Berichterstattung aus zweiter Hand

Weshalb die Berner Zeitung auch nach Davos und Lugano reisen sollte

Die Medien sind für jedes Sport-Unternehmen äusserst wichtig. So zum Beispiel die Berner Zeitung für die SCL Tigers. Doch was passiert, wenn Medienhäuser sparen müssen?

Blog • • von Bruno Wüthrich

Die Medienhäuser stehen unter Druck. Sowohl die Zahl der Abonnenten wie auch die Buchung von Inseraten gehen seit Jahren zurück. Deshalb wird fusioniert und werden Redaktionen zusammen gelegt. Dies hat Auswirkungen, auch wenn dies verständlicherweise bestritten wird. Eine der vielen Gefahren, die bestehen, ist, dass Sport-Organisationen aus Randgebieten das Nachsehen haben. So zum Beispiel die SCL Tigers, wenn sie nicht aufpassen. Deshalb gilt es, genau hinzusehen und sofort zu versuchen, Gegensteuer zu geben, wenn vermutet werden muss, dass etwas nicht mehr aufgeht.

Dabei gilt es zu beachten, dass die Medien nicht einfach alle gleich behandeln können. Es gibt in jeder Sportart Klubs oder Einzelsportler, die interessanter sind als andere. Eine Regel könnte lauten: je erfolgreicher, desto interessanter (Beispiel: EHC Biel). Eine andere: je grösser, desto interessanter (Beispiele: ZSC Lions, SC Bern). Weiter: je grösser die Gefahr, zu fallen, desto interessanter (Beispiel: HC Davos oder letzte Saison der EHC Kloten). Die SCL Tigers fallen derzeit etwas durch den Raster. Sie sind nicht gross wie der SCB, derzeit nicht ganz so erfolgreich wie der EHC Biel, aber dank guter Arbeit auch nicht in Gefahr, zu fallen. Zudem sind sie ein Klub aus einem Randgebiet. Es gäbe allerdings eine Formel, um vermehrt in den Medien zu erscheinen. Sie lautet: je mehr Skandale, desto interessanter.

Spass beiseite: Die SCL Tigers legen derzeit den besten Saisonstart in der NLA seit 20 Jahren hin. Vermutlich könnte man sogar seit dreissig Jahren sagen, denn die letzten zehn Jahre vor dem Aufstieg 1998 verbrachten die Langnauer vorwiegend in der NLB und in der 1. Liga. Doch weder den Print- noch den Online-Medien ist dieser geglückte Start eine vermehrte Berichterstattung oder eine vertiefte Analyse wert. Viel mehr wird da oberflächlich etwas von Achterbahn gefaselt, weil bisher auf einen Sieg immer eine Niederlage, und auf eine Niederlage immer ein Sieg folgte. Aber mit Verlaub: So etwas ist doch keine Achterbahn. Achterbahn ist viel mehr, wenn auf vier klare Siege in Serie fünf hohe Niederlagen folgen. Aber abwechselnd Sieg und Niederlage bezeichnet man gemeinhin als konstanten Saisonverlauf, zumal bei gleichbleibendem Verlauf am Ende der Qualifikation für die Playoffs warten würde. Nicht das, was wir jetzt erleben, ist eine Achterbahn, sondern das, was folgen könnte, wenn diese Phase der Konstanz einmal zu Ende ist.

Aber eben: die Presse mag sich derzeit nicht vertieft mit den SCL Tigers auseinander setzen. Durch den Vormarsch des EHC Biel ist dieser Umstand sogar irgendwie logisch oder zumindest erklärbar. Nicht erklärbar und wirklich fast nicht zu akzeptieren ist folgender Umstand:

Sowohl in Davos (7:0) als auch in Lugano (4:1) feierten die SCL Tigers spektakuläre Siege. Doch die beiden grossartigen Langnauer Erfolge wurden – sieht man vom Fernsehen ab – lediglich von Radio Neo1 und vom Fanportal FANTIGER aus erster Hand medial begleitet. Nicht einmal die Berner Zeitung schickte einen Berichterstatter nach Davos. Auch in Lugano war die BZ nicht vertreten. Wie bitte? Die Berner Zeitung war nicht vor Ort? Aber die Leserinnen und Leser konnten doch sowohl online wie auch in der Zeitung über diese Spiele lesen.

Das stimmt. Aber eben nur aus zweiter Hand. Die Berichterstatter verfassten entweder einen Artikel aufgrund des Telegramms und aus einigen zusammengeklaubten Infos, oder sie informierten sich am Fernsehen. Dies sollte aber nicht so sein.

