Auf der Heimfahrt von Ambri:

Oskar stört mit Marketinggeschwafel

Vor kurzem schrieb ich über die Berichterstattung einer Schweizer Zeitung. Dies veranlasst Oskar, mich auf der Heimfahrt von Ambri mit seinem Geleier voll zu schwafeln. Eigentlich sollte ich darüber gar nicht berichten. Es hat keinen Wert.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Ich bin auf dem Heimweg von Ambri. Die Niederlage der SCL Tigers ist nicht das einzige, was mir – wie soll ich sagen? - keine Freude bereitet hat. Wie häufig in der Valascia funktionierte mein Internet nicht. Ich bin zwar selten der Einzige, der dort Schwierigkeiten hat. Bei mir sind diese aber jeweils etwas grösser als bei anderen. Diesmal ging gar nichts. Ums Verrecken nicht. Ich brachte es einfach nicht fertig. Ergo war ich gezwungen, zuerst nachhause zu fahren und dann – todmüde nach der langen Fahrt – zuhause noch einen Bericht zu verfassen und hochzuladen, damit meine Leser zumindest am morgen früh etwas zu lesen erhielten. Während ich so vor mich hin grummle, läutet mein Handy. Ich hätte es ignorieren sollen. Tue ich aber leider nicht und nehme stattdessen den Anruf entgegen. Es ist Oskar. Ausgerechnet!

Ich weiss nun nicht recht, ob ich mich riesig ärgern oder doch ein ganz klein wenig freuen sollte. Ich habe von Oskar bereits fast ein Jahr lang nichts mehr gehört. Andererseits ist Oskar der nervigste Enterich, den es auf dieser Erde gibt. Und so eingebildet...

«Wie gehts? Die Niederlage schon verdaut?», schnarrt er.

«Jaja, es geht», gebe ich zur Antwort. «Der Ärger ist am verrauchnen.»

«Brauchst dich gar nicht aufzuregen, schnattert er. Es wird nicht die einzige Niederlage bleiben. Denk an dein Herz. Es kommt schon gut.»

Was will der blöde Affe von mir, frage ich mich. Normalerweise ruft er mich doch nur an, wenn ihm etwas nicht passt.

«Mein Herz ist absolut in Ordnung», erwidere ich etwas genervt. «Und dass es gut kommt, weiss ich selbst.»

«Ist ja gut», tönt Oskar fast ein Bisschen beleidigt. «Ich wollte dich nur loben.»

Bei mir läuten alle Allarmglocken. Oskar und loben? Etwas kann da nicht stimmen. «Loben?», säusle ich ins Mikrophon. «Erzähl!»

«Ja, wegen deinem Artikel über die Berner Zeitung. Du weisst schon, wegen der Bezahl-Artikel.»

«Den findest du gut?» Mein Argwohn ist nicht verflogen.

«Ja, sicher, er ist nicht schlecht», antwortet der Vogel.

«Ich bin mir nicht sicher, ob den alle nicht schlecht finden», gebe ich zu bedenken. «Es gibt Leute, die mich seither nicht mehr grüssen.»

«Und damit hast du Probleme?» spottet mein unerwünschter Gesprächspartner. «Falls dies so ist, solltest du sofort mit dem Schreiben aufhören. Wer nichts einstecken kann…»

«…Wo denkst du hin?» schneide ich ihm das Wort ab. «Ich stelle das nur fest. Das war nur eine Feststellung.»

«In deinem Alter kann man nie wissen», spottet die Ente. Viele werden im Alter...»

«…Werd nicht frech, Oskar. Ich warne dich...»

«…etwas gspüriger» redet Oskar unbeirrt weiter. Wobei ich vermute, dass er für „gspüriger“ ursprünglich ein anderes Wort verwenden wollte.

«Nun gut, ich bin nicht gspüriger geworden. Höchstenfalls ein Bisschen altermilde. Aber das hat bei mir bereits früh angefangen.»

«Spass beiseite!» Oskar tönt plötzlich ernst. «Du hast trotzdem einen Denkfehler gemacht.»

Wusste ich es doch. Der Kerl ruft immer nur an, wenn er mir ans Bein pissen will. Am besten ist es, mir nichts anmerken zu lassen und Interesse zu heucheln: «Welchen denn?»

«Du setzt die Prioritäten falsch» belehrt mich Oskar.

Ich frage nach: «Wie das?»

«Man könnte fast meinen, die Zeitung sei schuld, dass die SCL Tigers ihren Hauptsponsor nicht ersetzen konnten.»

