Neue Gewohnheiten:

Verändert Corona die Fankultur?

Irgendwann ist hoffentlich die Pandemie vorbei. Doch wird die Welt des Sports dann noch die Gleiche sein? Oder verändert die Zeit mit Corona unser Fan-Verhalten? Gewöhnen wir uns daran, die Spiele nur noch im Fernsehen zu schauen? Diese Gefahr besteht.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Eine Vorbemerkung: Es wird Leute geben, die reflexartig beim Lesen dieses Blogs auf den Gedanken kommen, dass jetzt ganz bestimmt nicht der Zeitpunkt sei, um sich über das "Danach" Gedanken zu machen. Weil es jetzt erst einmal darum gehe, die Pandemie zu überstehen. Ihnen allen sei gesagt: Sie haben recht. Zu 100 Prozent recht. Aber es ist nun einmal so, dass, weil sowieso fast alles abgesagt ist, was uns unterhalten könnte, und man trotzdem nicht die ganze Freizeit nur Fernsehen oder Netflix schauen, Computerspiele spielen oder Bücher lesen kann, etwas mehr Zeit für Gedanken übrig bleibt, die man ja gelegentlich auch äussern darf. Deshalb gestatte ich mir diesen Blick etwas über den Tellerrand hinaus.

Zur Kultur eines Vereins gehören die Fans. Damit sind nicht nur die Fans der Kurve gemeint, die kreativ sind, die Mannschaft lautstark unterstützen und sich manchmal auch um Hierarchien oder um das Wie, Wann und Warum streiten. Denn auch die Zuschauer auf den Sitzplätzen, die für ihren Eintritt und oft auch für den Konsum ziemlich viel Geld ausgeben, sind Fans. Und selbst im Begriff "Modefan" ist das Wort "Fan" enthalten. Auch solche Fans bringen Geld in die Klubkasse. Und auch wenn sich ein Modefan oftmals nach kurzer Zeit seines Fandaseins wieder verflüchtigt, ist hier für Nachschub stets gesorgt. Es befinden sich immer eine stattliche Anzahl Modefans in den Stadien. Auch wenn es sich nie lange um die Gleichen handelt.

Jetzt ist Pandemie. In den Stadien sind keine Zuschauer mehr erlaubt. Zudem wurde die Angst geschürt. Damit ich recht verstanden werde: der Respekt vor dieser Pandemie kann eigentlich nie gross genug sein. Wir müssen das in den Griff bekommen. Ich kritisiere deshalb weder die Massnahmen noch die Kommunikation. Oder vielleicht doch ein bisschen? Wenn ja, dann in die andere Richtung, wenn Sie verstehen, was ich meine. Tatsache aber ist: die Angst ist vorhanden. Dies hat man daran erkannt, dass längst nicht so viele Zuschauer in die Stadien gekommen sind, wie erlaubt gewesen wären, - damals, als eine reduzierte Anzahl an Zuschauern noch erlaubt waren.

Derzeit wird darüber debattiert, ob die Meisterschaft überhaupt weiter gespielt, unterbrochen oder gleich ganz abgebrochen werden soll. Bisher haben sich mit Biel, Lausanne und Zug drei Klubs zumindest für einen Unterbruch ausgesprochen. Weitere werden wohl folgen. Die Frage ist natürlich, was ein solcher Unterbruch nach sich ziehen würde, und was genau geschehen müsste, damit die Liga und damit die Klubs sich einen Abbruch leisten können. Zum Beispiel beschäftigt die Frage, was denn mit den TV-Geldern passieren würde.

Derzeit wird aber ohne Zuschauer weiter gespielt. Deshalb könnte man sich eigentlich auch die Frage stellen, was denn jetzt mit den TV-Geldern geschehen soll. Denn derzeit dürte MySports massiv höhere Einschaltquoten haben als normalerweise. Denn die meisten Zuschauer, die sonst in die Stadien pilgern würden, schauen sich neuerdings die Spiele zuhause an. Deshalb wären die TV-Verträge jetzt - eigentlich - mehr wert. Kein Schelm, der glaubt, dass der TV-Sender diese Situation ohne mit der Wimper zu zucken, gerne für sich nutzt. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Was aber ist, wenn die Liga zum Schluss kommt, dass sie sich das Weiterspielen trotz TV-Geldern nicht mehr leisten kann?

Aber zurück zur Fankultur: Die Rolle des Fernsehens haben wir gerade angetönt. Was macht diese mit den Fans? Das "Fan sein" fängt im Leben eines Fans oft sehr früh, im Kindesalter an. Und es endet oft erst mit dem Tod. Viele Zuschauer - vornehmlich auf den Sitzplätzen - sind über 50 Jahre alt. Und bisher gingen sie - gewohnheitsmässig und selbstverständlich - seit Jahren an die Spiele ihrer Klubs. Sie besitzen Saisonabonnemente, und für sie gibt es während der Saison kaum etwas anderes als die Spiele ihres Vereins. Dies ist bei jedem Klub ähnlich. Aber ab einem gewissen Alter besteht bei den Menschen die Gefahr, dass sie etwas bequemer werden. Dieser Prozess des "bequemer werdens" könnte durch die Pandemie beschleunigt werden. Man gewöhnt sich jetzt daran, die Spiele im Fernsehen zu sehen. Je länger die Pandemie dauert, desto geringer werden die "Entzugserscheinungen", die der Eine oder die Andere haben mag, weil das Live-Erlebnis und die Stimmung in der Eishalle fehlen. Sind diese Entzugserscheinungen einmal überwunden, könnte es sich mit dem Fernseherlebnis ganz gut leben lassen. Es hätte ja auch Vorteile: Man braucht nicht anzureisen, und man kann einfach umschalten, wenn einem das Spiel nicht gefällt.

Und was ist mit den Nachwuchsfans? Irgendwann ist für jeden Fan das erste Mal. Mir fehlen die Zahlen: Aber ich schätze mal, dass jedes Jahr allein in Langnau durchschnittlich etwa 300 neue Fans dazu kommen. In einem Jahr mit Pandemie wird dies jedoch nicht, oder deutlich weniger der Fall sein. Die Frage, die sich stellt, ist deshalb, ob diese Generation, die in diesem Jahr nicht dazu stossen kann, einfach später dazu stossen wird. Oder ob dies ein verlorener Jahrgang sein wird. Und was passiert, wenn die Pandemie länger als eine Saison dauert? Oder wenn Covid-19 nahtlos von Covid-21 abgelöst wird? Dann fehlen plötzlich zwei, drei oder gar vier Jahrgänge, während auf dem anderen Ende des Skala Jahrgänge wegsterben, oder wegen fortgeschrittener Bequemlichkeit nicht mehr an die Spiele zu bewegen sind.

Es könnte sein, dass uns die Folgen der Pandemie noch beschäftigen werden, lange nachdem sie ausgestanden ist. Die Klubs tun gut daran, bereits jetzt Strategien zu entwickeln, um darauf hinzuwirken, die Zuschauer nach Corona wieder in die Stadien zu bringen. Die SCL Tigers - um ein Beispiel zu bringen - erfreuten sich in der Vergangenheit an durchschnittlich über 5'500 Zuschauern pro Spiel. Es ist durchaus denkbar, dass der neue Geschäftsführer Simon Laager danach darum kämpfen muss, den Schnitt wieder auf über 4'000 zu bringen.

Das ist Zukunftsmusik. Jetzt geht es in erster Linie darum, die Gegenwart zu bewältigen. Doch wer jetzt nicht schaut, den können die Hunde auch nach der Pandemie noch beissen.