Zum 70-Jahr Jubiläum des SC Langnau

Untergang und Auferstehung der Langnauer Hockeykultur – die wilden Jahre

Der SC Langnau (heute die SCL Tigers) wird 70! Erstaunlich, wie die Herausforderungen der 1990er und der 2000er-Jahre gemeistert wurden. Hier der dritte Teil der Geschichte...

Blog • • von Klaus Zaugg

Im Sommer 2009 standen die SCL Tigers vor dem Aus. Die Fans versuchten verzweifelt, den Club zu retten. Ihre Versuche riefen potente Retter auf den Plan. Bild: Christoph Schmid

 

 

Die «Amerikaniserung» des Hockeygeschäftes spült die Langnauer in den 1980er und 1990er Jahren aus der NLA und schliesslich zweimal sogar bis in die erste Liga hinab. Die Meistersaison 1975/76 hatte die Langnauer weniger als eine Million gekostet, alle Spieler verdienten gleich wenig (weniger als 20 000 Franken pro Saison). 2015/16 kostet eine Hockeysaison auch im Emmental gut 10 Millionen Franken. Die Überdachung der Eisbahn war im Sommer 1975 mit knapp 800 000 Franken zu machen. Der Umbau des Hockeytempels im Sommer 2012 verschlingt 30 Millionen Franken.

 

Peter Jakob rettete im Sommer 2009 gemeinsam mit Mitstreitern die SCL Tigers und sanierte im Sommer 2012 die Ilfishalle. Ersteres rettete das Emmentaler Selbstwertgefühl, die Sanierung innerhalb so kurzer Zeit war ein Meisterwerk.

 

Diese Zahlen mögen zeigen, wie dramatisch sich das Hockey-Geschäft verändert. Es ist ein Wunder, dass es Langnau gelingt, sich im 21. Jahrhundert im Hockeygeschäft zu behaupten. Grosse Hockeyclubs wie Arosa, Basel, Young Sprinters Neuenburg, Sierre oder Villars sind längst von der Hockeylandkarte verschwunden. Die letzten 30 Jahre sind die Geschichte des Untergangs und der wundersamen Wiederauferstehung der Langnauer Hockey-Kultur.

 

Hier wird die Ilfishalle saniert. Das Dach wird um 4 Meter angehoben, und die Anlage wird auf geniale Weise erweitert. Heute ist die sanierte Ilfishalle das wohl schönste Eisstadion und zusammen mit den Anbauten eine der besten Eventlokalitäten schweizweit.

 

Die Art und Weise, wie in den späten 1990er Jahren die Rückkehr ins Spitzenhockey gelingt und wie 2015 auch der Abstieg in die NLB wieder korrigiert werden kann, ist mindestens so erstaunlich wie der Titelgewinn von 1976. Denn die Langnauer schaffen aus eigener Kraft nicht nur die sportliche Renaissance. Sie sind auch dazu in der Lage, 30 Millionen Franken aufzubringen und den Ilfistempel in eine moderne Sportarena umzubauen. Welche unerhörte Leistung das ist, mag ein Blick auf den EHC Kloten (heute Kloten Flyers) zeigen. Dieser Dorfverein aus dem Glatttal, einer der reichsten Industriezonen der Welt, schafft es nicht mehr, ohne ausländisches Geld zu überleben. Kanadische Öl-Milliardäre müssen die Klotener Hockeykultur im Frühjahr 2015 retten.

 

Wichtigster Mitstreiter von Peter Jakob war Langnaus Gemeindepräsident Bernhard Antener. Zuerst brachte der SP-Politiker und spätere Grossratspräsident die 800'000 Franken - Kredit zugunsten der SCL Tigers durchs Parlament, und später leistete nicht zuletzt dank ihm die Gemeinde Langnau mit einem Kredit von 15 Millionen ihren grossen Anteil an der Sanierung der Ilfishalle.

