Warum sich Sport-Organisationen verschulden

Blog • • von Bruno

 

Klubs vor dem Abgrund haben im Schweizer Eishockey Tradition

 

Der EHC Arosa, der EHC Chur, der HC Davos, der SC Bern, der ZSC, der HC Lausanne, Fribourg-Gottéron, Servette-Genf HC, der HC Ambri-Piotta, die SCL Tigers, und nun die Kloten Flyers – sie alle standen bereits einmal, einige Klubs sogar mehrfach vor der finanziellen Pleite. Dies, obwohl der Verband Buchhaltungen überprüft, Budgets genehmigt und Lizenzen verteilt.SEPARATOR

 

 

Die obige Aufzählung umfasst nur Klubs, welche in der NLA in Schwierigkeiten gerieten. Die Aufzählung erhebt nicht den Anspruch, vollständig zu sein. Weshalb lassen sich Funktionäre, CEOs und Geschäftsführer immer wieder dazu verleiten, mehr Geld auszugeben, als sie einnehmen? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht einfach, denn meist sind mehrere Gründe für die Klubpleiten verantwortlich. Darunter sind auch individuelle Vorkommnisse, wie beispielsweise bei den SCL Tigers Anfang 2005, als der damalige Verwaltungsrat Armin Müller mit seinem vielversprechenden Sponsoringmodell am Betrugs- und Unterschlagungsverdacht seines damaligen Arbeitgebers Actebis scheiterte. Wo aber liegen die Gründe, welche den Boden legen, auf dem die Klubmanager immer wieder ausrutschen. Und es geht wieder einmal um die Frage, wer denn zuerst da war: Das Huhn oder das Ei.

 

Zwei grundverschiedene Philosophien

Umgeschrieben auf den Sport lautet die Frage nämlich: Was war denn zuerst – die Investition oder der sportliche Erfolg? Bei der Beantwortung dieser Frage gibt es zwei Philosophien, welche beide sowohl erfolgreich sein, aber auch scheitern können. Die erste besagt, dass der Manager, der etwas wagt, erfolgreich sein kann. Man stelle sich mit viel Geld eine viel versprechende Mannschaft zusammen, und überzeuge danach die Sponsoren, in dieses «Produkt» zu investieren. Verkauft man diese Strategie erfolgreich an die Sponsoren, und läuft es sportlich auch tatsächlich innert nützlicher Frist rund, so kann diese Strategie gut gehen. Hier käme also das Ei vor dem Huhn, oder die Investition vor dem sportlichen Erfolg. Diese Strategie geht jedoch längst nicht immer gut, denn selbst sportlicher Erfolg verhindert den finanziellen Absturz nicht zwingend. So war beispielsweise der grosse SC Bern nach seinem Titelgewinn 1997 ein Sanierungsfall, ebenso wie der EHC Kloten nach seinen vier Titelgewinnen zwischen 1993 und 1996.

 

Doch auch die gegenteilige Vorgehensweise ist nicht immer erfolgreich. Denn mit Sparen allein lässt sich kein Team aufbauen, welches längerfristig in der obersten Spielklasse erfolgreich sein kann. Der unerwartete Erfolg der SCL Tigers in der Saison 2010/11 mit der sensationellen ersten Qualifikation für die Playoffs kann nur bedingt als Beleg dafür gelten, dass eine Organisation mit Low-Budget-Teams Erfolg haben und damit alle Bedürfnisse der Sponsoren befriedigen kann. Die gerade abgelaufene Saison zeigte gnadenlos auf, dass es für derartige unerwartete Erfolge entsprechende Konstellationen braucht, welche oft rein zufällig entstehen und deshalb nicht beliebig wiederholt werden können. Das Ei vor das Huhn zu stellen, oder den sportlichen Erfolg vor die Investition bedeutet, dass eben nie investiert werden kann, weil der Erfolg ausbleibt. Die Klubmanager stecken bei der Wahl ihrer Strategie in einem Dilemma. Oder aber sie finden einen Weg, so wie Ruedi Zesiger und Peter Jakob einen gefunden haben. Die beiden Alphatiere bei den SCL Tigers vermarkten das traditionsreiche Langnauer Eishockey-Unternehmen nicht über den sportlichen Erfolg. Zudem wird in Langnau sowohl investiert als auch gespart.

