kommt, kassiert der HC Davos etwas für die Übertragung der Spiele des Team Canada in einem heimischen Spartensender. Aber die von Zaugg aufgeführte millionenschwere Medienpräsenz ist nur dann wirkungsvoll, wenn nachgelegt wird. Aber weshalb soll sich Hockey-Nordamerika noch für die NLA interessieren, wenn die NHL weiter läuft? Jede weiter führende Werbekampagne, millionenschwer oder nicht, würde im Nirgendwo verlaufen. In weniger als einem Monat ist das Schweizer Eishockey in Nordamerika vergessen, und die Schweiz wird wieder mit Schweden verwechselt. Zudem: Über was soll die Hockeybibel «The Hockey News» denn anderes berichten als über das Eishockey auf anderen Erdteilen, wenn auf dem eigenen nicht gespielt wird?

 

In seinem Artikel schreibt Zaugg auch von den Kosten, die zwar vorhanden gewesen, aber grösstenteils von Gönnern ausserhalb des ordentlichen Budgets übernommen worden seien. «NHL-Stars zu alimentieren und dann mit der Nähe zu den Weltstars angeben zu können, war ganz einfach sehr viel aufregender, als den alljährlichen Beitrag zur Deckung des Defizites einzuzahlen.»

 

Wiederum hat Zaugg recht. Die Gönner haben uns mit der grosszügigen Finanzierung der NHL-Lockouter viel Spass in die heimischen Arenen gebracht. Aber weshalb stecken diese Gönner ihr Geld nicht in die ordentlichen Budgets der Klubs, damit sich diese von Anfang an mit besseren Spielern eindecken und generell für mehr Spass sorgen können. Wie viel Tyler Ennis und Jared Spurgeon auch immer gekostet haben mögen, - es war zum Fenster hinaus geworfenes Geld, das die Langnauer anderweitig wirkungsvoller hätten einsetzen können. Zudem: Die Lockouter kamen, um zu spielen. Sie nahmen damit einheimischen Spielern, zum Teil den dringend auf Spielpraxis angewiesenen Nachwuchskräften die Einsatzmöglichkeiten. Die Nachwuchskräfte und Ergänzungsspieler sind die Verlierer dieser vielfach als Win-Win gepriesenen Situation. Dieser Effekt war in Langnau «dank» der Verletzungsanfälligkeit von Ennis und Spurgeon etwas weniger schlimm als in Zug, Bern, Biel oder Lugano. Eigentlich kann man sagen, dass dieser Lockout am Emmental vorüberzog, ohne dass ihn jemand bemerkte. Etwa so, wie die Finanzkrise oder der Klimawandel.

 

Erfreulich ist jedoch folgender Punkt in Klaus Zauggs Artikel: «Unsere NLA ist aufgewertet worden. Die NHL ist so fern und so selten im öffentlich-rechtlichen TV zu sehen, dass um diese wichtigste Liga der Welt ein Mythos entstanden ist. Nun haben die Zuschauer wochenlang diese «Ausserirdischen» im heimischen Stadion gesehen und miterlebt, dass auch NHL-Superstars nur mit Wasser kochen. Die NHL ist zwar unendlich grösser und mächtiger als unsere NLA. Aber das NHL-Eishockey ist eben hockeytechnisch nicht so viel besser wie «NHL-Verehrer» immer wieder fabulieren oder die Nordamerikaner glauben. Ein Urteil, das ich mir nach über 200 NHL-Partien vor Ort im Stadion wieder einmal erlaube. NHL-Eishockey ist anders, intensiver, härter, gnadenloser, unerbittlich auf Leistung programmiert und die Saison in Nordamerika ein «Überlebenskampf», den nicht alle durchstehen. Aber mit sportlicher Qualität hat das wenig zu tun.»

 

Dem wollen wir nicht widersprechen. Aber wir vermuten, dass dieser Punkt wohl kaum je in den Begründungen für die Engagements der Lockout-Stars aufgetaucht sein wird. Oder anders ausgedrückt: Diejenigen, welche die Lockouter engagierten und bezahlten, sind (oder waren zumindest) von der überlegenen Klasse dieser Spieler restlos überzeugt. Denn sonst hätten sie ihr Geld hierfür nicht raus geschmissen.

 

Schwer zu denken gibt mir jedoch folgender Punkt, und zwar gerade weil Klaus Zaugg damit recht hat: «Der NHL-Lockout erleichtert Damien Brunner den NHL-Start. Er hat in Zug mit Detroits Center Henrik Zetterberg bestens harmoniert und Detroits Coach Mike Babcock wird Brunner zum Auftakt eine Chance neben Zetterberg geben.»