 

Die SCL Tigers haben nie Geld aus Amerika benötigt, nicht einmal Geld aus Zürich oder Bern. Sie sind aus eigener Kraft und mit Hilfe von einheimischen Unternehmern finanziell unabhängig geblieben. Sie haben das Glück, dass in Krisenzeiten immer wieder grosse, starke Persönlichkeiten aus dem Emmental die grosse Hockeybühne betreten und auf ähnliche Art und Weise für eine Rettung sorgen wie der «Hagel Hans» im Gottfried-Klassiker Ueli der Pächter. Auch Ueli der Pächter ist am Ende und will zusammenpacken und gehen – und dann kommt dank dem «Hagel-Hans» auf doch noch alles gut.

 

Doch die SCL Tigers (bzw. damals noch der SC Langnau) mussten bereits in den 1990er-Jahren gerettet werden. Ohne Simon Schenk und Ex Langnau Gemeindepräsident Fred Wenger hätten die Retter von 2009 nicht mehr antreten müssen. Simon Schenk war einer der Leitwölfe im SCL Meisterteam von 1976 und war später erfolgreicher Naticoach. Bei der Rettung war der spätere SVP Nationalrat sowohl Trainer als auch Geschäftsführer.

 

Aus den vielen Persönlichkeiten in struben Zeiten ragen mehrere heraus: Simon Schenk, der nach seiner Karriere als Nationaltrainer heim nach Langnau kommt und den Klub als Trainer und Geschäftsführer in den 1990er Jahren saniert, zweimal aus der 1. Liga zurück in die NLB führt und mit Ehrenpräsident Fred Wenger einen starken Rückhalt hat. In dieser Zeit reift mit Martin Gerber ein Weltklassegoalie heran, der Langnau schliesslich im Frühjahr 1998 in die NLA zurückhexen wird – ohne Martin Gerber hätte es diese Rückkehr ins Spitzenhockey nicht gegeben. Später gewinnt er gar den Stanley Cup und wird in Amerika Dollar-Millionär. Der Landvermesser Hans Grunder tritt auf den Plan, als das Geld wieder auszugehen droht und organisiert am Sonntag, dem 14. Januar 2007 ein Spektakel, das in die Geschichte eingegangen ist: Die SCL Tigers tragen das Derby gegen den SC Bern (2:5) im Stade de Suisse vor 30 076 Zuschauern aus («Tatzen-Derby»). Und als Hans Grunder nicht mehr zahlen mag, ist es sein Schulfreund Peter Jakob, der die SCL Tigers mit Hilfe von Gemeindepräsident Bernhard Antener saniert und den Stadion-Umbau orchestriert.

 

1998 stieg der SCL Langnau völlig überraschend wieder in die NLA auf. Der Jubel war grenzenlos. In der NLB-Qualifikation lediglich Vierter, schalteten die Tiger in den NLB-Playoffs nacheinander Martigny, Biel und Chur aus und versenkten danach die beiden NLA-Vereine La Chaux-de-Fonds und Herisau. einer der Leitwölfe war der legendäre Wale Gerber, dessen Nr. 44 nicht mehr vergeben wird.

 

Die Schweiz reibt sich heute verwundert die Augen: Wie kann es bloss sein, dass in Langnau der Geist der Gründerväter im Zeitalter von Smartphones und Facebook so lebendig geblieben ist. Die im 21. Jahrhundert neu belebte Gotthelf-Romantik («Sahlenweidli») und die Nähe zu Bern – bloss eine halbe Stunde mit dem Schnellzug – täuschen darüber hinweg, wie schwierig das Leben im geografischen Herzen der Schweiz nach wie vor ist. Die niedrigsten Löhne werden landesweit im oberen Emmental bezahlt, und in den letzten 25 Jahren hat sich hier keine neue Firma mehr angesiedelt. Industrialisierung und Globalisierung stellten und stellen diese ländliche Kultur vor riesige Herausforderungen. Die Emmentaler sind wohl selbstbewusst und singen «Niene geits so schön und lustig». Aber der Stolz auf die eigene Kultur geht Hand in Hand mit einer unter der Oberfläche schlummernden Verunsicherung. Ein emmentalisches Paradox. Deshalb ist ein Sportunternehmen hier tiefer verwurzelt und hat eine grössere soziale und politische Bedeutung als an anderen Orten. Seit ihrem ersten Aufstieg in die NLA im Jahre 1961 sind die SCL Tigers Leuchtfeuer und wärmendes Ofenbänkli des emmentalischen Selbstwertgefühls.

