So darf es weiter gehen:

Rückblick auf eine tolle Saison

Ist der Kanton Bern auf dem Weg, unser Eishockey wieder zu dominieren wie in den späten 1970er Jahren? Nicht ganz, denn dafür sind die Gegner zu stark. Aber an der Berner Dominanz im Eishockey kommt derzeit niemand vorbei. Auch wegen den SCL Tigers.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Der entscheidende Faktor für die Entwicklung der SCL Tigers: Headcoach Heinz Ehlers

 

Wir schreiben den 17. November 2018. Der Tag, an dem die SCL Tigers in Fribourg eine 3:10 – Klatsche bezogen. Gottéron realisierte in der Folge in seinen nächsten drei Spielen keinen einzigen Punkt, verlor zwei davon gleich zu Null und verpasste schliesslich die Playoffs deutlich. Die Langnauer, die an diesem 17. November einen rabenschwarzen Tag einzogen, obsiegten bereits im nächsten Spiel wieder. Sie bezwangen die Rapperswil-Jona Lakers mit 2:1 in der Verlängerung. Vielleicht war etwas Glück dabei, dass die Mannschaft, die nach einer derartigen Klatsche verunsichert gewesen sein könnte, ein paar Tage Zeit hatte, um ihre Wunden zu lecken, und danach zuhause den Tabellenletzten empfangen durfte. Auch wenn ein Sieg in der Overtime gegen die rote Laterne nun wirklich normalerweise nicht der Rede wert gewesen wäre, so ist er in diesem Fall eben doch Gold wert. Er verhinderte, dass die SCL Tigers in eine Krise rutschen konnten.

Solche Spiele wie dieses 3:10 können vorkommen. Es sind Partien, bei denen einer Mannschaft alles gelingt, während die andere bei einem derartigen Schaulaufen nur Spalier stehen kann. Jeder Schuss ein Treffer bei der einen Mannschaft, Verunsicherung total bei der anderen. Den SCL Tigers „passierte“ in diesem Frühjahr noch ein zweites ähnliches Spiel. Es war Spiel sieben in der Playoff-Viertelfinalserie gegen den HC Lausanne. Die SCL Tigers hatten zwei Tage zuvor die Serie, in welcher sie mit 1:3 hinten lagen, ausgeglichen, und nichts deutete darauf hin, dass dieses finale siebte Spiel im Waadtland in einem 1:8 – Debakel enden würde. Aber eben: Solche Spiele gibt es. Ein Fehler und eine dumme Strafe führten zur 2:0 – Führung der Lausanner im Startdrittel, und irgendwie ging danach einfach jeder rein. Schade, dass diese Partie, die bei einem anderen Verlauf im Startdrittel auch völlig anders hätte ausgehen können, so endete. Dass ausgerechnet dieses Spiel eines von denen war, die halt gelegentlich mal passieren können. Dass die ebenso überraschende wie grandiose Saison der Emmentaler auf diese Weise beendet wurde. Und doch: Eine Niederlage in der zweiten Verlängerung wäre vermutlich noch bitterer gewesen.

Bild: Susanne Bärtschi

Überragende Saison der Langnauer

Doch grandios war die Saison allemal. Sie startete mit einem 5:2 – Erfolg gegen die Lakers. In der Folge hatten die Langnauer immer mindestens einen Schnitt von 1,5 Punkten pro Spiel, und realisierten am Schluss ein Total von 78 Punkten. Sie fielen als eines von nur vier Teams nie unter den Strich und sie wiesen auch über die ganze Saison nie ein negatives Torverhältnis aus. Sie beendeten die Qualifikation auf dem hervorragenden sechsten Rang und bei einem Sieg im letzten Spiel (3:4 gegen den späteren Viertelfinalgegner Lausanne) wäre es sogar noch Rang 3 geworden. Die Langnauer spielten also in dieser Saison an der Spitze mit, waren ein Spitzenteam. Man stelle sich vor: Hätten die Tiger am 30. November auswärts in Zug nach 60 Minuten gewonnen (knappe 1:2 Niederlage), hätten sie danach als Tabellenführer gegrüsst.

