Seguin, die NHL-Antwort auf Schläpfer

von KLaus Zaugg - Kein anderer Einzelspieler dominiert die Liga so wie Biels Tyler Seguin. Trainer Kevin Schläpfer hat den Draht zum NHL-Star gefunden.

Presse • • von 20 Minuten online, Klaus Zaugg

Biels Trainer hatte als Spieler nicht einmal 10 Prozent des Talentes von Tyler Seguin. Aber es gibt sehr wohl eine Wesensverwandtschaft zwischen Kevin Schläpfer und seinem NHL-Star. Schläpfer galt bereits als Spieler als «Hockeygott». Weil er die ganz besondere Gabe hatte, Emotionen in der Garderobe und im Spiel zu entfachen. Er war «Kompagnie-Kalb» und Leader. Und ein Spieler, der die Coaches herausforderte.

 

Tyler Seguin ist nicht nur einer der technisch besten und komplettesten Stürmer der Welt. Er hat auch diese Fähigkeit, Emotionen zu entfachen. Auch er hatte als Junior den Ruf, im richtigen Moment «the funny one» zu sein. «Er ist ein fordernder Spieler für den Trainer», sagt Schläpfer. «Er hat so eine ganz eigene Art, den Trainer alleine durch Blicke herauszufordern. Als wolle er sagen: Hey Coach, was ist los. Das erinnert mich an meine Zeit als Spieler.»

 

Emotionen werden in Biel gebraucht

Bei keinem anderen NHL-Star in der Liga ist die Lust am Spiel so offensichtlich wie bei Tyler Seguin. «Wir haben bewusst mit Seguin und Kane zwei junge Spieler verpflichtet», sagt Kevin Schläpfer. W«eil wir nicht nur Talent brauchen. Sondern auch Emotionen. Und wir sind davon ausgegangen, dass junge Spieler in dieser Beziehung viel mehr bringen als ein arrivierter Star.»

 

Diese Rechnung ist aufgegangen. Nach einer Eingewöhnungszeit von etwa sieben Spielen – die jeder NHL-Profi hier braucht – ist Tyler Seguin mit 19 Toren aus 19 Spielen bereits Liga-Torschützenkönig. Patrick Kane, ruhiger, cooler, berechnender und technisch eher noch brillanter, kommt immer besser in Fahrt und steht bei 5 Toren aus 7 Spielen. Die beiden entfalteten zuletzt beim 4:2 in Bern die viel grössere Wirkung als die lustlosen SCB-NHL-Stars Mark Streit und John Tavares.

 

Seguin gegen Bern quasi im Alleingang

Am letzten Montag hatten Biels NHL-Stars ein bisschen gerockt und gerollt und am Dienstag waren die Batterien in Langnau noch nicht ganz nachgeladen. Tyler Seguin blieb ohne Skorerpunkt und die Bieler verloren 2:3 nach Penaltys. Dafür hat er am Freitag in Bern die SCB-Hockey-Titanic mit den drei Treffern zum 1:0, 2:0 und 3:1 fast im Alleingang versenkt. Kevin Schläpfer sagt gegenüber 20 Minuten Online: «Ja, ja ich weiss, dass Tyler Seguin am Montag im Ausgang war. Aber das ist richtig so. Der Junge ist 20. Wenn einer in diesem Alter nicht mal in den Ausgang geht, dann sage ich ihm: Hey, stimmt was nicht? Komm mit, jetzt machen wir mal Party.» Aber am Tag vor dem Spiel? «Nicht nur er, auch seine Mitspieler haben den Tabellenletzten Langnau unterschätzt und dafür haben wir bezahlt.»

 

Kevin Schläpfer hat den Zugang zu Tyler Seguin gefunden. Er kritisiert seinen Star hart – aber er lobt ihn auch. Und der Kanadier hat sichtlich Gefallen an diesem verrückten Trainer, der irgendwie ganz ähnlich tickt wie er selber. Schläpfer gewährt ihm keine Sonderrechte. Als Seguin kürzlich zu spät zum Training kam, musste er, wie jeder andere auch, hundert Franken Busse in die Mannschaftskasse einzahlen. Er habe es ohne Murren getan und gesagt, das sei okay so. In der NHL habe er einmal wegen einer Verspätung zwei Spiele zuschauen müssen.

