Die andere Sicht

Gedanken über den Abgang von Ville Koistinen

Sie schliessen Verträge ab. Doch sie lösen diese auf, wann immer etwas nicht mehr passt. Dies mit der Zustimmung ihres Arbeitgebers. Es geht um das ausländische Personal der SCL Tigers.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Brendan Shinnimin, Rob Schremp, Chris DiDomenico und jetzt Ville Koistinen. Immer wieder sind es andere Gründe, die scheinbar unwiderlegbar gegen ein weiteres Engagement eines Spielers im Emmental sprechen. Chris DiDomenico wollte in die NHL. Eine Chance, die er – dies sei zugegeben – wohl nie mehr in seinem Leben erhalten hätte. Doch weshalb zählt das Interesse eines Einzelnen mehr als das Gesamtwohl? Bei Shinnimin und Schremp war es die jeweilige Situation im Team. Nicht verschweigen wollen wir, dass die SCL Tigers bei einem Abgang eines Spielers auch einen Lohn sparen, was wohl die eine oder andere Entscheidung etwas beeinflusste.

Nun hat also Ville Koistinen die SCL Tigers wegen einer Frau verlassen. Vergleiche dazu den Artikel von Klaus Zaugg auf Watson. Beziehungsweise wegen mindestens zwei Frauen. Die Eine, weil er ihr erlegen ist, die andere, weil sie sich dies als Ehefrau nicht gefallen liess. Ville Koistinen wollte danach seine Ehe retten, was scheinbar in Langnau nicht mehr möglich war.

Ville Koistinen ist verheiratet und Familienvater. Wie wohl die meisten Männer ist er nicht gefeit gegen andere Versuchungen, die als Eishockeyspieler mit Starstatus wohl noch etwas vielfältiger sind als für einen normalen Mann. Deshalb wollen wir wegen des mutmasslichen Fehltritts nicht den Stab über Ville Koistinen brechen. Nicht, wenn wir Männer sind, weil wir nicht wissen, wie wir in der entsprechenden Situation reagiert hätten. Aber auch die Frauen sollten dies nicht tun, denn für die Liebe braucht es immer zwei.

Es ist ehrenwert, dass Koistinen seiner Ehefrau und seiner Familie zuliebe, und weil er wohl der anderen Frau in Langnau nicht mehr begegnen will, die Konsequenzen zog und um Auflösung seines Vertrages bat. Und weil man Reisende nicht aufhalten soll (so der Volksmund), und weil ein Reisewilliger an dem Ort, den er verlassen will, seine Leistung sowieso nicht mehr erbringen würde (so die allgemeine Vermutung und meist genannte Erklärung), stimmten die Verantwortlichen der SCL Tigers der Auflösung des Kontraktes zu.

Die SCL Tigers als Problemlöser

Doch was haben die privaten Probleme des Finnen mit den SCL Tigers zu tun? Sind die Verantwortlichen des Langnauer Eishockey-Unternehmens wirklich gehalten, einem derartigen Anliegen zuzustimmen? Oder noch etwas krasser gefragt: Ist es wirklich immer richtig, die Interessen der Organisation, der Mannschaft, der Verantwortlichen, der Sponsoren und der Fans zurückzustellen hinter die Interessen eines Einzelnen? War es richtig, Chris DiDomenico ziehen zu lassen? Ist es richtig, dass die privaten Fehltritte von Ville Koistinen zulasten der SCL Tigers gelöst werden (sofern sie denn wirklich gelöst sind)? Stimmt die Mär, dass ein Spieler, dessen Ansinnen auf Vertragsauflösung zurück gewiesen wird, künftig die Leistung nicht mehr erbringen kann oder wird? Sicher: eine Zeitlang müsste sicher mit Leistungseinbussen gerechnet werden. Oder sie wären zumindest nicht auszuschliessen.

Der Ruf des Spielers

Doch jeder Spieler hat auch einen Ruf zu verlieren. Er will seine Karriere nicht gefährden. Er gefährdet sie aber, wenn er seine Leistung über einen längeren Zeitraum nicht mehr erbringt. Dies drückt auf den künftigen Lohn. Auch dann, wenn es später doch noch zu einem Wechsel kommen sollte.

Falls also ein Spieler wegen einer abgelehnten Vertragsauflösung in ein Leistungsloch fallen sollte, wird er bereits nach kurzer Zeit alles daran setzen, aus diesem wieder heraus zu finden. Sich zu weigern, den Vertrag zu erfüllen oder sein Bestes zu geben, würde ihm spätestens nach einer kurzen Zeit des Schmollens nicht mal mehr im Traum einfallen. Es geht immerhin um nichts weniger als die Fortsetzung seiner Karriere. Es geht um die Erhaltung eines guten Rufes. Es geht auch um die eigene Befindlichkeit, denn ein Vertrag ist ein Rahmen, den man sich selber gegeben hat, und innerhalb dessen man so weit wie möglich Glück und Zufriedenheit sucht. Ein Eishockeyspieler, der zur Erfüllung des Vertrages gezwungen wird, bleibt trotzdem ein Eishockeyspieler. Er bleibt einer, der das Spielen, den Sport, den er liebt, zu seinem Beruf gemacht hat. Er will so rasch als möglich wieder spielen und Erfolg haben, weil für einen Spieler der Erfolg im Spiel die Glücksgefühle ausmacht.