«So war es aber sicher nicht gemeint. Die Zeitung…»

«…Es kam aber so rüber, du Spasti». Oskar teilt wieder mal aus. Kennt keinen Anstand. «Willst du die Verantwortlichen aus der Verantwortung nehmen?»

«Oskar, ich will weder jemand aus der Verantwortung nehmen, noch will ich jemanden verantwortlich machen. Ich wollte einfach etwas aufzeigen», versuchte ich ihm zu erklären.

Im Rückspiegel tauchen Lichter auf. Ich war jetzt lange ganz allein auf der A2. Jetzt werde ich überholt. Es ist ein Lieferwagen mit den Logos des SCB und von Perksindol drauf. Ach ja – der SCB. Der war in Lugano und hat dort ebenfalls verloren. Ein kleines, freudiges Lächeln huscht über mein Gesicht. Doch sofort bin ich wieder beim Gespräch.

«Du musst besser auf die Wirkung achten von dem, was du schreibst», belehrt mich Oskar. «Ich will auch niemandem die Verantwortung zuschieben. Die Zeitung ist sicher nicht schuld. Oder zumindest nicht allein.»

«Eben», entgegne ich. «Ungefähr so habe ich es gemeint.» Die Medien haben eine Mitverantwortung.»

«Lächerlich», entgegnet Oskar. «Wenn ich die Medien wäre, würde ich genauso handeln.»

«Das verstehe ich nicht. Weshalb denn?», frage ich.

«Weil die Sportklubs sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen», erklärt Oskar. «Die Verantwortlichen scheissen sich ja in die Hose vor Angst, irgendein Medium könnte etwas Negatives über ihren Klub berichten.»

«Ja aber die SCL Tigers…», versuche ich anzusetzen. Doch schon wieder scheidet mir der Frechdachs das Wort ab.

«…Ich sprach von den Sportklubs. Die SCL Tigers sind nur einer von vielen.»

«Was machen sie denn deiner Meinung nach falsch?», frage ich. Wie jede andere Firma betreiben sie doch einfach Markenpflege. Daran ist doch nichts falsch.»

Enteriche sind ja sehr schöne Vögel. Farbenprächtig. Und immer so gepflegt. Sie wissen sich zu präsentieren. Schon möglich, dass Oskar deshalb etwas von Marketing versteht. Ich horche gespannt.

«Das Beste wäre, die Menschen in ein Wechselbad der Gefühle zu stürzen», erklärt also unser komischer Vogel. «Etwas, das immer nur positiv besetzt ist, wird langweilig. Du musst auch Gegner zulassen, denn damit aktivierst du deine Befürworter. Je mehr Gegenwind dir entgegenzuschlagen scheint, desto aktiver und zahlreicher werden deine Fans.»

Dachte ich es mir doch: das Vieh versteht nichts von Marketing. So ein Scheiss. So ein Stuss. Wie wenn wir in Langnau Gegner gebrauchen könnten. Oskar spürt meine Verachtung.

«Soll ich dir ein Beispiel nennen, du Ignorant?» fragt er gereizt.

«Nenn mich nicht Ignorant, du blöder Vogel.»

«Soll ich dir nun eines nennen oder nicht?»

«Ja doch. Mach mal.»

«Weisst du, weshalb heute so viel Offroader und SUVs gekauft werden?»

«Na, das ist nun wirklich nicht schwierig», antworte ich. «Weil viele Leute diese Gefährte toll finden.»

«Und wie findest du sie?», fragt Oskar.

«Nun, ich finde, im Zeichen der Klimadebatte würde ich mir wohl einen anderen Wagen kaufen. Vor allem dann, wenn ich mir einen Neuwagen anschaffe», antworte ich.

«Eben», antwortet Oskar. Eigentlich haben doch die Offroader einen miserablen Ruf. Jemand lancierte sogar eine Initiative, die diese Kisten abschaffen wollte. Wie es schien, standen die Chancen gut, mit diesem Vorhaben durchzukommen. Der Initiant liess sich dann wie ein Schulbub übertölpeln und zog sein Anliegen zurück. Danach schnellten die Verkaufszahlen in die Höhe. Und je mehr über das Klima gefaselt wird, desto mehr dieser Kisten werden verkauft.»

Ich lache laut heraus. «So ein Mist. Wie wenn jemand absichtlich ein teures Auto, das noch dazu viel säuft, extra deswegen kauft, um ein bisschen die Klimajugend gegen sich aufzubringen. Geht es eigentlich noch?»

