EVZ-Sportchef Reto Kläy:

Der Einbau von jungen Spielern geht nicht auf Knopfdruck

Das Eishockey erlernte er in Langnau, war danach Spieler beim SC Langenthal. Als Sportchef führte er den Klub 2012 zur NLB-Meisterschaft. Jetzt versucht er beim EV Zug auf der gleichen Position, auch den NLA-Titel zu gewinnen. Doch Reto Kläy liegt auch der Nachwuchs am Herzen.

News • • von Bruno Wüthrich

Bild: Marcel Bieri

 

Reto Kläy ist der lebende Beweis dafür, dass es nicht nötig ist, eine grosse Spielerkarriere hinter sich zu haben, um ein grosser Trainer oder ein guter Sportchef zu werden. In diesem Interview, welches ich für die Zeitschrift s'Positive (www.spositive.ch) führte, geht es in erster Linie um den SC Langenthal und den EV Zug, aber auch ein wenig um Langnau. Ich bringe es hier, weil Reto Kläy Visionen und grosse Erfahrungen im Bereich Nachwuchsförderung hat. Er ist der Initiant des Projekts EVZ Academy und deren NLB-Mannschaft.

 

s'Positive: Sie haben seinerzeit als Sportchef in Langenthal dafür gesorgt, dass alle Blicke auf die NLB und in den Oberaargau gerichtet waren. Nämlich dann, als während der laufenden Saison 2009/10 bekannt wurde, dass auf die nächste Saison hin Jeff Campbell und Brent Kelly vom ärgsten Konkurrenten Olten nach Langenthal wechseln würden. Die beiden waren in dieser Spielzeit gemeinsam für 173 Skorerpunkte verantwortlich. Die Erschütterung, welche diese Veröffentlichung zur Folge hatte, könnte auch in der NLA kaum getoppt werden.

Reto Kläy: Ja, das war damals lustig. Ich freue mich heute noch, wenn ich die beiden sehe. Wir hatten zuvor keine Top-Ausländer, und deshalb hatte ich verschiedene Namen auf meiner Liste. Der erste, den ich anrief, war Brent Kelly. Von seinem Agenten wusste ich, dass er in Olten noch keine Vertragsofferte hatte, und wir trafen uns um die Weihnachtszeit in Rothrist. Ich erzählte ihm von unseren Plänen in Langenthal, zeigte mich überzeugt, dass es ihm bei uns gefallen würde. Kelly sagte zu. Als wir uns verabschiedeten, fragte er mich noch, ob denn Jeff Campbell nicht auch einer für den SCL wäre. Der habe nämlich auch noch keinen Vertrag. Da ich noch einen Center suchte, sass ich bereits am folgenden Tag mit dem nächsten Oltener in Rothrist.

Etwas ganz anderes: Können Sie uns den Begriff «Psychoneuroimmunologie» erklären?

Das ist eine Mischung von Psychologie, Immunologie und Endokrinologie. Dabei geht es um das Konstrukt Mensch und die Zusammenhänge zwischen Leib und Seele.

Geht es etwas genauer?

Haben Sie etwas am Herzen, gehen Sie zum Kardiologen. Bei einer Hormonstörung steht ein Besuch beim Endokrinologen an. Wir gehen also immer zum Spezialisten. Doch es gibt Zusammenhänge zu andern Bereichen wie zum Beispiel der Psychologie und der Immunologie.

Wir fragen Sie dies, weil wir wissen, dass Sie darin bewandert sind. Wie kann man dies erlernen?

Durch einen Leergang, wo es darum geht, diese Zusammenhänge zu verstehen.

Helfen Ihnen diese Kenntnisse bei der Aufgabe als Sportchef?

Ja. Ich habe mit Menschen zu tun. Da erkenne ich immer wieder Zusammenhänge. Diese Erkenntnisse erleichtern meine Aufgabe. Aber ich befasste mich auch noch mit vielen anderen Dingen, wie Ernährung, Fitness und Management. All dieses Wissen hilft bei der Ausübung meines Berufes.

Waren sie deshalb bereits als junger Sportchef sehr erfolgreich?

