Nachgefragt:

Was macht eigentlich ein Sportchef im Hockey den ganzen lieben Tag lang?

Langnau und Bern haben nach vier Runden gleich viele Punkte. Und die sportliche Führung provoziert an beiden Orten die Frage: Was wird da eigentlich den ganzen lieben Tag lang in den Büros gemacht? Die Langnauer sind drauf und dran, die Lösung des Goalieproblems zu verschlafen. Beim SCB ist es noch schlimmer.

Blog • • von Klaus Zaugg

Die SCL Tigers brauchen für nächste Saison mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Ersatz für Ivars Punnenovs (26). Der Vertrag des lettischen Nationaltorhüters mit Schweizer Lizenz läuft aus. Entweder wechselt er zu einem sog. «Grossclub» oder seine Lohnforderungen werden zu hoch sein.

Ein guter Torhüter ist zwar nicht alles. Aber gerade bei einem nominell eher mässig besetzten Team wie Langnau ist ohne Goalie alles nichts. Und weil die Ausländer in einer jungen Mannschaft erst recht eine tragende Rolle spielen, wäre es besser, wenn nicht eine Ausländer-Lizenz für die Torhüterposition geopfert werden muss.

Die Antwort auf die Frage «wie weiter ohne Punnenovs?» ist in Langnau einfach. Es gibt nämlich eine verlässliche Nummer 1 in der Liga mit auslaufendem Vertrag, die nächste Saison gerne wieder im Emmental spielen würde, erst 29 Lenze zählt, weitere fünf, sechs gute Jahre vor sich hat und im Gotthelfland nach wie vor populär ist: Ambris Benjamin Conz. In der Saison 2010/11 hexte er die Langnauer in die ersten NLA-Playoffs. Da er aber bloss eine Leihgabe von Servette war, musste er anschliessend nach Lugano zügeln. Er sagt heute noch: «Ich wäre damals gerne in Langnau geblieben.»

Seit 2017 spielt er in Ambri. Nun also läuft sein Vertrag aus. Verlängert hat er aus gutem Grund noch nicht. Er sagt: «Meine Kinder leben in Langnau und ich wäre eigentlich gerne öfters in ihrer Nähe.» Es habe ihm damals in Langnau sehr, sehr gut gefallen und aus seinen Worten ist deutlich zu hören: es würde ihm in Langnau auch künftig wieder sehr, sehr gut gefallen.

Die naheliegende Frage also: Sind die Verhandlungen mit Langnaus Sportchef Marc Eichmann schon weit fortgeschritten? «Nein» sagt Benjamin Conz mit einem etwas verlegenen Lächeln. «Aus Langnau hat sich noch niemand bei meinem Agenten oder mir gemeldet und ich kann ja nicht gut selber anrufen…»

Kein Polemiker, wer da fragt: Was macht eigentlich ein Sportchef den ganzen lieben Tag lang? Immerhin ist die Lösung des Torhüterproblems eine sportlich existenzielle Angelegenheit. Und Benjamin Conz wäre nicht nur eine sportlich exzellente Lösung. Mit einem Mehrjahresvertrag würde wohl auch sein Salär erschwinglich sein.

Grosse strategische Fragen hat der Verwaltungsrat zu überwachen. Deshalb ein Anruf bei Karl Brügger, dem für den Sport verantwortlichen Verwaltungsrat der SCL Tigers. Geht in der Sache Benjamin Conz etwas? «Nein, aber ich mache jetzt gleich eine Notiz und werde unseren Sportchef darauf ansprechen.» Falls es Marco Eichmann nicht wissen sollte: Gaëtan Voisard ist der Agent von Benjamin Conz.

Nun wollen wir aber Langnaus tüchtigen Sportchef nicht zu arg kritisieren. Immerhin hat er eine klare Linie, die er konsequent verfolgt: die Verjüngung der Mannschaft. Natürlich kann man gegen die Verpflichtung von ausländischem Personal in den Zeiten der Virus-Krise polemisieren. Aber in Langnau zeigt sich nun, dass es tatsächlich sinnvoll sein kann, mit guten ausländischen Spielern eine junge Mannschaft zu stabilisieren.

Die Dynamik der Mannschaft beim ersten Saisonsieg gegen Ambri hat viel mit Erik Brännström zu tun. Der erst 21ährige schwedische Verteidiger spielt bis zum Saisonstart in Nordamerika praktisch zum Nulltarif in Langnau. Der läuferisch brillante, mutige und kreative Offensivverteidiger vermag mehr und mehr die ganze Mannschaft aufzustacheln. Gegen Ambri führt sein Weitschuss 64 Sekunden vor Schluss zum Ausgleich (2:2) und in der Verlängerung trifft er mit einem Kunstschuss zum Siegestreffer. Mit 23 Minuten und 29 Sekunden leistet er auch am meisten Eiszeit. Solche Leader braucht eine junge Mannschaft.