Gestrauchelte Favoriten

Das waren die SCL Tigers in der Saison 2018/19. In der Saison, in welcher zwei als Titelkandidaten gestartete Teams die Qualifikation für die Playoffs nicht schafften. Die ZSC Lions verpokerten sich dabei gleich selbst. Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen, den zuvor beim HC Davos zurückgetretenen Erfolgstrainer Arno Del Curto zu verpflichten. Sie entliessen den bisherigen Headcoach Serge Aubin im Januar, als die Zürcher Löwen noch auf dem sechsten Rang lagen. Natürlich war dieser Rang ungenügend, wenn man das Potential dieser Truppe, und noch viel mehr die Lohnsumme, die sie kostet, in Betracht zieht. Doch die Zürcher waren in der Saison zuvor von Quali-Rang 8 aus noch Meister geworden. Not-Trainer Hans Kossmann hatte dieses Kunststück vollbracht. Arno Del Curto konnte nicht daran anknüpfen. Der hoch gelobte Engadiner fiel mit den ZSC Lions noch auf Rang 9 zurück und verpasste die Playoffs. Seine grandiose Karriere mit sechs Titeln mit dem HC Davos erhielt dadurch einige grobe Risse. Denn auch sein Rücktritt in Davos im Dezember kam ja nicht von ungefähr. Die Bündner hatten zwar einen ziemlichen Aderlass im Kader zu verzeichnen, was den Experten vor der Saison immerhin so weit zu denken gab, dass sie die Qualifikation für die Playoffs in Zweifel zogen. Aber einen derartigen Absturz der Davoser hätte niemand erwartet. Mit etwas Boshaftigkeit könnte man sagen, dass Arno Del Curto es geschafft hat, in einer Saison gleich zwei Mannschaften aus den Playoffs zu coachen. Zuerst den HC Davos, und dann den Meisterschaftsfavoriten ZSC Lions.

Ein wichtiger Faktor waren die Torhüter, und nach dem Ausfall von Ivars Punnenovs vor allem die Rolle von Damiano Ciaccio. Er spielte eine überragende Saison. Bild: Susanne Bärtschi

Ebenfalls als möglicher Meisterschaftskandidat wurde der HC Fribourg-Gottéron gehandelt. Nachdem Nationaltorhüter Reto Berra den Weg in die Saanestadt doch noch gefunden hatte, schien das fehlende Puzzlesteinchen gefunden, um endlich einmal den ersten Titel der Geschichte gewinnen zu können. Doch Gottéron fand den Tritt nie richtig. Am Ende resultierte nur der zehnte Rang.

Die positiven Überraschungen Langnau und Ambri

Es ist ein weit verbreitetes Übel. Nein, gemeint sind nicht die Saisonprognosen. Denn diese dienen unserer Unterhaltung. Ebenso schön, wie sich darüber Gedanken zu machen, wie es in der kommenden Saison kommen könnte, ist doch, hinterher zu erklären, weshalb es eben nicht so gekommen ist. Schade ist einfach, dass die Prognostiker dann, wenn sie ihre Favoriten und noch ihr Lieblingsteam prognostiziert haben, mit dem vertieften Nachdenken darüber einfach aufhören. Anders ist es nicht zu erklären, weshalb so viele Prognostiker die SCL Tigers vor der Saison auf einem der beiden letzten Ränge gesehen haben. Es müsste den Experten doch aufgefallen sein, dass die Langnauer Saison für Saison Fortschritte machten und machen und sich – zugegebenermassen mit niedrigem Budget – geschickt verstärkten. Hätten die Experten besser hingeschaut, wären die SCL Tigers nicht als derart grosse Überraschung wahrgenommen worden. Man stelle sich das vor: Die auf einen der letzten beiden Ränge Prognostizierten hätten mit einem Sieg im letzten Spiel der Qualifikation noch Dritte werden können. Aber auch der schliesslich erreichte sechste Rang ist weit weg vom Tabellenende. Dass es gleich so gut laufen sollte, war dann halt doch eine zumindest kleine Überraschung.