 

Niemand erwartet, dass Sportorganisationen Gewinn machen

Doch die Wahl der Philosophie erklärt noch nicht zur Gänze, weshalb sich so viele Sportorganisationen verschulden. Wir Fans interessieren uns für das Geschehen auf dem Eis. Normalerweise mögen wir uns nicht mit Geldflüssen, Inflationstheorien, Lohn- und Preisentwicklungen etc. auseinander setzen. Die Verantwortlichen der Klubs sollten sich jedoch durch die Lehren der Wirtschaft leiten lassen. Denn sie gelten – trotz aller Eigenartigkeiten in diesem Bereich - auch im bezahlten Mannschaftssport. Wer sie nicht beachtet, kann seinen Klub in Schwierigkeiten bringen, sofern er denn in der Verantwortung steht. Für einmal wollen auch wir Fans uns mit dieser Problematik etwas eingehender befassen.

 

Fussball- und Eishockeyklubs der beiden höchsten Ligen sind keine Vereine, sondern Aktiengesellschaften. Sie unterstehen deshalb nicht dem Vereinsrecht, sondern dem Aktienrecht. Aber anders als «normale» Firmen der freien Wirtschaft werden von den Sport-Organisationen keine Gewinne erwartet. Selbst die Bildung von Reserven fordert niemand ernsthaft. Angestrebt wird lediglich ein einigermassen ausgeglichenes Budget. Oder anders ausgedrückt: Jeder Franken, der nicht für die Stadionmiete, Nebenkosten, Ausrüstungen etc. etc. oder für die Tilgung allfälliger Schulden benötigt wird, fliesst eher früher als später in die Löhne. Die Lohnkosten sind denn auch für jeden Klub der weitaus grösste Budgetposten und machen wohl gegen drei Viertel des Gesamtbudgets aus. Eine Ausnahme bildet der SC Bern. Der SCB schreibt Gewinne und bildet sogar Reserven. Die Überschüsse werden jedoch ausserhalb des Kerngeschäfts Meisterschafts-Eishockey erwirtschaftet. Genauso wie der HC Davos, welcher zwar dank des Spengler Cup die zum sportlichen Erfolg fehlenden Millionen im Eishockey dazu verdient, aber eben nicht mit Meisterschafts-Eishockey, sondern mit einem hoch attraktiven, jedoch sportlich vernachlässigbaren Sport-Marketing-Event.

 

Auch in Langnau hat man sich nicht immer an den wirtschaftlichen Gesetzmässigkeiten orientiert. Mehrere Rettungsaktionen zeugen davon. Das aktuelle Modell, getragen und umgesetzt von Peter Jakob und seinen Leuten auf infrastruktureller Ebene, sowie von Ruedi Zesiger und seiner Crew auf der operativen Schiene, dürfte zum Erfolg führen. Wie gross dieser Erfolg sein wird, und wie nachhaltig er sein wird, wird nicht nur von der Qualität der geleisteten Arbeit in Langnau beeinflusst. Wesentlich wird auch sein, wie schnell Klubs wie Ambri, Biel, Servette und Fribourg ebenfalls über erneuerte Infrastrukturen verfügen. Denn spätestens wenn auch die Arenen dieser Klubs saniert oder neu gebaut sind, wird sich ein Teil des durch die Sanierung der Ilfishalle gewonnenen Vorsprungs verflüchtigen.

 

Mäzene stiften oft nicht nur Nutzen

 

Wir formulieren es extra boshaft. Als seinerzeit der Multimilliardär Geo Mantegazza beim HC Lugano einstieg, frohlockten die Tessiner. Aber Mantegazza brachte mit seinen gespendeten Millionen die ganze Liga in Zugzwang. Denn wenn die Eishockey-Meisterschaft nicht zur langweiligen Einbahnstrasse verkommen sollte, mussten die Manager der meisten andern Klubs der Liga mehr Geld erarbeiten. Dadurch kumulierten sich Mantegazzas gespendete Millionen innerhalb der Liga. Das Geld floss jedoch fast bis zum letzten Rappen allein in die Spielerlöhne. Oder eben boshaft ausgedrückt: Es löste sich in Luft auf. So ist das in diesem Geschäft: Wie viel Geld auch immer generiert wird, es fliesst in die Löhne der Akteure und löst sich somit aus der Sicht der Klubs in Luft auf.

 

Im Gegensatz zu einem Sponsor erwartet ein Mäzen für sein finanzielles Engagement keine Gegenleistung. Der Klub erhält so Investitionskapital, das er weder verzinsen noch zurückzahlen muss. Oder als andere Variante: Der Mäzen sichert die Defizite ab und erteilt so seinem Management einen Freipass zur Investition, ungeachtet dessen, ob diese rentiert oder nicht. Dabei gilt es, wie folgt zu unterscheiden: 1.) Mäzene, die «ihren» Klubs mit viel Geld zum Erfolg verhelfen wollen. Beispiel: die Familie Mantegazza verhilft dem HC Lugano zu einem Budget, welches der Klub im freien Markt kaum generieren könnte. 2.) Mäzene, die mithilfen, einen Klub mit Perspektiven, der vom rechten Weg abgekommen ist, wieder auf die Spur zu bringen. Beispiele für diese 2. Kategorie finden wir derzeit bei den SCL Tigers.