Für die Leistungen auf dem Eis sind der Trainer und die Spieler verantwortlich. Natürlich kann ich als Sportchef gewisse Dinge beeinflussen. Dabei geht es auch um Bereiche, die gegen aussen direkt mit Erfolg verbunden werden. In Langenthal war ich nach dem Aufstieg in die NLB als Spieler mit dabei und erlebte, wie diese Organisation nach und nach wuchs und wie es Schritt für Schritt aufwärts ging. 2012 wurde diese Entwicklung dann mit dem Meistertitel gekrönt. Doch das ist ja eigentlich nur das Kerngeschäft. Dies gilt auch für Zug. Gegen aussen werden wir an den Erfolgen gemessen. Die erste Mannschaft ist nur die sichtbare Spitze des Eisberges. Alles was unter der Oberfläche ist, wird nicht gesehen. Doch auch diese Bereiche wollen aufgebaut werden und müssen solide und stabil sein. Um die jungen Profis an höhere Aufgaben heran zu führen, haben wir die Academy aufgebaut und spielen auch in der NLB. Dieser Puzzlestein fehlte bisher.

Sie kamen ja in Langnau zu Eishockey, durchliefen dort sämtliche Nachwuchsstufen. Es wird immer wieder proklamiert, dass Klubs wie die SCL Tigers die Ausbildungsklubs sein müssten. Doch in Tat und Wahrheit sind es doch Organisationen wie die ZSC Lions oder der EV Zug, welche diese Rolle mit ihren Akademien inzwischen übernommen haben. Oder handelt es sich da um eine falsche Wahrnehmung?

Als ich mit Eishockey begann, war Langnau wahrscheinlich der beste Ausbildungsklub überhaupt. Die Tigers haben immer noch eine gute Nachwuchsabteilung, aber dadurch, dass nur ein Eisfeld zur Verfügung steht, ist nicht alles, was es zum Gedeihen braucht, zur Genüge vorhanden. Durch die Academy und das NLB-Team haben wir in Zug die Möglichkeit, die eigenen Spieler bei uns zu halten und sie bei uns an die NLA heran zu führen.

Ist der Erfolg der ersten Mannschaft mit Nachwuchsförderung vereinbar?

Für jeden Klub in der NLA ist der Abstieg ein Horrorszenario. Zumindest der Verbleib in der Liga ist enorm wichtig. Weil der Druck für gefährdete Teams so gross ist, wird es schwierig, junge Spieler einzubauen. Doch ich bin der Überzeugung, dass der Erfolg der ersten Mannschaft und der Einbau junger Spieler gleichzeitig möglich sind. Doch dies geht nicht auf Knopfdruck.

Wenn ich Sie richtig verstehe, gelingt dies bei Teams mit einem grossen spielerischen Potential leichter.

Das stimmt. Es braucht einen Stamm an Qualitätsspielern, um den herum dann die Nachwuchskräfte eingebaut werden können. Der Einbau junger Spieler erfordert manchmal trotzdem eine gehörige Portion Mut. Wir sehen dies am Beispiel des HC Davos, der in dieser Saison mit zwei sehr jungen Torhütern antritt.

Wobei es sich bei den Torhütern um zentrale Figuren handelt, während junge Feldspieler in zunächst kurzen Einsätzen mit der vierten Linie noch keine entscheidende Rolle spielen.

Torhüter sind natürlich sehr zentral. Und wir sahen in Davos, dass Nachwuchskräfte zu Beginn Fehler machen. Sie brauchen Einsätze, um an Sicherheit zu gewinnen. Gilles Senn und Joren van Pottelberghe zeigen uns anhand ihrer Entwicklung, dass es sich lohnen kann. Es bleibt jedoch immer ein Abwägen. Wenn es der Mannschaft nicht läuft, reklamieren diejenigen, die vorher den Einbau von Jungen gefordert haben, als erste.

Was kann dieses Abwägen beeinflussen.

Die richtigen Jungen. Man muss ihnen nicht den roten Teppich ausrollen. Eishockey ist keine Wohlfühloase. Es braucht den Willen und die Bereitschaft, den schweren Weg zu gehen und den Preis dafür zu zahlen.

Fabian Haberstich und Ihr Bruder Fabio sind zwei Langnauer, die in Ihrer Organisation an höhere Aufgaben heran geführt werden.

Mein Bruder wechselte bereits mit 15 Jahren nach Übersee und versuchte, dort seinen Weg zu machen. Er wäre geblieben, hätten wir ihm in Zug nicht diese Möglichkeit bieten können. Fabian Haberstich tut die Luftveränderung gut. Er merkt in Zug, was es wirklich braucht. Immer im gleichen Klub zu spielen, kann bei gewissen Spielern zu Bequemlichkeit führen.

Kann sich Nachwuchsförderung überhaupt finanziell auszahlen?

Sicher nicht so wie im Fussball. Doch wer Spieler ausbildet, die später in der NLA Karriere machen und vielleicht zu Nationalspielern gedeihen, wird durch die Ausbildungsentschädigungen belohnt. Es geht also für die Ausbildner darum, möglichst viele gute Spieler auszubilden.

