Lieber Marc Lüthi,
Was Sie erzählen, stimmt so nicht
Marc Lüthi ist CEO und Mitbesitzer des SC Bern. Seine Meinung hat im Schweizer Eishockey Gewicht. Er will eine Reform der Liga, u.a. mit zehn Ausländern auf dem Matchblatt. Doch seine Argumente stimmen nicht. Auch nicht für die SCL Tigers!
Marc Lüthi ist ein ausgezeichneter Kommunikator und ein guter Verkäufer. Gute Verkäufer argumentieren oft mit Argumenten, die bei genauerem Hinsehen keine sind. Doch auf den ersten Blick sehen sie gut aus und beim ersten Hinhören tönen sie gut. Manchmal nimmt eine Argumentation auch absurde Züge an. Zum Beispiel dann, wenn Marc Lüthi ins Feld führt, dass die Kritiker der Ligareform noch nie einen Klub geführt hätten:
Marc Lüthi:
«Momentan werden diverseste Theorien verbreitet mit ebenso vielen Ratschlägen und Forderungen, warum man was nicht machen sollte oder dürfe. Notabene von Leuten, die noch nie einen Klub geführt haben.»
Marc Lüthi führt seinen SCB seit 1997. Also seit weit über 20 Jahren. Wenn also einer von Klubführung eine Ahnung hat, dann ist es Marc Lüthi. Doch genau hier liegen auch seine Schwächen. Denn es ist weit über zwanzig Jahre her, seit er diesen Sport letztmals durch die Augen eines Kunden gesehen hat. Mittlerweile dürfte ihm dieser Blickwinkel mehr oder weniger komplett abhanden gekommen sein. Das ist fatal. Seine Rechnung dürfte aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen durchaus stimmen. Aber wenn das Produkt für die Kundschaft nicht mehr stimmt, wird es nicht mehr, oder zu wenig gekauft. Daraus ergibt sich dann eine Spirale. Und zwar eine nach unten. Denn wird ein Produkt nicht mehr (oder weniger) gekauft, müssen weitere Einsparungen her. Diese Entwicklung zu stoppen, könnte dann zu einem schwierigen, bis hin zu einem nahezu unlösbaren Unterfangen werden.
Marc Lüthi:
«Seit 1999 hat der SCB bis zum Corona-Jahr immer schwarze Zahlen geschrieben haben. Dafür haben wir jeden Franken im Markt verdient – mit Eishockey und Gastronomie. [...] Ob die Rahmenbedingungen aber jemals wieder die gleichen sein werden wie vor Corona weiss niemand. Wie nachhaltig die Wirtschaft Schaden nimmt auch nicht. Das heisst, wir wissen auch nicht, ob wir jemals wieder mit den gleichen Budgets operieren können wir vor der Krise. Deshalb ist die jetzt diskutierte Liga-Reform äusserst wichtig.»
Auch hier: ein absurdes Argument. Etwas anders ausgedrückt, will uns Marc Lüthi sagen, er möchte eine derart wichtige Entscheidung fällen, obwohl ihm wichtige Grundlagen dafür völlig fehlen. Er gibt ja zu, dass er nicht weiss, mit welchen Budgets dereinst operiert werden kann. Oder wie die Welt nach der Pandemie aussehen wird. Wird dann alles darnieder liegen? Oder werden wir eine beispiellose Nachholstimmung haben, wenn wir wieder so sein dürfen, wie wir wollen? Wir wissen es nicht. Aber Marc Lüthi will sparen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber über das «Wie» sollten wir durchaus länger nachdenken. Wo liegen denn die Probleme in unserem Sport? Werden sie dadurch gelöst, dass wir mehr Ausländer spielen lassen?
Marc Lüthi:
«Es gibt vier Argumente, warum die Anzahl Ausländer angepasst werden muss:
1. Ligagrösse ist nicht mehr fix. Für mehr als 12 Klubs gibt es nicht genügend qualifizierte Schweizer Spieler.
2. Das Abkommen mit der NHL erlaubt es, den nordamerikanischen Klubs bis spätestens Mitte Juli jeden Spieler aus einem laufenden Vertrag in Europa zu holen.
3. Der Spielermarkt soll aufgebrochen werden und es soll die Möglichkeit bestehen, auch einmal einen ausländischen Rollenspieler zu holen, wenn der Schweizer Spieler für die vorgesehene Rolle zu teuer oder noch nicht genug entwickelt ist.
Zu 1.) Weshalb ist denn die Ligagrösse nicht mehr fix? Das ist doch etwas, was jetzt mit der Ligareform entschieden wird oder entschieden werden soll. Wenn der Markt für noch mehr Klubs in der National League nicht genügend Spieler hergibt, ist die logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis, dass eben nicht mehr Klubs zugelassen werden. Wieso wird etwas entschieden, das bei näherer Betrachtung eigentlich gar nicht geht?
