Nachwuchsförderung als Ziel:

Langnaus einmalige Chance «miserabel» und trotzdem cool zu sein

Die SCL Tigers werden auf dem letzten Platz landen. Aber die Langnauer können die coolsten «Miserablen» seit Einführung der Playoffs werden und ein wenig auf «Sternenstaub» des SCB-Marketings hoffen.

• von Klaus Zaugg

Mit der Ankunft von Heinz Ehlers beginnt in Langnau im Oktober 2016 eine stürmische sportliche Entwicklung. Sie gipfelt im Frühjahr 2019 mit Platz 6, der zweiten Playoff-Qualifikation der Geschichte. Der Viertelfinal gegen Lausanne geht erst im 7. Spiel verlorenen. Langnau rockt.

Die SCL Tigers ein Team für die obere Tabellenhälfte? Nein. Im Laufe der letzten Saison hat sich die ganze Herrlichkeit aufgelöst wie der Morgennebel in den Krächen des Napfberglandes. Am Ende reicht es im Frühjahr 2020 nur noch zum zweitletzten Platz.

Mit Trainer Heinz Ehlers, Weltmeister und Topskorer Harri Pesonen und Rock’n’Roller Chris DiDomenico haben inzwischen die drei Architekten des kurzen Höhenfluges das Emmental verlassen. Einer im Zorn (DiDomenico), einer entnervt (Ehlers) und einer ist den Verlockungen des Mammons erlegen (Pesonen). Die Rolle des Leitwolfes spielt nun Ben Maxwell, der vor einem Jahr bloss als 5. Ausländer engagiert worden ist.

Die Langnauer haben für den Höhenflug unter Heinz Ehlers einen hohen Preis bezahlt: die Vernachlässigung des einheimischen Schaffens. Nun kehren sie zu ihren Ursprüngen zurück, schlüpfen wieder in die Rolle des Aussenseiters und erklären die Förderung der jungen Spieler zum Ziel. Unabhängig davon, welche Schneckentänze sie noch um gare und halbgare Ausländer-Verpflichtungsaktionen aufführen: Sie steigen mit der nominell schwächsten Mannschaft seit dem Wiederaufstieg von 2015 in die Meisterschaft. Der 12. und letzte Platz ist reserviert.

Trainer Rikard Franzén steht also vor einer grossen Herausforderung. Er ist in Langnau zum ersten Mal Cheftrainer in der National League. 2014 wird er in Lausanne Heinz Ehlers taktischer Zauberlehrling und folgt ihm 2018 nach Langnau. Er gilt zwischen 1987 und 2005 zeitweise einer der besten Verteidiger der höchsten schwedischen Liga. Seit 2005 arbeitet er in verschiedenen Positionen in Schweden (Manager, Cheftrainer, Assistent) und in der Schweiz.

Ist er Langnaus nächster Heinz Ehlers? Nein. Aber Rikard Franzén war letzte Saison mehr als «nur» Assistent und begegnete seinem Chef mit eigener Meinung auf Augenhöhe. Taktisch gibt es in Langnau keine grosse Veränderung: die nominell bescheidene Mannschaft erfordert sorgfältige Defensivarbeit. So wie es Heinz Ehlers gelehrt hat.

Aber es gibt spielerisches Tauwetter, mehr Eiszeit für die jungen Spieler und für die spielerischen Zauberlehrlinge mehr Freiraum nach Fehlern. Einer hat es einmal so gesagt: «Wenn du unter Heinz Ehlers einen Fehler gemacht hast, musstes du mindestens vier Super-Shifts hinlegen um ihn wieder zufriedenzustellen. Das Problem war bloss: er hat dich nicht mehr eingesetzt…».