Die Rechnung geht nicht auf, wenn ein Spieler in die NHL wechselt.

Das stimmt. Wir haben kein Agreement mit der NHL. Ein solches hat Nachteile, wie man in Schweden sieht. Dort werden die Klubs bei einem Wechsel in die NHL mit 250'000 Dollar entschädigt. Im Gegenzug kann sich die NHL zu jedem Zeitpunkt bedienen. Der Schaden, der entsteht, wenn im Juli einer der besten Spieler wechselt ist grösser als diese Entschädigung.

Sie heuerten bereits in jungen Jahren beim SC Langenthal an.

Weil ich mich immer auch auf anderes konzentrierte, wurde aus mir ein mittelmässigen Spieler. Ich weiss heute, was ich falsch gemacht habe, bin aber mit meiner Karriere als Spieler im reinen. Als ich nach dessen Aufstieg zum SCL wechselte, hatte ich bald einmal das Gefühl, dass hier etwas entsteht. Stefan Anliker war damals bereits Präsident. Eines Tages kam Geschäftsführer Heinz Schlatter auf mich zu und offenbarte mir, dass er meinen Vertrag – aus finanziellen Gründen, oder weil ich nicht ganz gut genug war - nur unter der Bedingung verlängern könne, wenn ich selbst für meine Finanzierung sorgen würde. Ich sollte Sponsoren für meine Weiterbeschäftigung finden. Ich war damals bereits nebenbei im Marketing des SCL tätig und nahm diese Herausforderung an. So wurde ich zum wahrscheinlich damals best-verdienenden Spieler der NLB.

Wie kam es dazu, dass Sie Sportchef wurden?

Nach dem Weggang von Heinz Schlatter kam Präsident Anliker auf mich zu und meinte, dass es einen Sportchef brauche. Damals machte mir eine hartnäckige Handgelenkverletzung zu schaffen, und so beendete ich mitten in der Saison meine Karriere als Spieler und wechselte innerhalb des Klubs die Aufgabe. So wurde ich zuerst zum Assistenten des Sportchefs, obwohl es in Langenthal gar keinen Sportchef gab. Ich merkte dann schnell, dass es einiges zu optimieren gab. Ich hatte bereits in Langenthal die Idee einer Academy. Doch Geld und Ressourcen waren nicht vorhanden. Um den Klub und mich selbst weiter zu bringen, bildete ich mich jahrelang in Konditions- und Ernährungslehrgängen etc. weiter und landete schliesslich beim Lehrgang über Psychoneuroimmunologie.

Sie veränderten in Langenthal vieles.

Das Ziel einer Fördergruppe war, auserwählte Spieler speziell zu coachen, mit ihnen Spezialtrainings durchzuführen und sie damit möglichst lange an den SCL zu binden. Yannick Blaser war der erste, den ich persönlich betreute. Ihn traf ich später in Zug wieder. Aber die Initialzündung erfolgte mit Sven Bärtschi. Er war als Lehrling beim SCL angestellt. Sven hatte damals fast von jedem andern Klub eine Vertragsofferte, und ich sass mit ihm und seiner Mutter an einen Tisch, um zu sehen, wie es weiter gehen könnte. Sven teilte uns mit, dass sein Ziel die NHL sei, und ich machte ihm das Angebot, ihm dabei zu helfen und ihn persönlich zu betreuen. Wir wurden uns einig und verbrachten dann viele Stunden zusammen. Vier Jahre später unterschrieb er in der NHL einen Millionenvertrag. Doch ich betreute auch weitere Spieler persönlich.

Die jungen Talente wollen Spielpraxis. Die Spezialtrainings allein dürften sie nicht in Langenthal gehalten haben.

Das war das Wichtigste. Wir sorgten dafür, dass diese Spieler immer auf dem höchst möglichen Level eingesetzt wurden. Gegebenenfalls liehen wir sie nach Biel oder Langnau aus, behielten jedoch die Ausbildungseinheiten bei uns.

Welches sind die Aufgaben eines Sportchefs?

Viele Leute haben den Eindruck, ein Sportchef schaue sich Spieler an, schliesse Verträge ab und suche den Trainer. In meiner heutigen Tätigkeit machen diese Aufgaben etwa fünf Prozent des Zeitaufwandes aus. Ich habe heute die Verantwortung über den ganzen Sportbereich. Dies betrifft eine NLA-, eine NLB- und diverse Nachwuchsmannschaften, inkl. die Finanz- und Budgetverantwortung. Dieser Bereich ist riesig. Klar ist die NLA-Mannschaft das Hauptthema. Aber es hängt enorm viel hinten dran.

