9:3 - Sieg in Huttwil

Langnau oder der Cup als letzter glücklicher Tag der neuen Saison

Eigentlich ist die erste Runde im Cup gegen die Amateurteams für die Klubs der höchsten Liga bloss eine Pflichtübung. Nur nicht für die SCL Tigers. Wenn sich zwei Langnauer im nächsten Sommer begegnen, werden sie fragen: «Und Du, wo warst Du am 4. Oktober 2020?»

Spielbericht • • von Klaus Zaugg

Hockey Huttwil Coach Daniel Bieri treibt seine Jungs an. So lange die Kraft reicht, bieten sie den SCL Tigers Paroli. Bild: Marcel Bieri

 

Das Wetter ist unfreundlich kühl. Zweite Pause im Cup-Spiel Hockey Huttwil gegen die SCL Tigers. Die Langnauer führen gegen den Tabellenführer der dritthöchsten Liga (MySports League) lediglich 5:3. Zeitweise waren sie gegen den Zwerg ins Wanken geraten. Zwei fachkundige Kultfans unterhalten sich draussen vor dem Stadion. «Wenn die Saison im nächsten Frühjahr überstanden ist, werden wir zu unseren Kollegen sagen: ich war am 4. Oktober dabei. Und wo warst Du?»

Diese intimen Kenner sind sich also der historischen Bedeutung dieses Tages sehr wohl bewusst. Aber kann ein Cupspiel der ersten Runde ein historisches Ereignis sein? Ja, so ist es bei den Langnauern. Die Partie in Huttwil war nämlich auf mindestens zwei Jahre hinaus der letzte Ernstkampf, zu dem sie als klare Favoriten antreten durften. Schon in der nächsten Runde wartet womöglich ein Team aus der Swiss League und den Cup mit der Chance auf einen Ernstkampf gegen ein Amateurteam gibt es im nächsten Jahr nicht mehr. Deshalb war dieser Sonntag, dieser 4. Oktober mit dem 9:3 gegen Hockey Huttwil wohl der letzte glückliche Tag der neuen Saison. So hoch und so leicht werden die Langnauer in der laufenden Saison mit ziemlicher Sicherheit nie mehr in einem Ernstkampf obsiegen.

Das klare Resultat täuscht darüber hinweg, dass der Titan in der ersten Spielhälfte zeitweise arg ins Wanken geriet. Wer weiss, ob es nicht eine Sensation gegeben hätte, wenn die beiden Goalies Lukas Gasser (bis Spielmitte) und Kevin Liechti (in der zweiten Hälfte) die beste Partie ihrer Karriere gespielt hätten. Vier Treffer waren haltbar und der entscheidende zum 2:3 fiel nach einem krassen Fehlpass im Überzahlspiel. Die SCL Tigers sind mit lediglich einem Ausländer (Ben Maxwell) und Gianluca Zaetta im Tor nur noch auf dem Niveau eines guten Swiss League-Teams.

Für keinen Trainer eines NL-Teams war die Matchvorbereitung für diese erste Cuprunde so schwierig wie für Rikard Franzén. Der Underdog in den Partien der höchsten Liga ist auf einmal himmelhoher Favorit. Wie soll da der Chef Disziplin und einfaches Spiel anmahnen? Der schwedische Trainer sagt: «Ich habe versucht, den Spielern zu erklären, dass wir genau gleich konzentriert und einfach spielen müssen wie zuletzt in Lausanne.» Das sei tatsächlich am Anfang gelungen. Aber als es nach knapp vier Minuten schon 2:0 steht, werden die Anweisungen des Trainers vergessen und er stellt hinterher fest: «Wir wurden nachlässig und dafür bestraft.»

20 Sekunden nach der ersten Pause gleicht der Unterklassige mit einem zwingenden Angriff zum 2:2 aus. Nicht einmal gegen ein übermüdetes Team aus der höchsten Amateurliga können sich die Langnauer Nachlässigkeiten leisten. Immerhin darf Rikard Franzén nach einem hohen, fast zweistelligen Sieg Auskunft geben. Wer weiss, vielleicht kann er das bis zum Ende seiner Amtszeit im Emmental nie mehr tun. Auch deshalb bemühte sich der Chronist in den Bauch des Stadions um den Trainer zu befragen. So kann er einmal erzählen, er habe als einziger Berichterstatter der Welt diese Saison mit Langnaus Trainer nach einem Sieg mit sechs Toren Differenz gesprochen.

Den grossen Cup-Triumph zu Huttwil verdanken die Langnauer auch ein wenig einem absurden Spielplan. Am Vorabend waren die Huttwiler noch zum Auswärtsspiel nach Chur gereist (wo sie 4:1 gewannen und die Tabellenführung verteidigten). Hin und zurück 370 Kilometer Busfahrt. 21 Stunden nach Spielschluss mussten sie am Sonntag um 17.15 Uhr bereits wieder in die Hosen. Gegen kraftstrotzende, spritzige Langnauer, die zuletzt am Donnerstagabend in Lausanne gespielt hatten (2:5-Niederlage) und nun dreimal ausgeschlafen, ausgeruht, massiert, frisch gebürstet und gekämmt antraten. Dass sich diese unsinnigen Spielansetzungen in der zweiten Spielhälfte auswirken würde – erst recht bei Amateuren, die ja neben dem Hockey einer geregelten Arbeit nachgehen – war zu erwarten. In der Meisterschaft und im Cup warten ab sofort bis Saisonende frischere Gegner auf die Langnauer.

Rikard Franzén hofft nun auf baldige Verstärkungen aus dem Ausland. «Wir können bei fünf gegen fünf mithalten. Das haben wir beim Spiel in Lausanne gesehen. Aber bei den Special Teams haben wir mit nur einem Ausländer Mühe.» Private Geldgeber sind bereit, zusätzliches ausländisches Personal zu löhnen. Die Langnauer haben mit dem kanadischen Stürmer Ben Maxwell nur einen einsatzfähigen Ausländer. Geplant ist die Verpflichtung des dänischen Stürmers Joachim Blichfeld und des schwedischen Verteidigers Erik Brännström.

Der Trainer rechnet beim nächsten Spiel am Samstag gegen Biel noch nicht mit diesen Verstärkungen und er mag die Ausländersituation auch nicht weiter kommentieren. «Ich konzentriere mich auf meine Arbeit, unser Sportchef um alles andere.» Sportchef Marc Eichmann mag weder bestätigen noch dementieren, Geschäftsführer Peter Müller redet auch wie ein Politiker. Aber immerhin versichern beide, dass man «dran» sei. Aber sie sagen natürlich nicht an was sie «dran» sind.

Auch für Marc Eichmann und Peter Müller dürfte dieser 4. Oktober hockeytechnisch der letzte unbeschwerte, glückliche Spieltag dieser Saison gewesen sein.

Auch an einem 4. Oktober (aber 1883) ist in Paris der Orientexpress zu seiner Jungfernfahrt gestartet. Mit dem klar definierten Ziel Konstantinopel (heute: Istanbul). Die Krimiautorin Agathe Christie («Mord im Orientexpress») sorgte für den Mythos des Zuges.

Wohin die Reise der Langnauer nach dem 4. Oktober geht, nach Norden oder Süden in der Tabelle, ist hingegen noch nicht bekannt. Der Schriftsteller Jeremias Gotthelf sorgt für den Mythos der Langnauer («Geld und Geist»). Zurzeit fehlt es in Langnau vor allem an Geld. Geist ist noch da.