«Ich habe dich für intelligenter gehalten», seufzt Oskar und schüttelt ungläubig den Kopf. «Du erkennst den Zusammenhang tatsächlich nicht?»

«Nein», stelle ich klar. «Ich sehe keinen Zusammenhang.»

«Nun gut, dann mache ich ein anderes Beispiel», unternimmt die Ente einen neuen Anlauf. «Weisst du eigentlich, dass die Langnauer, insbesondere Peter Jakob und Bernhard Antener eine der grössten Marketingleistungen aller Zeiten vollbracht haben? Etwas unterstützt durch den sportlichen Erfolg und mit Unterstützung der Fans. Unter anderem dem Verein, den du jetzt präsidierst.»

Oskar sieht mich ratlos. Er meint doch nicht etwa...: «Klär mich bitte auf», fordere ich ihn auf.

«Dass die Ilfishalle so ist, wie sie heute ist – eine moderne Sportstätte mit allem, was dazu gehört, und ihre Seele trotzdem behalten hat, ist nicht nur eine enorme Ingenieurs- sondern eine ebenso beeindruckende Marketingleistung», erklärt Oskar.

Darüber hatte ich noch gar nie nachgedacht. «Das könnte etwas für sich haben.»

«Das Volk der Gemeinde Langnau musste doch überzeugt werden, 15 Millionen an Steuergeldern bereit zu stellen, damit saniert werden konnte.»

«Stimmt zwar», entgegne ich. Aber das hatte mit Marketing nichts zu tun. Wenn der Peter Jakob nicht siebzehn oder achtzehn Millionen und die GLB nicht...»

Oskar schneidet mir das Wort ab: «…Du hast schon recht. Ohne die privaten Investoren wäre nichts gelaufen. Trotzdem sind die fünfzehn Millionen für eine Gemeinde wie Langnau ein gewaltiges Wagnis. Zumal ja der Gemeinde noch Steuergelder entgehen.»

«Wie jetzt?» frage ich nach. Weiss die Ente mehr als ich?

«Das ist doch ganz einfach, und es wurde ja auch so kommuniziert», belehrt mich Oskar. «Peter Jakob darf sein Investment steuerlich abschreiben. Das heisst, er zahlt weniger Steuern.»

Hoppla, das hätte ich der dämlichen Ente, pardon dem herrlichen Enterich gar nicht zugetraut. Ist das Federvieh jetzt unter die Steuerexperten gegangen. «So habe ich das noch gar nicht gesehen.»

«Das macht nichts», erwidert Oskar. «Es wurde seinerzeit sauber kommuniziert. Jeder hätte es sehen und nachfragen können. In der Euphorie hat dies aber niemand interessiert. Sauber zu kommunizieren, so dass es niemanden interessiert, ist ebenfalls eine Marketingleistung. Aber darauf will ich nicht hinaus.»

«Auf was willst du denn hinaus?», frage ich nach.

«Gegenfrage: Was meinst du, - weshalb haben die Langnauer mit über 76 Prozent der Stimmen Ja zu den fünfzehn Millionen für die Stadionsanierung gesagt?»

«Weil sie wollten, dass es die SCL Tigers weiterhin gibt», antworte ich.

«Und weshalb wollten sie das?» hakt Oskar nach.

«Weil Langnau und die Tiger einfach zusammengehören. Weil der SCL sehr beliebt ist. Und vielleicht auch ein wenig, weil wir in Langnau nicht viel anderes haben...»

«Nanana – du Kulturbanause» insistiert Oskar.

«Schon gut, das Letztgenannte nehme ich zurück.»

«Es hat mit Geschichten zu tun, über die damals die Medien berichteten. Erinnerst du dich noch?», fragt Oskar.

«Ja.»

«Eben», beginnt Oskar. «Die SCL Tigers standen vor dem Aus. Sie waren ständig in den Medien. Kaum ein Bericht war positiv. Die Menschen bibberten. Hatten Angst. Eine Negativmeldung jagte die andere. Langnau und seine Bevölkerung hatten nie Ruhe.»

«Ja, das stimmt. Aber das ist doch kein Marketing.»

«Doch«, entgegnet Oskar. «Auch das muss eine Art Marketing sein. Peter Jakob ist nicht deswegen als Hauptsponsor eingestiegen, weil alles positiv war. Sondern weil er helfen wollte. Die Bevölkerung hat nicht deswegen gespendet, weil es gut lief, sondern weil es miserabel lief, und weil es alle wussten.»