 

Die Langnauer Kultfigur verstarb am 8. November 2012 im Alter von erst 43 Jahren an einem Gehirntumor. Die Fans der SCL Tigers werden ihn immer in Erinnerung behalten.

 

Jeder andere Klub wäre spätestens nach den beiden Abstiegen in die dritthöchste Liga (1. Liga) in den 1990er-Jahren untergegangen. Aber die Emmentaler wissen, dass sie nicht loslassen dürfen. Wie wichtig der Zusammenhalt ist. Kein anderer Sportklub hat so treue Anhänger. Selbst in der 1. Liga eilten zu jedem Spiel durchschnittlich mehr als 4000 (!) Leute herbei. Wie sehr der Hockeyklub den Menschen immer noch am Herzen liegt, zeigt ein politisches Bekenntnis. Im Sommer 2011 bewilligt Langnaus Stimmvolk einen Kredit von 15 Millionen Franken für den Umbau des Stadions mit mehr als 70 Prozent Ja-Stimmen. Bei einem Gemeindebudget von bloss 44 Millionen. Das ist nur im 10 000-Seelen-Dorf Langnau möglich. Auf die Stadt Zürich übertragen, entspricht dies einem Kredit von fast drei Milliarden. Die Zürcherinnen und Zürcher haben indes eine Investition in der Höhe von 216 Millionen Franken in ein Fussballstadion verworfen.

 

DIE Langnauer Kultfigur schlechthin: Todd Elik. Zweifellos der beste (ev. mit Peter Sullivan) Ausländer, der je in Langnau gespielt hat. Dank seinen Leistungen und Eskapaden waren die Langnaeur auch immer wieder in der Presse. Bezüglich Medienpräsenz wären zu Eliks Zeiten die SCL Tigers besser gestellt als so mancher «Grosser».

 

Langnaus rundum erneuerter Hockeytempel ist eine der besten Sportarenen im Land. Mit dem modernen Stadion schienen die SCL Tigers «unabsteigbar». Der Abstieg in die NLB kam deshalb 2013 völlig unerwartet. Bei diesem letzten Abstieg 2013 passierte erneut etwas, das uns viel über das Wesen und Wirken der Emmentaler sagt. In der Regel werfen die Verantwortlichen im Sportbusiness nach einem Misserfolg das Handtuch oder werden von den zornigen Anhängern aus den Ämtern verjagt. Aber Peter Jakob hat die Kommandobrücke der SCL Tigers nach dem Untergang im April 2013 nicht verlassen. Ein Emmentaler gibt nicht auf. Er trägt Sorge zu dem, was ihm anvertraut ist. Als die Langnauer am 16. April 2013 mit einer Niederlage in Lausanne die Zugehörigkeit zur höchsten Liga verloren, hatten sie am nächsten Tag keinen Trainer und keinen einzigen Spieler mehr unter Vertrag. Zwei Jahre nach dieser «Stunde null» sind sie im Frühjahr 2015 wieder in der NLA. Sportlich und wirtschaftlich kerngesund. Eine der erstaunlichsten Leistungen in der Geschichte unseres Mannschaftssportes. Gemeindepräsident Bernhard Antener fand nach dieser Rückkehr in die NLA Worte, die in goldenen Lettern im Geschichtsbuch der Langnauer Hockeykultur stehen sollten: «Wir sind wieder auf der Landkarte und wir können nicht in Franken und Rappen beziffern, was uns die SCL Tigers bringen. Der Alltag wird für uns auch nach diesem Aufstieg nicht leichter. Aber diese Rückkehr in die NLA ist so schön und tut uns so gut. Nun fällt uns alles wieder ein wenig leichter.» Es ist halt schon ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man wieder auf der Landkarte ist. Und nichts spricht dagegen, dass die Langnauer auch in den nächsten 70 Jahren auf dieser Landkarte bleiben werden.