Besondere Umstände können dazu führen, dass junge Spieler eine Chance erhalten, die sie sonst nie bekommen würden. Das ist jetzt in Langnau der Fall. Im Frühjahr gibt es keinen Absteiger. Nie seit Einführung der Playoffs war die Gelegenheit so günstig, wie diese Saison, junge Talente zu testen und ihre Tauglichkeit zu prüfen. Nie war es so einfach, junge Talente zu mutiger Spielweise zu animieren und Fehler zu verzeihen.

Und damit kommen wir zur sportlichen Führung beim SC Bern. Wer es polemisch mag, kann es so sagen: diese sportliche Führung taumelt ohne Konzept und Verstand durch die Saison. Die Berner sind im sportlichen Bereich drauf und dran, die Lakers der 2020er Jahre zu werden (gemeint sind die Lakers vor dem Wiederaufstieg).

Der SCB hat eines unserer grössten Torhütertalente der letzten 20 Jahre unter Vertrag: Philip Wüthrich (22). Er hat sich bei Langenthal längst im Erwachsenenhockey bewährt (Meistergoalie 2019) und ist bereit für die höchste Liga.

Das Publikum in Bern akzeptiert eine Erneuerungsphase ohne meisterlichen Ruhm. Nie war es in Bern einfacher als in diesem Herbst, einem jungen Torhüter eine Chance zu geben. So wie das andere auch tun. Die ZSC Lions haben ihre Nummer zwei Ludovic Waeber (24) sowohl gegen Gottéron (5:2), die Lakers (2:1 n.V), Lausanne (3:1) als auch gegen den SC Bern (3:0) eingesetzt und Meistergoalie Lukas Flüeler (31) auf der Bank gelassen. Und Langnau hat mit Liga-Neuling Gianluca Zaetta (20) – er musste für den verletzten Ivars Punnenovs ins Tor – in vier Spielen gleich viele Punkte geholt wie der SCB.

Aber in allen vier bisherigen Partien hat beim SCB der Finne Tomi Karhunen (30) gespielt. Philip Wüthrich ist in der Meisterschaft noch keine Sekunde zum Zuge gekommen und beim Einsatz im Cup gegen das drittklassige Basel (4:0) hat er nicht viel gelernt. Wenn Philip Wüthrich jetzt keine Chance bekommt, dann weiss die sportliche Führung nicht, ob er zur Nummer 1 taugt – und er wird eine zweite Saison bloss die Nummer 2 hinter einem Ausländer oder einem anderen Schweizer Goalie sein. Philip Wüthrich ist beim SCB unter dieser sportlichen Führung und diesem Trainer in seine Karrieren-Sackgasse eingebogen.

Noch schlimmer ist das planlose Vorgehen bei anderen entwicklungsfähigen Spielern. Yanik Burren (24) hat es unter dem gestrengen Kari Jalonen immerhin zu ein paar Operettenländerspielen gebracht. Nun hat ihn Trainer Don Nachbaur schon mal nach Visp verbannt und gestern in Zürich zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison eingesetzt. Für 4 Minuten und 44 Sekunden. Sein Vertrag läuft aus. Er muss nicht in Bern bleiben. Noch fataler ist sein Umgang mit Mika Henauer (20), einem der smartesten, komplettesten jungen Schweizer Verteidiger. Bei Langenthal spielte er im letzten Frühjahr beim Playoff-Triumph über Olten dominant wie ein ausländischer Verteidigungsminister.

Inzwischen bemühen sich Servette, die Lakers und vor allem HCD-Sportdirektor Raëto Raffainer – er muss einen Nachfolger für Kultverteidiger Félicien Du Bois aufbauen – intensiv um Mika Henauer. Die sportliche SCB-Führung und der Trainer müssten ihm nun eine Perspektive aufzeigen. Gegen die ZSC Lions ist er gestern nicht einmal mehr aufgeboten worden. Unter diesen Voraussetzungen wird es schwierig, ihn zum Bleiben zu überreden. Und Junioren-Nationalstürmer Kyen Sopa (20), der sich in den letzten zwei Jahren auf höchster nordamerikanischer Juniorenstufe bewährte, hat unter Don Nachbaur noch gar keine Sekunde gespielt und ist nach La Chaux-de-Fonds abgeschoben worden.

Und weiter im Text: André Heim (22) ist ein smarter, kompletter Stürmer für die Center- und Flügelposition. Unter Kari Jalonen hatte er es bis in die Nationalmannschaft und auf über 14 Minuten Eiszeit pro Partie gebracht. Seine durchschnittliche Präsenz ist nun auf unter 9 Minuten geschrumpft. Ob er unter diesen Voraussetzungen seinen auslaufenden Vertrag prolongieren wird, ist nicht ganz sicher.

In Langnau weiss der Sportchef, welchen Weg er gehen will und entwickelt mit seinem Trainer die jungen Spieler weiter. Er ist bei der Lösung der Goaliefrage bloss etwas saumselig. Das kann er mit ein paar Telefonanrufen korrigieren.

In Bern aber ist die sportliche Führung drauf und dran, die Zukunft zu verspielen. Die Zeiten werden auch einmal wieder normal. Und dann wird die Rechnung für die sportlichen Versäumnisse dieser Saison präsentiert.