 

Wieder etwas boshaft ausgedrückt: Es braucht Geldgeber der zweiten Kategorie, um die Folgen auszubaden, welche Mäzene der ersten mit verursachen. Deren millionenschwere Engagements nützen jeweils nur einem einzigen Verein. Dies allein wäre ja durchaus zu ertragen. Aber was den einen nützt, schadet den andern.

 

Idealerweise generieren Sportorganisationen ihre Einnahmen aus Sponsoring, Zuschauereinnahmen, Catering und Merchandising. Zur Erklärung: Unter Sponsoring verstehen wir die Unterstützung durch Geld- oder Sachwerte in der Erwartung einer Gegenleistung in den Bereichen Marketing, Werbung oder Kommunikation. Mit Catering ist der Verkauf von Verpflegung und Getränken gemeint, und Merchandising der Verkauf von Fanartikeln. Der Gesamtertrag aus diesen Bereichen steht der Organisation zur Verfügung, um alle anfallenden Kosten (Löhne für Spieler, Staff und Management, Nachwuchsförderung, Ausrüstungen, Eismiete etc. etc.) zu bezahlen.

 

Ein fähiger Manager ist für den Erfolg eines Teams deshalb wichtiger als der beste Spieler auf dem Feld. Denn erst der fähige Manager bringt das Geld zusammen, welches das Engagement der Spieler ermöglicht. Er muss dafür möglichst viele Sponsoren an Bord holen, und zudem dafür sorgen, dass möglichst viele Fans in den Sportstätten möglichst viel Geld ausgeben. Manager bei Klubs wie Ambri oder den SCL Tigers haben dabei den deutlich schwierigeren Job als die Verantwortlichen von Stadtklubs. Allerdings sind auch die Grosstadt-Klubs vor finanziellen Schwierigkeiten nicht gefeit, und die Beheimatung in deiner grossen Stadt garantiert einer Organisation noch lange nicht den finanziellen Erfolg. Das Beispiel der ZSC Lions belegt dies eindrücklich.

 

Die ZSC Lions wären ohne Walter Freys jährlichen Defizitdeckungen in Millionenhöhe als Spitzenklub der NLA nicht überlebensfähig. Die Zürcher hatten es vor der Aera Frey schwer, sich im Markt zu behaupten und wären fast Konkurs gegangen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen u.a. in der Konkurrenzsituation auf dem Platz Zürich. Die ZSC Lions müssen sich gegen zwei NLA Fussballcubs (FCZ und GC), im Eishockey gegen die Kloten Flyers, und dazu gegen jede Menge konkurrierende Events ausserhalb des Sports behaupten. Zudem steht ihnen das «heimische» Hallenstadion nur sehr begrenzt für die eigene Vermarktung zur Verfügung. Walter Frey macht mit seinen Millionen jedoch nicht nur die Nachteile für seine Löwen wieder wett, sondern auch so manchen Managementfehler. Werden durch Spieler-Fehlverpflichtungen ein paar hunderttausend Franken in den Sand gesetzt: Kein Problem. «Walti» zahlt, wenn auch erst am Ende der Saison, wenn abgerechnet wird. Streng genommen müsste man sagen: Die Zürcher haben für ein Spitzen-Eishockeyteam in dieser Kostenklasse nicht genügend Markt. Ohne Walter Frey könnten sich die ZSC Lions bedeutend weniger an den Lohntreibereien innerhalb der Liga beteiligen.

 

Die Mäzene des HC Lugano heissen Mategazza. Vicki Mategazza, Tochter des legendären Geo, leitet heute als VR-Präsidentin die Geschicke des Vereins. Dank Mantegazza-Millionen kann sich Geschäftsführer Alain Vetterli, dessen Fähigkeiten wir nicht in Zweifel ziehen, im operativen Geschäft Fehler erlauben. Fehlentscheide können jederzeit mit Geld korrigiert werden. Die Höhe der Löhne einzelner Spieler spielten und spielen teilweise überhaupt keine Rolle. Erst kürzlich erntete Luganos Trainer Larry Hurras unter seinen Zuhörern schallendes Gelächter, als er nach seinem Scheitern im Viertelfinal der diesjährigen Playoffs behauptete, er müsse sich an ein Budget halten. Auch der HC Lugano hat für ein Spitzen-Eishockeyteam in dieser Kostenklasse nicht genügend Markt. Ohne die Familie Mantegazza könnte sich der HCL bedeutend weniger an den Lohntreibereien innerhalb der Liga beteiligen.