Unterscheiden Sie sich von anderen Sportchefs?

Das glaube ich schon. Dies ist allein schon in meinem Aufgabenbereich begründet. Auf jeden Fall bin ich von meiner Ausbildung her breit abgestützt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich deswegen in Zug gelandet bin.

Ist es ein grosser Unterschied, Sportchef einer NLB- oder einer NLA-Organisation zu sein?

Wenn man die Aufgabe mit Leidenschaft angeht, ist beides mit sehr viel Aufwand verbunden. Aber mein jetziger Job in Zug unterscheidet sich schon von dem in Langenthal. Die Aufgabe hier ist viel umfangreicher, es sind auch viel mehr Leute involviert. Wir operieren mit einem ganz anderen Budget und auch die Medienpräsenz ist viel grösser.

Sind Sie noch oft in Langenthal?

Ja, das bin ich. Meine Freundin wohnt immer noch hier. Allerdings habe ich nicht mehr so oft die Gelegenheit, mir Spiele des SCL anzuschauen, was schade ist.

Bei Ihrem Wechsel von Langenthal nach Zug schien auch eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Klubs möglich.

Solche Zusammenarbeiten zwischen zwei ambitionierten Teams sind oft schwierig. Die Ansprüche können zu Konflikten führen. Hinzu kommen logistische Probleme, denn die Nachwuchsspieler, um die es bei einer derartigen Zusammenarbeit geht, müssen hin und her geführt werden, und wissen zeitweise nicht mehr, wohin sie nun gehören. Das Wichtigste aber ist, dass ich nicht über das andere Partnerteam bestimmen kann. Wenn ich einen Spieler nach Langenthal gebe, von dem ich gerne möchte, dass der im Powerplay eingesetzt wird, kann ich dies vom SCL nicht verlangen. Dort spielen bereits genügend Spieler, die in Überzahl eingesetzt werden können, und die Ansprüche der Fans und Sponsoren an die eigene Mannschaft sind hoch. Mit unserem eigenen NLB-Team ist dies anders. Hier kann ich mit den Coachs reden und ihnen sagen, wie ich welchen Spieler gerne eingesetzt haben möchte. Im Pflichtenheft der Coachs der Academy steht nicht ein bestimmter Tabellenrang, sondern dass daraus jede Saison zwei bis drei NLA-Spieler hervorgehen sollten.

Deshalb ist es kein Drama, dass Ihr NLB Team die Playoffs verpasst hat, obwohl es lange Zeit gut unterwegs war.

Das ist richtig. In der Academy wird gut gearbeitet. Wir hatten sechs Spieler in der U20 – Nationalmannschaft. So viele wie nie zuvor. Viele Spieler wurden bereits auf Stufe NLA eingesetzt. Das Erreichen der Playoffs wäre trotzdem gut gewesen. Wir wollen die jungen Spieler auf Sieg programmieren. Es soll ihnen nicht gleichgültig sein, ob Spiele gewonnen oder verloren werden.

Der EVZ schliesst die aktuelle Qualifikation in den vordersten Positionen ab. Nächstes Jahr ist es genau zwanzig Jahre her, seit die Organisation ihren ersten und bisher einzigen Meistertitel gewann. Würden Sie unterschreiben, wenn man Ihnen offeriert, dass Zug zwanzig Jahre nach dem ersten wieder einen Titel gewinnt? Oder sagen Sie, das schaffen wir bereits in diesem Jahr?

Das ist eine gute Frage (lacht). Ich rede nicht gerne über den Meister. Aber es wäre zumindest gut, wenn mal wieder eine Wachtablösung stattfinden würden.

 

Das ist Reto Kläy

Reto Kläy wurde am 31. August 1978 als Sohn eines Architekten geboren und wuchs in Langnau auf. Zum Eishockey kam er durch den SC Langnau. Nach zwei Jahren bei EHC Visp spielte er auch zehn Spiele für den SC Rapperswil-Jona in der NLA, und wechselte nach einem Jahr beim EHC Olten auf die Saison 2002/03 hin zum SC Langenthal, dem er sechs Jahre als Spieler und danach fünf Jahre als Sportchef erhalten blieb. In seine Wirkungszeit fiel auch der Gewinn der NLB Meisterschaft des SCL. Seit dem Sommer 2014 ist seine neue Wirkungsstätte in gleicher Funktion beim ambitionierten A-Ligisten EV Zug.