Zu 2.) Stimmt. Und dies macht vieles schwierig. Aber das sind Luxusprobleme, die dann auf dem Buckel unserer Nachwuchsleute oder der mittelmässigen Spieler ausgetragen werden. Und dies geht eigentlich gar nicht!
Zu 3.) Besondere Situationen erfordern besondere Massnahmen. Marc Lüthi argumentiert, dass er lieber einen einheimischen Spieler über die Klinge springen lassen will, und zwar auch dann, wenn er ein Problem eigentlich mit einem Schweizer lösen könnte, er aber sein Budget bereits aufgebraucht hat. Es sind aber gerade die Lücken, welche die Chance für junge Talente öffnen. Für die Coaches heisst dies, dass sie gefordert sind. Dass sie sich eben nicht auf dem internationalen Markt umsehen können, um ein Problem zu lösen, sondern dass sie kreativ genug sein müssen, um solche Probleme mit dem zu lösen, was sie haben. Dieser Punkt von Marc Lüthi ist eigentlich eine Bankrotterklärung.
Marc Lüthi:
«Wenn in Zukunft ein Flügel für die dritte Linie gesucht wird, für den es auf dem Schweizer Markt nur einen verfügbaren Spieler gibt, dann soll es möglich sein, stattdessen einen Ausländer zu verpflichten. Denn wenn genau dieser Schweizer Spieler von zwei Klubs gesucht wird, geht der Preis automatisch hoch. Insbesondere auch dann, wenn gerade kein geeigneter und bereits entsprechend gereifter Junior da ist. Denn auch in Zukunft soll gelten, dass einfach nur jung sein keinen Platz garantiert. Für die Plätze sollen die jungen Spieler kämpfen und sich den Einsatz im Profiteam mit Sonderschichten verdienen.»
Lieber Marc Lüthi, genau so spielt der Markt. Wenn zwei oder mehr Klubs einen Spieler so unbedingt wollen, dass dadurch sein Preis in die Höhe geht, dann wird dieser Spieler eine gewisse Qualität bieten. Einem Spieler, der beliebig durch einen anderen ersetzt werden kann, wird eine derartige Preistreiberei nicht möglich sein. Ergo ist diese Konstellation nicht das Problem eines Spielers, sondern sein Vorteil. Und vielleicht geht es bei den Verhandlungen ja auch gar nicht so sehr ums Geld, sondern um die Entwicklungsmöglichkeit. Unter dem Strich bieten sie dann diese Entwicklungsmöglichkeit lieber einem Ausländer als einem Schweizer. Dagegen wäre eigentlich auch nichts einzuwenden. Die Konsequenzen werden als erstes die Nachwuchsabteilungen spüren. Aber mit der Zeit werden die sich daraus ergebenden Probleme in der Nationalmannschaft ankommen.
Marc Lüthi:
Jeder der nun sagt, man solle einfach Junioren einsetzen, sollte zwei Aspekte berücksichtigen. Erstens gilt in der Schweiz folgende Faustregel: Wenn aus jedem Junioren-Jahrgang ein Spieler aus jedem Klub den Sprung zu den Profis schafft, ist das sehr gut. Zweitens ist es nach wie vor unser Anspruch, den Leuten eine attraktive und spannende Meisterschaft bieten zu können.»
Mit Verlaub: Eine absurde Argumentation. Wir haben eine attraktive und spannende Meisterschaft. Und wen interessieren da irgendwelche Faustregeln? Lieber Marc Lüthi, Sie wollen ja gerade die Regeln ändern. Also ändern sie doch damit gleich auch noch die Faustregeln. Wem es gelingt, die Regeln mit der Anzahl Klubs in der National League und mit der Anzahl Ausländer auf dem Matchblatt zu ändern, dürfte doch die Änderung von Faustregeln kein Problem darstellen. Also, Her Lüthi…
Marc Lüthi:
«Der alljährliche Druck der Qualifikation für die Playoffs und vor allem jener der Abstiegsgefahr verschlingt in den Klubs am Strich Jahr für Jahr viel Geld. In Zukunft soll eine schlechte Saison nicht mehr darüber entscheiden, ob ein Klub aus der Liga ausscheiden muss oder nicht. Es braucht eine nachhaltig schlechte Entwicklung sowohl sportlich wie auch finanziell, bis ein Klub ausgeschlossen wird. Dies gibt den Klubs auch mehr Planungssicherheit.»
