Berner Zeitung, Philipp Rindlisbacher

Nützlicher als jeder Spion

Für die SCL Tigers beginnt heute Dienstag (19.45 Uhr) vor eigenem Publikum der NLB-Final gegen den EHC Visp. Stürmer Raphael Kuonen ist im Oberwallis aufgewachsen – er kennt den Gegner wie kaum ein Zweiter.

Presse •

Wer im Schweizer Onlinetelefonbuch in der Gemeinde Visp nach dem Geschlecht Kuonen sucht, erhält nicht weniger als 21 Treffer. Es kommt demnach nicht von ungefähr, sagt Raphael Kuonen, er habe im Oberwallis viele Verwandte. Der 22-Jährige, Sohn von Ligapräsident Pius-David Kuonen, ist in Visp unweit der Eishalle aufgewachsen. Er besuchte im Dorf die Schule, spielte lange beim lokalen EHC, stand als Jugendlicher in der Fankurve. Seit vergangenem Sommer ist der Stürmer jedoch bei den SCL Tigers engagiert. Im heute (19.45 Uhr, Ilfishalle) beginnenden NLB-Final trifft er mit den Langnauern ausgerechnet auf seinen Stammklub.

 

23 Tore hat Raphael Kuonen bereits erzielt. Innert Kürze ist er zum Leistungsträger avanciert, bildet mit Chris DiDomenico und Tobias Bucher die produktivste Sturmlinie. Er ist ein freundlicher, meist gut aufgelegter Zeitgenosse, der sich kaum aus der Ruhe bringen lässt. Kuonen gesteht aber, dass die anstehenden Duelle für ihn etwas Aussergewöhnliches darstellen würden. «Fast mein ganzes soziales Umfeld befindet sich in Visp, der Klub hat einen Platz in meinem Herzen.» Mit Goalie Matthias Schoder und Angreifer Andy Furrer ist er gut befreundet, auf telefonischen Kontakt verzichtet er dieser Tage jedoch. «Ich will Privates und Berufliches trennen. Ein Profi muss mit solchen Situationen umgehen können – Kollegen sind Gegenspieler wie andere auch.»

 

Tickets für Freunde und Familie

Das Thema Professionalität war mit ein Grund dafür, dass Kuonen vor drei Jahren seine Heimat verliess. Der einstige Juniorennationalspieler bestritt unter der Ägide Arno Del Curtos 30 Partien für Davos, konnte sich auf höchster Stufe indes nicht etablieren. Er kehrte nach Visp zurück; den Wechsel nach Langnau forcierte er, weil er «die sportlich bessere Lösung bedeutete. Die Tigers sind vom Selbstverständnis her ein NLA-Klub geblieben. Die Rahmenbedingungen sind vergleichsweise sensationell.» Und so sagt Kuonen, die Langnauer seien im Final zu favorisieren – er bemüht sich aber um Zurückhaltung. «Visp ist sehr heimstark. Die Halle ist klein, die Zuschauer sind nahe beim Eisfeld. Man wähnt sich in einem Hexenkessel.»

 

Ein Stammplatz in der NLA ist das mittelfristige Ziel Kuonens. Vor dem Jahreswechsel signalisierte Rapperswil Interesse, schlug den Tigers ein Tauschgeschäft mit Loïc Burkhalter vor. Kuonen besitzt eine Ausstiegsklausel, «ich habe aber nicht die Absicht, den Klub zu verlassen». In Langnau gefällt es dem Handelsschulabsolventen bestens, mit Verteidiger Nicholas Steiner bildet er eine Wohngemeinschaft. «Wir leben im Dorfzentrum, da kennt jeder jeden – genau wie in Visp.» Der Flügel erwartet heute viele Bekannte in der Ilfishalle: «Ich musste viele Tickets organisieren.» Walliser Kollegen stichelten zuletzt per SMS, «gedroht hat mir aber niemand». Kuonens Kenntnisse über den Gegner könnten in der Best-of-7-Serie durchaus wertvoll sein. Videostudium gabs trotzdem, beim gemütlichen Spaghettiessen schaute sich die Mannschaft am Sonntag das entscheidende Halbfinalspiel der Visper in Langenthal an.

 

 

EHC Visp

Stürmerstar Alexei Kowalew bleibt in New YorkLangnaus Gegner Visp wird in den Finalspielen nur mit einem Ausländer antreten. Die NLA ist nicht das Ziel der Oberwalliser.



Der Trainer: 9 Niederlagen aus den ersten 13 Partien waren zu viel – der polarisierende Michel Zeiter wurde im vergangenen Oktober entlassen. Kim Collins übernahm. Der Kanadier kennt die zweithöchste
Spielklasse bestens, mit dem EHC Biel hatte er zwei NLB-Titel (2006 und 2007) gefeiert. Während der Übungseinheiten «bewacht» sein Hund jeweils das Visper Trainerbüro.

 

Die Ausländer: James Desmarais ist seit Jahren einer der besten Skorer in der NLB – seit Jahren gilt er aber auch als einer der am schwierigsten zu führenden Spieler. Beim HC Ajoie wurde der Kanadier entlassen, es soll nicht beim Wortgefecht mit dem Coach geblieben sein. Der Star des Teams ist Alexei Kowalew (40). Der Russe mit amerikanischem Pass gehört zu den besten Spielern, die jemals in der Schweiz gespielt
haben. Er hat Olympiagold und den Stanley Cup gewonnen, 1439 NHL-Spiele absolviert. Der Multimillionär ist Pilot, Tiefseetaucher und ein ausgezeichneter Saxofonist. Derzeit weilt Kowalew, der sich als Entertainer sieht, in seiner Wahlheimat New York – er ist am Knie verletzt, kümmert sich zudem um seine kranke Frau. Laut Visp-Präsident Viktor Borter dürfte er sämtliche Finalspiele verpassen.

 

Die Strukturen: Visp operiert mit einem Budget von 3,4 Millionen Franken. Anders als bei den SCL Tigers arbeiten die meisten Spieler abseits des Eishockeys im Teilzeitpensum. Stürmer Luca Triulzi beispielsweise ist in der Marketingabteilung des Klubs tätig. Ein geregeltes Sommertraining findet nicht statt.

 

Das Ziel: 1962 wurde Visp unter der Führung Bibi Torrianis Schweizer Meister, zwei Jahre später Cupsieger. Die Rückkehr in die NLA ist derzeit kein Thema. Der Verein hat zwar über 2500 Saisonkarten abgesetzt (Rekord), in der sanierungsbedürftigen Litternahalle hat es aber lediglich 850 Sitzplätze. Es bestehen Pläne zur Verbesserung der Infrastruktur.