Neue Zürcher Zeitung

«Unser Programm gilt europaweit als vorbildlich»

In den ersten Play-off-Runden standen im Schweizer Eishockey auch die Schiedsrichter im Mittelpunkt. Ein schlechtes Zeichen. Doch der Schiedsrichterchef Reto Bertolotti stellt sich hinter die Unparteiischen. Er sagt, es gebe kein Schiedsrichterproblem.

Presse • • von Daniel Germann

Es gab in den ersten Play-off-Runden einige strittige Schiedsrichterentscheide. Ein reguläres Tor des SCB wurde in Genf nicht anerkannt. Der Schiedsrichter Prugger fällt auf eine Schwalbe von Alexandre Picard herein. Zug erzielt den Ausgleich gegen Lugano nach einem Foul von Josh Holden. Haben wir ein Schiedsrichterproblem in der Schweiz?

Das Berner Tor in Genf konnten die Schiedsrichter nicht geben, weil aus keinem Kamera-Blickwinkel zu sehen war, dass die Scheibe die Linie wirklich überquert hatte. Zur Szene mit Picard kann ich nichts sagen, weil ich sie nicht gesehen habe. Und die Aktion von Holden war ein Foul. Zug kam irregulär in Scheibenbesitz. Bitte vergessen Sie aber nicht: Die Schiedsrichter entscheiden in Sekundenbruchteilen. Es wird immer falsche Beurteilungen geben. Das ist zwar für die betroffene Mannschaft ärgerlich, gehört aber zum Sport.

 

Sie sehen kein grundsätzliches Problem?

Nein. Die Schiedsrichter machen nicht mehr Fehler als die Spieler. Man sollte sie nach denselben Massstäben beurteilen. Ich habe den Eindruck, dass zuweilen die Objektivität fehlt.

 

Gibt es Ihrer Meinung nach zu viel ungerechtfertigte Kritik?

Ich möchte es so sagen: Offensichtlich kennen viele Kritiker die Reglemente nicht richtig. Bei einem Check gegen den Kopf schreibt das Reglement fünf Minuten plus eine Matchstrafe vor. Es gibt keinen Spielraum. Punkt. Ich hatte vor drei Wochen eine Sitzung mit Vertretern aus anderen europäischen Topligen. Die Problematik ist überall dieselbe: Die Zahl der Kopfverletzungen nimmt zu. Es gibt immer mehr Gehirnerschütterungen. Dieses Problem müssen wir in den Griff bekommen.

 

Hat der Respekt abgenommen?

Schwer zu sagen. Grundsätzlich bin ich eigentlich der Meinung, dass im Eishockey der Respekt unter den Spielern, aber auch zwischen Spielern und Schiedsrichtern im Vergleich zu anderen Sportarten gross ist. Das Tempo im Spiel aber wird immer höher. Dadurch nimmt auch die Wucht zu, wenn zwei Spieler aufeinanderprallen. Es sind alle gefordert: Schiedsrichter, aber auch Spieler. Das fängt bei der eigenen Ausrüstung an. Es bringt nichts, wenn man den Helm nur locker auf dem Kopf trägt. Das mag zwar cool aussehen, schützen aber tut er so nicht.

 

Die Tendenz, sich fallen zu lassen, scheint auch im Eishockey zuzunehmen.

Schwalben sind im Eishockey verpönt. Es ist Betrug am Gegenspieler, am Publikum, aber auch an den Schiedsrichtern. Wir sind auf das Thema sensibilisiert. Allerdings ist es sehr schwer, eine Schwalbe als solche zu erkennen.

 

Seit einigen Jahren werden die meisten Spiele im Vier-Mann-System gepfiffen. Hat sich das bewährt?

Die Reaktionen sind positiv, auch von den Schiedsrichtern selber. Im heutigen Eishockey haben ein Schiedsrichter und zwei Linienrichter keine Chance mehr, sich so zu positionieren, um richtig entscheiden zu können. Das heisst nicht, dass man nichts mehr übersehen kann.

 

Die NHL kennt den Supervisor, der die Schiedsrichter unterstützt.

Wir versuchen, den Sport zu perfektionieren. Ich habe in Gesprächen mit NHL-Vertretern gespürt, dass das Unbehagen zunimmt, jede Szene noch einmal anzuschauen. Ich kann die skeptische Haltung im Fussball verstehen. Die Zuschauer kommen ins Stadion, um die Spieler spielen und nicht diskutieren zu sehen. Die Torkamera hat sich als Hilfsmittel bewährt. Grundsätzlich aber finde ich: Ein Tatsachenentscheid soll ein Tatsachenentscheid bleiben.

 

Haben Schiedsrichter ein grundsätzliches Imageproblem?

Wir haben eine Kampagne lanciert, die zum Ziel hat, Nachwuchs zu rekrutieren. Aus unseren Umfragen geht hervor, dass eine neue Generation heranwächst, die sich Schiedsrichter auch als Beruf vorstellen kann. Unser Programm gilt europaweit als vorbildlich.