 

Mäzene sind - im Gegensatz zu Sponsoren - Förderer mit Geld- oder Sachwerten, die keine Gegenleistung für ihre Engagements erwarten. Für von Mäzenen unterstützte Klubs spielen wirtschaftliche Daseins-Berechtigungen lediglich eine untergeordnete oder in krassen Fällen überhaupt keine Rolle. Mäzene erweisen sich meistens als ein Segen für die Geförderten. Der HC Lugano wäre ohne die Mantegazzas wohl nie auch nur in die Nähe eines Titelgewinns gekommen. Dank des finanziellen Engagements von Geo Mantegazza (der Vater von Vicky war von 1978 bis 1991 selbst Präsident des HCL und unterstützt den Klub bis heute massiv) gewannen die Tessiner in den Jahren 1986-1988, 1990, 1999, 2003 und 2006 insgesamt sieben Meistertitel. Auch die ZSC Lions hätten sich ohne Walter Frey vermutlich sowohl ihre Meistertitel in den Jahren 2000, 2001 und 2008, wie auch denjenigen der gerade ablaufenden Meisterschaft abschminken können. Aber die Engagements der Mäzene im Sport haben auch Schattenseiten: Sie treiben die Löhne der Spieler in die Höhe. Dieser Lohntreiberei, an welcher sich auch der HC Davos mit seinen Spengler Cup – Millionen aktiv beteiligt, können sich mittelfristig auch die andern Klubs nicht entziehen. Denn einfach so können diese den Erfolg nicht sausen lassen. An der Konkurrenzfähigkeit der Teams hängen auch die Interessen der Zuschauer und der Sponsoren. Zuschauer könnten wegbleiben, Sponsoren abspringen oder auf die Preise drücken. Die Manager stehen also vor dem Dilemma: Höhere Lohnkosten oder weniger Einnahmen. Und plötzlich ist bei einzelnen Vereinen der Aufwand höher als der Ertrag.

 

Im Prinzip gilt: Gib nicht mehr aus, als du einnimmst. Diesem Prinzip versucht – dies nehmen wir zu Gunsten der Manager an – jeder Verantwortliche einer Sportorganisation nachzuleben. Aber was tut ein Manager, wenn andere Klubs mit viel Geld versuchen, ihm seine besten Spieler abzujagen. Hält er dagegen? Bietet er ebenfalls mehr Lohn und bringt so sein Budget aus dem Gleichgewicht? Oder lässt er es bleiben, in der Hoffnung, irgendwie mit einem deutlich günstigeren Schnäppchen die verlorene Substanz zur Zufriedenheit von Zuschauern und Sponsoren wieder zu kompensieren? Investiert er, muss er versuchen, die Mehrausgaben anderswo wieder herein zu bringen. Andernfalls droht ein Defizit. Investiert er nicht, droht der Leistungseinbruch des Teams, und daraus resultierend Mindereinnahmen bei den Zuschauern und den Sponsoren. Auch damit wäre ein Defizit verbunden.

 

Mäzene nützen einzelnen Klubs. Nämlich denjenigen, welche sie unterstützen. Aber sie bringen das natürliche, allerdings auch so schon labile Gefüge unter den Klubs zusätzlich durcheinander. Die Wirtschaftslehre besagt: Je mehr Geld in einen Markt gepumpt wird, desto mehr steigen die Preise. Mit «Preise» sind auch die Löhne gemeint. Mäzene pumpen Geld in die Sportmärkte und sorgen damit dafür, dass die Löhne der Spieler generell steigen. Aber mehr noch: Sie erlauben es teilweise den Managern der unterstützten Klubs, nicht mehr rational handeln oder wirtschaften zu müssen. Dies setzt die Konkurrenten unter zusätzlichen Druck.

 

Übrigens: Der HC Lugano machte den SCL Tigers mit viel Geld den dem HC Genf Servette gehörenden Playoff-Torhüter Benjamin Conz abspenstig. Die Tessiner wollten unbedingt den nachlassenden, ehemaligen Stanley Cup Sieger David Aebischer ersetzen, und Geld spielte dabei keine Rolle. Deshalb konnten sie den jungen Jurassier selbst gegen dessen Willen ins Tessin holen. Dieser Transfer wäre ohne Mäzen nicht möglich gewesen. Wo wären die Tiger in dieser Saison gelandet, wenn wiederum ein glücklicher Benjamin Conz das Tor gehütet und ständig vier ausländische Feldspieler gespielt hätten? Und wo der HC Lugano?