«Ja, schon, aber...» Mir leuchtet das nicht ein. Und was hatte dies alles mit der sanierten Ilfishalle zu tun.

«Die Langnauer gingen damals durch die Hölle. Aber der Klub wurde gerettet. Dann war er plötzlich wieder in Gefahr, weil die alte Ilfishalle den Anforderungen nicht mehr genügte, und weil damit zu wenig Geld erwirtschaftet werden konnte», erklärt Oskar.

«Ich verstehe immer noch nicht ganz.» Ich bin jetzt ein wenig kleinlaut. Begreife ich da etwas einfach gar nicht? Bin ich zu dumm?

«Du hast eine extrem lange Leitung», spottet Oskar. «Aber das ist ja in Langnau nicht aussergewöhnlich. Die bemerken ja nicht einmal ihre eigenen aussergewöhnlichen Leistungen».

«Dochdoch, auf die Stadionsanierung, und vor allem auf die kurze Zeit, in welcher diese vollzogen war, sind wir schon sehr stolz», entgegne ich.

«Aber sie begreifen nicht die Psychologie dahinter», entgegnet die Psycho-Ente. «Weil die Langnauer nicht ein zweites Mal durch die Hölle wollten, stimmten sie diesem fünfzehn-Millionen-Projekt zu.»

«Und jetzt, was willst du damit sagen?», frage ich.

«Ich will damit sagen, dass zwei Mal viel Geld geflossen ist, nachdem viel berichtet wurde. Dass auch negative Erlebnisse und Berichte Identität stiften und auch so die Emotionen geweckt werden können, die notwendig sind, viel Geld fliessen zu lassen.»

«Hmmmm,» sinniere ich. «Ich sehe den Zusammenhang mit den Medien nicht ganz.»

«Nun ja», fängt Oskar mit der Erklärung an. « Medienhäuser fusionieren. Die Sportteile werden trotzdem immer kleiner. Hintergrund: Es gibt – vor allem im Sport – nicht mehr viel zu berichten, das die Leserschaft wirklich interessiert. Eine Zeitung, die über das Geschehen von gestern informiert, wird vom Livesport am Fernsehen und im Internet überholt. Das Einzige, mit dem die Zeitung punkten könnte, sind Emotionen. Richtige emotionale Berg- und Talfahrten. So, dass die Leserschaft immer alles lesen will. Aber die Paranoia der Klubgeneräle verhindert das.»

«Ja, aber das ist einzig das Problem der Medien. Ein Sportklub kann nicht auch noch schauen, dass die Medien rentieren», gebe ich zu bedenken.

«Das ist schon richtig». Oskar ist jetzt im Element. Er weiss, ich bin mit meinem Latein am Ende, wie eigentlich fast immer, wenn wir debattieren. «Die Sportklubs sitzen mit den Medien im selben Boot», erklärt er. «Die Emotionen helfen nicht nur den Medien, sondern auch den Klubs.»

«Du meinst also, die Klubs sollen für negative Geschichten sorgen? Kennst du irgendeinen Hockeygeneral, der zu so etwas fähig wäre?», frage ich.

«Also ich glaube nicht, dass das einer gezielt kann», räumt selbst Oskar ein. Ich glaube, nicht einmal ich könnte das. Aber vielleicht würde es ja schon reichen, wenn man mal die Paranoia ablegen könnte. Es ist doch furchtbar, die ewig gleichen nichtssagenden Standartantworten von Spielern und Funktionären hören zu müssen. Und die Klubgeneräle lachen sich ins Fäustchen und sind noch stolz, dass sie ihr Personal so im Griff und so gut geschult haben. Dabei merken sie nicht, dass sie eigentlich – wenn auch nur auf Umwegen – sich selbst schaden.

Ich nähere mich meinem Zuhause. Es ist spät geworden. Und ich muss noch den Spielbericht hochladen. Oskar und ich verabschieden uns. Ich bin nicht restlos überzeugt von dem, was er gesagt hat. Er ist etwas vorlaut, unser Enterich. Etwas besserwisserisch auch. Oberlehrerhaft fast. Aber vielleicht ist ja irgendwo ein Stück Wahrheit in seinen Ausführungen.

Wir vereinbaren striktes Stillschweigen. Weil das Gespräch ja doch einige heikle Punkte beinhaltete. Einzig hier auf FANTIGER-online darf ich ein kleines Protokoll veröffentlichen.