 

Es geht mir dabei nicht um Damian Brunner. Es geht um jeden einzelnen Spieler mit Schweizer Pass, der in Nordamerika spielt. Völlig klar: Wäre der Schreibende Eishockeyprofi, so würde auch er nach dem Höchsten streben, das er erreichen kann, zumal die Futtertöpfe für die Besten in Nordamerika um ein Vielfaches voller sind als in der Schweiz. Die Scouts und die Coachs werden genau hingeschaut haben, was in Europa, und damit auch in der Schweiz passiert, und welche Spieler sich in Nordamerika durchsetzen könnten. Doch so sehr wir es jedem Einzelnen gönnen, der sich als Schweizer in der besten Eishockey-Liga der Welt durchsetzt: - Im Interesse von uns Zuschauern, vor allem derjenigen, die Spiel für Spiel in den heimischen und fremden Eishallen verfolgen, kann dies nicht sein. In unserem Interesse ist es, dass unsere Besten für uns spielen. Vor unseren Augen, in unseren Arenen!

 

Ärgerlich ist dabei auch, dass die in die NHL abgewanderten Spieler der Schweiz an den Weltmeisterschaften oft gar nicht zur Verfügung stehen, und dass deshalb unser Eishockey nicht viel von der positiven Entwicklung profitiert, welche die Spieler in Nordamerika machen. Die NHL ist nicht einfach die beste Liga der Welt. Sie ist auch ein Moloch, der sich keinen Deut um die andern Ligen der Welt und deren Bedürfnisse kümmert. Es wurde viel geschrieben über die Egos, welche diesen Arbeitskampf im nordamerikanischen Eishockey schwierig machen. An der Spitze der Streitparteien stehen mit Garry Bettman (Liga) und Don Fehr (Spieler-Gewerkschaft) zwei US-Amerikaner. Bezüglich der Anzahl der Klubs, den Finanzen und den sportlichen Erfolgen wird die NHL, welcher Garry Bettman seit 1993 vorsteht, von den USA dominiert. Nur sechs der 30 Teams sind kanadisch, 24 sind us-amerikanisch. In den USA kommt Eishockey bei weitem nicht an die drei Grossen (Football, Baseball und Basketball) heran, und kämpft derzeit mit Fussball um die Nr. 4 in den Staaten. Aber in Kanada ist Eishockey in der Verfassung festgeschriebener Nationalsport. Trotzdem gelang es seit 1993 (Montreal) keinem kanadischen Team mehr, den Stanley Cup zu gewinnen. Kaum eine andere Sportart wird derart von einer einzigen Liga dominiert wie das Eishockey von der NHL. Es sind die US-Amerikaner, die in dieser Liga das Sagen haben.

 

Mit andern Worten: Die Amerikaner machen es im Eishockey genau gleich wie im Kampf um Rohstoffe, im Steuerstreit etc. Die Einzigen, die zählen, sind sie selbst. Die Bedürfnisse der Andern (vom Rest der Welt) sind völlig irrelevant. Amerika will die Besten bei sich sehen. Der Abschaum in der übrigen Welt muss sich mit den «Restposten» zufrieden geben. Doch langfristig kann es nicht das Ziel der übrigen Welt sein, sich von den Amerikanern derart auf der Nase herum tanzen zu lassen. Weder in der Wirtschaft noch im Sport. Und als Fan sage ich: Und schon gar nicht im Eishockey.

 

So positiv dies viele Fans und Publizisten auch sehen mögen, - für mich bleibt auch bei diesem Lockout ein fahler Nachgeschmack: In der amerikanisch/kanadischen NHL herrschte «Arbeitskampf» zwischen den Klubbesitzern und der Gewerkschaft von Eishockey spielenden Jungmillionären. Arbeitskämpfe in Nordamerika, sofern diese nicht gleich bedeutende sozial relevante Umstrukturierungen zur Folge haben könnten, kümmern uns in Europa normalerweise wenig. Für einmal aber war dies anders: Damit sich die Jungmillionäre für die Zeit nach dem Lockout fit halten konnten, boten wir ihnen in der NLA eine Bühne, wo sie spielen konnten, und wir bezahlten sie sogar noch für diese Gelegenheit. Und wir liessen deshalb unsere eigenen Spieler, u.a. Nachwuchskräfte, darben. Weshalb eigentlich?