Der wichtigste Einzelspieler ist Ivars Punnenovs. Er ist in Langnau zu einem der besten Torhüter der Liga gereift. Aber seine 6. Saison im Emmental wird seine schwierigste. Bisher hatte er mit Damiano Ciaccio eine starke Nummer zwei, die ihm geholfen hat, die Verantwortung zu tragen. Aber der italienisch-schweizerische Doppelbürger ist aus einem laufenden Vertrag nach Ambri weitergezogen und wird durch Gianluca Zaetta ersetzt. Der 20ährige Goaliefloh hat noch nie in der höchsten Liga gespielt

Die Langnauer können einen längeren Ausfall von Ivars Punnenovs nicht verkraften. Weil sie ihren defensiven Problemen nicht davonlaufen und nicht durch eine offensive Produktionssteigerung kompensieren können. Langnau hatte letzte Saison auch mit Harri Pesonen und Chris DiDomenico offensiv die schwächste Mannschaft der Liga. Im schlimmsten Fall wird es nicht einmal für 100 Treffer reichen. Das Powerplay war schon letzte Saison das schwächste der Liga und wird nun noch schwächer sein.

Bei fünf gegen fünf Feldspieler können die Emmentaler mit Mut, Wille, Hartnäckigkeit, Zähigkeit, Opferbereitschaft und Leidenschaft jedem Gegner Paroli bieten. Aber so lange sie nicht besseres ausländisches Personal haben, sind sie nicht dazu in der Lage, offensiv eine Entscheidung zu erzwingen und im Powerplay einem Spiel eine andere Richtung zu geben. Es ist nicht möglich, dem Publikum spielerisches Spektakel zu bieten. «Nur» viele ehrenvolle Niederlagen und hin und wieder ein Sieg.

Aber in dieser schwierigen Ausgangslage liegt auch eine einmalige Chance. «Wir werden Letzte – na und?» Die SCL Tigers können die coolsten Miserablen seit Einführung der Playoffs (1986) werden. Es gibt keinen Absteiger und deshalb auch keine sportlichen Sorgen. Rikard Franzén muss nicht ständig nach oben auf die Resultatanzeige schauen. Er muss lediglich darauf achten, dass die Leistungskultur erhalten bleibt. Es geht nicht darum, jedes Spiel zu gewinnen. Es geht darum, in jedem Spiel die Ehre und Stolz zu verteidigen und doch nicht alles zu schwer zu nehmen. So wie es in der Emmentaler Nationalhymne besungen wird:

Niene geit's so schön u lustig
Wie daheim im Ämmetal,
Dert ist allergattig Rustig,
Dass eim schwär wird die Uswahl:
Manne het es ehrefesti,
Wiber brav u hübscher Art,
Meitschi, - we d se gsehst so hest di
Dri verliebt - so schön u zart.

Jedes Spiel zelebrieren als sei es ein Stück der Emmentaler Liebhaberbühne. Eine ganze Saison wie die Naturgewalten und aufwühlenden Dramen in einem schwarz-weiss Gotthelf-Film von Kult-Regisseur Franz Schnyder, aber der Gewissheit des Happy-Endes Liga-Erhalt. Dann ist der letzte Platz bloss eine statistische Nebensache.

Bei aller Folklore: es geht auch ums Geschäft. Peter Müller ist der wohl meistunterschätzte Manager der Liga. Für den erfolgreichen Unternehmer mit abgeschlossener Vermögensbildung ist die Geschäftsführung mehr Hobby als Broterwerb und vielleicht ist er gerade deshalb so erfolgreich: neben dem SCB sind die SCL Tigers das einzige Hockeyunternehmen im Land, das seit Jahren (seit dem Abstieg von 2013) schwarze Zahlen schreibt. Aber die Virus-Krise interlässt auch in Langnau ihre Spuren in den Geldspeichern. Nun arbeitet Peter Müller seinen Nachfolger Simon Laager ein. Langnaus neuer Manager hat sein Handwerk bei der Vermarktungsagentur IMS in Köniz bei Bern gelernt. Beim Unternehmen, das den SCB seit 1998 so erfolgreich vermarktet.

Mit dem neuen Mann aus der besten Vermarktungsmaschine der Schweiz wird trotz des letzten Platzes schon ein wenig monetärer «Sternenstaub» für die SCL Tigers abfallen. Sportlich miserabel zu sein sollte sich zumindest in dieser Saison nicht aufs Geschäftsergebnis auswirken.

 

Prognose: Platz 12