Die SCL Tigers hatten Alternativen zur Verfügung. Sechs Söldner standen vor Koistinens Abgang zur Verfügung. Zugegeben nicht alle ganz gleichwertig, zumindest wenn man die beste Form von Koistinen zum Massstab nimmt. Der Finne wurde vor der Vertragsauflösung das eine oder andere Mal nicht eingesetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Pausen bereits mit den privaten Problemen zu tun hatten. Zu vermuten ist auch, dass es wohl nicht lange gedauert hätte, dass Koistinen unbedingt wieder als Stammspieler ins Team hätte zurückkehren wollen. Vielleicht gerade deswegen, weil er damit seine privaten Probleme therapiert hätte. Flüchten ist zudem selten die beste Lösung. Was ist, wenn der Fluchtgrund zu allem entschlossen ist und nachreist? Der Erfolg wäre ja zumindest nicht ausgeschlossen (wir wollen jetzt nicht wahrscheinlich sagen).

Der Ruf des Unternehmens

Die Frage bleibt: Ist es richtig, die Interessen der Organisation, der Mannschaft, der Verantwortlichen, der Kunden und der Fans hinter die Interessen eines Einzelnen zu stellen? Was passieren kann, erleben die SCL Tigers gleich mit dem schlimmstmöglichen Szenario. Bereits im zweiten Spiel nach dem Abgang von Ville Koistinen verletzte sich sein Landsmann Antti Erkinjuntti schwer. Mit seiner ausgekugelten Schulter wird er wohl längere Zeit ausfallen. Erkinjuntti ist wie Koistinen ein Teamleader. Beide waren und sind kreative Spieler. Sie orchestrieren das Spiel ihrer Mannschaft. Ohne jeden Zweifel darf behauptet werden, dass im Normalfall Erkinjuntti und Koistinen die beiden wichtigsten Einzelspieler im Kollektiv der SCL Tigers sind (bzw. im Fall von Koistinen war). Die Emmentaler müssen jetzt, wo es um die letzten Chancen geht, noch die Playoffs zu erreichen, auf ihre beiden besten Einzelspieler verzichten. Auf den einen verzichten sie freiwillig, beim anderen ist es höhere Gewalt.

Ob die SCL Tigers die Playoffs erreichen oder ob dieses Ziel verfehlt wird, ist nicht gleichgültig. Es geht dabei nicht nur um die Fans, die sich nach diesem Saisonhöhepunkt sehnen, und die allein schon wegen ihrer Treue diesen auch verdient hätten. Es geht um viel mehr.

Ob es möglich ist, zumindest gelegentlich im Konzert der Grossen und Erfolgreichen mitzuspielen, und ob von Seiten der Verantwortlichen alles dafür getan wird, damit dieses möglich wird, davon hängen nicht zuletzt die Verpflichtungen von Verstärkungen ab. Es geht nicht immer nur um Geld. Es geht auch darum, dass ein Spieler lieber zu einem Klub geht, bei welchem er Erfolg haben kann. Jeder Spieler gewinnt lieber als dass er verliert. Hat er die Wahl, zu einem Klub zu gehen, der häufiger gewinnt, wird er in der Tendenz diesen Klub bei seiner Wahl bevorzugen, auch wenn dies nicht das einzige Wahlkriterium sein wird. Am Erfolg hängen auch Sponsorengelder. Deshalb ist es auch eine Frage des Geldes, ob sich Sponsoren berechtigte Hoffnungen auf Erfolge machen können. Auch wenn sich der Erfolg nicht zwangsläufig auf die aktuelle Saison auswirkt, so tut er dies zumindest auf zukünftige. All dies spricht dagegen, dass es um Einzelinteressen gehen darf.

In Langnau hat sich in den letzten beiden Jahren dieses Nachgeben bei Einzelinteressen gehäuft. Dies hat Auswirkungen auch auf andere Spieler. Jeder weiss nun, wie man in Langnau Verträge auflösen kann. Mögliche zukünftige Verstärkungsspieler wissen aber auch, dass eben im Emmental nicht in jedem Fall alles für den Erfolg getan wird. Das kann nicht gut sein. Die Verantwortlichen der SCL Tigers tun gut daran, sich künftig etwas weniger einsichtig zu zeigen.

Ville Koistinen hat sich sofort nach seiner Vertragsauflösung dem ERC Ingolstadt angeschlossen. Für seinen neuen Verein buchte er in seinen ersten drei Spielen bereits drei Skorerpunkte.