 

Eigenwillig, manchmal launisch, im guten Sinne ein wenig verrückt, mit glühender Leidenschaft im Training und im Spiel bei der Sache und bei Gelegenheit Rock’n’Roller – so ist Tyler Seguin und genau so war Kevin Schläpfer auch. Und ist es im Grunde heute noch als Trainer.

 

Biel nahe an der Playoff-Qualifikation

Im 21. Jahrhundert haben erst drei Teams als echte Aussenseiter die Playoffs geschafft: Basel 2006, Langnau 2011 und Biel 2012. Basel und Langnau sind nach dem Playoffglück in eine Depression gestürzt, Basel zwei Jahre später sogar abgestiegen. Biel ist nun drauf und dran, das Wunder einer Wiederholung zu vollbringen. Kevin Schläpfer, Tyler Seguin und Reto Berra sind dabei die Schlüsselfiguren.

 

Eishockey ist eben nicht immer ein Mannschaftsport. Manchmal ist es auch ein spektakulärer Einzelsport. Beispielsweise am Freitagabend. Biel besiegte den SC Bern 4:2. Auch wenn Kevin Schläpfer betonte, wie sehr dieser Sieg eine Leistung der ganzen Mannschaft gewesen sei: Zwei Einzelspieler haben wie Diebe den Bernern drei Punkte gestohlen. Torhüter Reto Berra und eben NHL-Stürmer Tyler Seguin. Beide Teams haben 20 Spieler eingesetzt. Auf mindestens 15 dieser Positionen konnte der SCB die besseren Individualisten aufs Eis schicken. Aber zwei Einzelspieler haben alles aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Nordamerikaner sagen, dass ein grosser Torhüter dazu in der Lage ist, die Punkte zu stehlen. Und genau das hat Berra in Zusammenarbeit mit Tyler Seguin getan.

 

Seguin versetzt Bern früh einen Stich

Die grosse, stolze Hockey-Titanic SCB fuhr gegen Biels Hockey-Rock’n’Roller schon früh auf einen Eisberg: Tyler Seguin entwischte bereits in der 7. Minute einem SCB-Powerplay und markierte in Unterzahl das 0:1. In dieser Szene waren die Energie, der Mut und die Frechheit der Bieler förmlich zu spüren.

 

Dieses erste Tor war ein Stich ins SCB-Herz. Die SCB-Titanic nahm wohl wieder Fahrt auf und die Berner dominierten die Partie. Aber Zweifel und Fehler schlichen sich ins SCB-Spiel ein wie Diebe in der Nacht und viel zu früh für eine so stolze Mannschaft zogen schon im Mitteldrittel die Nebel der Frustration auf.

 

Starker Berra nicht zu beunruhigen

Vielleicht hätten ein oder zwei frühe Tore dem SCB das Selbstvertrauen zurückgebracht. Aber Reto Berra war für die SCB-Stürmer zu gut. Der sanfte Riese (194 cm) liess sich nicht einschüchtern, nicht irritieren, nicht aus der Ruhe bringen und stellte den Spielstand bei 44:23 Torschüssen für den SCB auf den Kopf. Seit Jonas Hiller die NLA verlassen hat, um sein Glück in der NHL zu machen, hat nie mehr ein Torhüter in der NLA das Spiel so sehr dominiert. Marco Bührer (Abwehrquote 81,82 %) im Vergleich zum Bieler Goalie (Abwehrquote 95,24 %) nur eine Karikatur.

 

Das wahre Wunder ist die Wiederholung. Sind die Bieler dazu in der Lage, den Sieg über den SC Bern 24 Stunden später zu wiederholen? Wenn sie das schaffen, sind sie definitiv ein Playoffkandidat. Und in Bern wird bei zwei Niederlagen in zwei Tagen gegen einen nominell klar schwächeren Gegner wie Biel die Trainer-Diskussion wieder ein wenig belebt.