Weshalb sich die Experten auch diesmal wieder irren

Die Taktik von Atila

John Fust muss ein Tausendsassa sein, wenn er die SCL Tigers gut durch die Saison bringen will. Denn er muss a) das Publikum und die Sponsoren bei Laune halten, indem sein Team in jedem Spiel um den Sieg kämpft, wenn nötig bis zum Umfallen. Und er muss dafür sorgen, dass b) seine Mannschaft in der wichtigsten Phase der Saison in der bestmöglichen Verfassung ist. Vor allem dann, wenn die wichtigste Phase den Namen «Playout» trägt.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Dass b) gelingt, bezweifeln inzwischen einige Experten. Sie schätzen den Energie- und Willensaufwand sowie den Kräfteverschleiss der SCL Tigers so hoch ein, dass sie früher oder später einen Leistungseinbruch befürchten. Zugegeben: Es handelt sich um die gleichen Experten, welche die Emmentaler in ihren Vorschauen auf den 12. und letzten Platz gesetzt, und sie teilweise als nicht ligatauglich eingeschätzt haben. Völlig unterschätzen wollen wir die Meinung dieser Experten trotzdem nicht. Zur Erläuterung, was die Experten meinen, erzähle ich euch, was ich kürzlich live mitverfolgt habe.

Kürzlich in der Pferdekoppel:

Zwei Hengste, Atila und Toxy, sollen der Herde beigefügt werden. Da diese in Bijou bereits einen Leithengst hat, stehen einige Positionskämpfe bevor. Walter, der Halter der Herde, rechnet damit, dass sich Bijou behaupten kann, denn von den beiden Neuen ist Atila zu alt, und Toxy noch zu jung.

 

Atila war früher selbst Leithengst. Zur Überraschung aller hält sich dieser völlig abseits, während Toxy den bisherigen Chef sofort herausfordert. Er ist Bijou jedoch noch unterlegen. Aber er schafft es, ihn richtig zu fordern, rennt mit ihm im Nacken von einer Ecke zur andern, kreist um die Bäume, schafft es immer wieder, dass sein Kontrahent die längeren Wege gehen muss. Walter kommen Bedenken. Bijou ist ebenfalls nicht mehr der Jüngste, und kommt allmählich aus der Puste. Plötzlich sucht Toxy Schutz bei Atila, welcher immer noch teilnahms- und interesselos vor sich hin grast, als ginge ihn das Ganze nichts an.

 

Ahnungslos setzt Bijou nach. Vom alten Atila befürchtet er nichts. Mit seinen nachlassenden Kräften will er den resignierenden Toxy endgültig in die Schranken weisen. In diesem Moment kracht es. Atila explodiert richtiggehend. Mehrere seiner Tritte treffen Bijou voll und weisen ihn in die Schranken. Innerhalb von Sekunden ist der Kampf entschieden. Neuer Chef der Herde ist Atila!

 

Der Kampf zwischen dem jungen Toxy und dem bisherigen Leithengst Bijou wurde dadurch entschieden, dass Letzterer seinem jungen Konkurrenten kräftemässig noch überlegen war. Aber bereits hier war eine Taktik erkennbar. Der junge Toxy schien zu ahnen, dass er Bijou konditionell überlegen war. Er legte es darauf an, diesen zu ermüden. Was geworden wäre, wenn Toxy den Kampf gewonnen hätte, wissen wir nicht.

 

Das vorläufige «Endspiel» um die Herrschaft in der Koppel entschied Atila deshalb für sich, weil er sich desinteressiert stellte und seine Kräfte für den entscheidenden Augenblick schonte. Er war seinem kräftigeren Konkurrenten Bijou taktisch haushoch überlegen.

 

Wichtig, aber nicht 1:1 auf die Tiger anwendbar

Dieses Erlebnis, das mit Eishockey nichts zu tun hat, zeigt uns, was die Experten meinen.

 

In der Tat: John Fust kann das Saisonziel nur erreichen, wenn er mit den Kräften seines Teams haushälterisch umgeht. Anders als die Experten sehe ich hier jedoch keine Gefahr. An die Substanz gehen vor allem Spiele wie diejenigen gegen Lugano oder Ambri, welche schliesslich trotz grossem Aufwand verloren gehen. Siege dagegen fordern nicht nur Substanz, sondern sie geben auch welche. Erfolge verleihen Schub und Selbstvertrauen. Siege wie diejenige gegen die Lakers und gegen Biel fordern dem Team zudem nicht alles ab. Wer zu Beginn des letzten Drittels mit zwei Toren führt, verfährt mit seinen Kräften haushälterisch als derjenige, welcher dem Rückstand hinterher rennt.

 

Walter, der Pferde-Experte, sah für Atila keine Chance mehr auf den Chefposten. Er irrte sich, weil er nur das hohe Alter, nicht aber die Schlauheit von Atila in Rechnung hatte. Der alte Hengst schaffte es mit der richtigen Taktik in seinen alten Tagen nochmals auf den Thron. Toxy momentan im Schutz von Atila, wird wohl bald schon zu dessen Rivalen. Atila, obwohl der Schlauste der drei Hengste, ist zu alt, sich seine Position langfristig zu sichern. Auch Bijou könnte – an Erfahrung reicher – die Position des Alten bereits in Kürze wieder angreifen.

 

Bei den SCL Tigers verhält sich dies anders: Sie sind jung! Und sie haben eine neue Führung und die Zukunft vor sich. Und sie haben einen schlauen Coach, über welchen die Experten noch wenig wissen. John Fust wird darauf schauen, dass der Tiger im entscheidenden Phase der Saison bereit ist.