Ach was, die Planungssicherheit. Auch so ein Märchen. Wenn die Meisterschaft für einen Klub nicht mehr spannend ist, weil es nach vorne um nichts mehr geht, es aber beispielsweise auch nicht mehr gegen den Abstieg geht, weil die Liga geschlossen ist, dann werden die Zuschauer ausbleiben. Dann hat so ein Klub auch keine Planungssicherheit mehr. Im Gegenteil: Die wirtschaftlichen Folgen können dann die sportlichen massiv übersteigen. Ein Abstieg in die Swiss League ist immer ärgerlich. Aber er birgt auch Chancen. Ein Klub kann alten Balast über Bord werfen und sich neu aufstellen. Den SCL Tigers und den Rapperswil-Jona Lakers ist dies in den letzten acht Jahren eindrucksvoll gelungen. Dagegen kann das, was Sie hier als Planungssicherheit propagieren, in den wirtschaftlichen Konkurs führen. Dann gibt es den Klub nicht mehr, oder er fängt irgendwo in einer unteren Liga neu an.
Marc Lüthi:
«Die Liga ist nicht geschlossen. Ein Swiss League-Meister kann auch in Zukunft in die NL einsteigen, wenn er alle sportlichen und kommerziellen Auflagen erfüllt.»
So ein Mist. Mit Verlaub. Dann hat die Swiss League plötzlich nur noch fünf Klubs oder besteht aus ein paar Farmteams, während sich in der National League in unserem kleinen Land 18 Mannschaften mit je 15 Ausländern tummeln, und unsere Nationalmannschaft allenfalls noch drittklassig ist. Mittlerweile würden Kloten, Visp, Ajoie und Olten die Anforderungen erfüllen, um ganz nach oben zu kommen, falls sie es schaffen, die Swiss League zu gewinnen. Eigentlich müsste man dann massiv in den SC Langenthal investieren, damit dieser solche Aufstiege verhindert. Kein Wunder, haben sie ob solch abstruser Forderungen plötzlich Angst, die Spieler könnten hierfür nicht ausreichen.
Marc Lüthi:
«In den meisten Klubs arbeiten heute weit über 100 Personen, die in irgendeiner Funktion in den Klubs Geld verdienen. Bei uns sind es über 1000. Ich bin überzeugt, dass mehr Planungssicherheit in Zukunft vor allem auch den kleineren Klubs dient. Denn sie können auch während und nach einer richtig schlechten Saison Vertragsverhandlungen mit Sponsoren und Spielern führen. Auf diese Weise werden auch Klubs wie den SCL Tigers oder Ambri gute Chancen eröffnet, in den Playoffs einmal so richtig für Furore zu sorgen.»
Während einer richtig schlechten Saison werden gerade Klubs wie die SCL Tigers oder Ambri dann nicht mit der grossen Kelle anrichten können. Ohne Mäzen werden sie dann immer noch kleinere Brötchen backen, also sparen müssen und sich damit immer noch mehr ins Abseits schiessen. Die Meisterschaften müssen für alle Klubs bis zum Schluss interessant bleiben, um für die Kunden attraktiv zu sein. Um die SCL Tigers nur noch deutlich verlieren zu sehen, sind selbst die treuen Langanu-Fans nicht bereit, immer in die Ilfishalle zu pilgern.
Marc Lüthi:
«Es geht darum, langfristig einen gewissen Ausgleich zu schaffen und die Grenze zwischen den höchsten und den tiefsten Budgets etwas zu korrigieren. So werden eine Untergrenze und eine Obergrenze festgelegt. [...] Mit dieser Massnahme soll innerhalb der Liga dafür gesorgt werden, dass Geld vernünftig ausgegeben wird und es künftig in zehn Jahren mehr als nur drei verschiedene Meister gibt.
Ein nachvollziehbarer Gedanke und eine eigentlich lobenswerte Forderung. Doch wird sie durchzusetzen sein? Wie kann beispielsweise überprüft werden, ob teure Spieler, ist eine Obergrenze mal erreicht, nicht einfach von Mäzenen oder Sponsoren fremdfinanziert werden? Wer kontrolliert, ob nicht einfach einige ordentliche Sponsorings etwas reduziert werden, um dann bei Bedarf unter der Hand doch noch angezapft zu werden? Theoretisch wäre es zwar möglich, die Buchhaltungen der einzelnen Klubs bis auf den letzten Beleg zu überprüfen (was derzeit überhaupt nicht gemacht wird). Aber bei den Buchhaltungen der Sponsoren geht das nicht. Zumindest bin ich mir nicht sicher, ob sich Peugeot Schweiz als Sponsor des SCB gefallen lassen würde, dass Denis Vaucher ihre Bücher überprüft.
Fazit: Die Argumente mit denen Marc Lüthi seiner Kundschaft die Ligareform verkaufen will, halten einer genaueren Überprüfung nicht stand. Ob die Ligareform kommen wird oder nicht, wissen wir derzeit noch nicht. Gemäss Szenenkennern soll sie nicht mehr zu verhindern sein. Ich selbst sehe dies ein Bisschen anders. So lange etwas nicht eingeführt ist, ist es zu verhindern. Ich gehe davon aus, dass gerade die Fanclubs nicht aufhören werden, Druck auszuüben.