Überraschend war auch das Abschneiden des HC Ambri-Piotta. Neben den SCL Tigers der zweite „Kleine“ der Liga. Gerade weil wir Tiger auch zu den Kleinen gehören, kann uns das Abschneiden der Leventiner nicht gleichgültig sein. Sie sitzen sozusagen im gleichen Boot wie wir. Wie das Emmental gilt auch die Leventina als „Armenhaus“. Dass sich in Gegenden wie der Leventina und dem Emmental je ein Verein aus einer der beiden Top-Publikumssportarten in der höchsten Liga des Landes halten kann, ist ebenso erstaunlich wie aller Ehren wert. Es zeugt davon, mit welcher Leidenschaft und mit welchem Überlebenswillen bei diesen Klubs gearbeitet wird. Umso schöner, dass gleich beide Vereine die Playoffs erreicht haben. Ambri erreichte Quali-Rang 5, war also zuletzt sogar einen Rang besser klassiert als die Langnauer, die dafür in den Playoffs besser dagegen halten konnten.

Die SCL Tigers hatten in dieser Saison oft Grund zum Jubeln. Hier jubelt Captain Pascal Berger. Bild: Susanne Bärtschi

Was wäre gewesen, wenn...

Stellen wir uns doch einmal vor, was hätte sein können, wenn die SCL Tigers nicht ausgerechnet in der Finalissima gegen Lausanne ein derartig schwarzes Spiel eingezogen hätten. Das Momentum ist doch nach dem Ausgleich in der Serie und zuletzt zwei gewonnenen Partien auf der Seite der Tiger gewesen. Ein Sieg wäre also trotz des zuletzt deutlichen Resultats keine Überraschung gewesen. Hätten die SCL Tigers diese Finalissima gewonnen, hätte im Halbfinal der SC Bern gewartet. In der Qualifikation hatten die Langnauer gegen die Berner eine deutlich positive Bilanz. Zugegeben: Playoffs sind nicht die Qualifikation. In den Playoffs gelten andere Gesetze. Trotzdem bietet diese Quali den einzigen Hinweis darüber, wie eine Serie zwischen dem SC Bern und den SCL Tigers hätte ausgehen können. Leider werden wir nie erfahren, ob sich die positive Quali-Bilanz der Langnauer auch auf die Playoffs übertragen hätte. Eventuell war aber dieses schwarze Spiel der Tiger in Lausanne mit ein Grund, weshalb es der EV Zug zwanzig Jahre nach seinem letzten und bisher einzigen Titelgewinn nicht erneut geschafft hat, die Meisterschaft zu gewinnen. Denn soo utopisch wäre ein Vorstoss der SCL Tigers in den Final dann auch nicht gewesen. Gegen die Tiger wiesen die Zuger eine deutlich positive Quali-Bilanz aus...

Vormachtstellung des Kantons Bern

Wir wissen jedoch, wie es heraus gekommen ist. Somit ist dieses „hätte“ und „könnte“ eben nur eine Phantasterei, wenn auch eine schöne. In Wirklichkeit haben sich der SC Bern und der EHC Biel eine bemerkenswerte Halbfinalserie geliefert, zuletzt mit dem besseren Ende für die Berner. Weil die Mutzen dem EV Zug im Playoff-Final keine Chance liessen, stellt der Kanton Bern den Meister. Der Titelgewinn ist nach der gewonnenen Qualifikation zweifellos verdient, zumal der SCB sowohl im Viertelfinal gegen den HC Genf-Servette wie auch im Halbfinal gegen den EHC Biel hart zu kämpfen hatte. Mit dem EHC Biel der bis in den Halbfinal und den SCL Tigers, die im Viertelfinal eine tolle Rolle gespielt haben, stellt der Kanton Bern derzeit zwei weitere ganz starke Vertreter des Schweizer Eishockeys. Auch wenn es nicht die Ränge eins, zwei und drei sind wie in den späten 1970er-Jahren, so spielt der Kanton Bern im Schweizer Eishockey zumindest momentan eine dominierende Rolle. Einiges spricht dafür, dass dies vorerst so bleiben könnte, auch wenn der Titel nicht jedes Jahr in den Kanton Bern wandern wird.

Dem SC Bern sind auch nach dem Abgang von Torhüter Leonardo Genoni weitere starke Saisons inkl. starke Playoffs zuzutrauen. Der EHC Biel befindet sich in einer erstaunlichen Entwicklungsphase, wie auch die SCL Tigers, deren Coach Heinz Ehlers völlig zurecht zum Trainer des Jahres gekürt wurde und der seine Arbeit im Emmental fortsetzen wird. Freuen wir uns also auf weitere Entwicklungsschritte und auf die nächste tolle Saison.