Doch spielt es überhaupt eine Rolle, wo ein Berichterstatter ein Spiel sieht. Weshalb sollte denn dies unbedingt in der Eishalle sein, wenn sämtliche Partien der obersten Spielklasse doch zeitgleich im Fernsehen zu sehen sind? Es hat doch sogar Vorteile, wenn über ein Spiel von zuhause oder vom Büro aus berichtet werden kann. Der Berichterstatter sieht die relevanten Szenen jeweils ganz genau und von allen Seiten in Zeitlupe als Wiederholung, derweil auf den Videowürfeln in den Stadien genau zu diesem Zeitpunkt zum Ärger nicht nur der Journalisten oft Werbung eingeblendet wird. Der Berichterstatter arbeitet zudem an einem ergonomisch gesunden Arbeitsplatz und nicht an einem oft sehr unbequemen Eishallen-Medienplatz (nicht überall ist es so komfortabel wie in der Ilfishalle). Zudem sparen eben die Medienhäuser auch Geld, wenn sie ihre Sportjournalisten nicht auf die Reise schicken. Reisezeit ist nämlich auch Arbeitszeit und auch die Spesen müssen ja bezahlt werden.

Doch wie fast alles, hat auch die Berichterstattung ab Fernseher mehrere Seiten. Wenn nicht jetzt, so ganz sicher irgendwann werden sich die Leserinnen und Leser nämlich zu fragen beginnen, ob sie tatsächlich Berichterstattungen aus zweiter Hand wollen. Denn um solche handelt es sich, wenn zuhause oder im Büro an den Bildschirmen geschaut und geschrieben wird. Dies ist einer grösseren Tageszeitung – zumindest in diesem Bereich – eigentlich unwürdig. Denn wer Fernsehen schaut, hört immer auch das, was die KommentatorInnen und allenfalls hinzugezogene Experten zum Geschehen sagen. Dies alles hört der zuhause oder im Büro sitzende Berichterstatter mit und die Gefahr besteht, dass er sich vom Gesagten mindestens ebenso beeinflussen lässt wie von dem, was er sieht.

Die zuhause gebliebenen Fans hören an ihren Geräten die Kommentare der KommentatorInnenen und die Analysen der Experten ebenfalls. Sie lesen dann hinterher online oder in der Zeitung – in den Worten des Berichterstatters – einfach nochmals die gleiche Meinung, die sie bereits am Fernsehen gehört haben. Alles schön und gut? Oder doch eher unschön und schlecht?

Die Frage ist doch, ob es denn so überhaupt noch geschriebene Berichterstattung braucht. Wenn ich ein Spiel gesehen habe, und trotzdem noch eine Zeitung lese, dann geschieht dies doch vor allem aus dem Grund, weil mich eine zweite Meinung interessiert. Es ist wie beim Arzt: Wenn ich mit einer Diagnose nicht einverstanden oder unsicher bin, ob der Arzt richtig liegt, suche ich einen zweiten Arzt auf, um auch dessen Meinung zu vernehmen. Da will ich doch, dass mich auch dieser zweite Arzt untersucht und zu einem unabhängigen Urteil kommt. Ich wäre bestimmt nicht damit zufrieden, wenn ich wüsste, dass der zweite Arzt einfach den ersten anruft, und danach dessen Diagnose bestätigt. Würde der zweite Arzt so handeln, könnte ich mir den Gang zu ihm wirklich sparen. Ich hätte ja dann keine zwei unabhängige Meinungen (die selbstverständlich auch deckungsgleich sein können). Genauso verhält es sich mit der geschriebenen Berichterstattung. Erhalte ich da keine unabhängige (zweite) Meinung, brauche ich den Artikel nicht. Dieser ist dann schlicht und ergreifend unnötig.

Nun könnte man einwenden, dass es sich dabei ja nur um diejenigen Auswärtsspiele handelt, bei denen die Berichterstatter besonders weit reisen müssen. Dieser Einwand mag etwas für sich haben. Denn tatsächlich hat die Berner Zeitung bei Heimspielen der SCL Tigers wohl noch nie gefehlt, und ist zudem bei vielen Auswärtsspielen ebenfalls vor Ort. Doch nebst den Spielorten Davos und Lugano, welche bei Auswärtsspielen der SCL Tigers in den letzten Jahren ziemlich regelmässig gemieden wurden, sind auch Genf und Ambri Wackelkandidaten. Und was ist, wenn die Medienhäuser noch weiter Geld sparen müssen?

Wir wagen mal folgende These: Wenn sich über die Berichterstattung aus zweiter Hand niemand beschwert, erkennen die Medienhäuser darin weiteres Sparpotential. Es werden weitere Spiele auf diese Weise verarbeitet. Weiterhin beschwert sich niemand, doch schleichend geht das Interesse der Leserschaft zurück, einfach aus dem Grund, weil diese Artikel keinen Mehrwert mehr bringen. Der Druck auf den Inseratemarkt wird deshalb weiter steigen, was weitere Sparmassnahmen zur Folge hat, die dann wiederum in erster Linie Sport-Organisationen aus Randregionen am ehesten treffen.

Die Tamedia ist ein Zürcher Medienunternehmen, welches vor einigen Jahren die Titel «Berner Zeitung» und «Der Bund» übernommen hat. Schon heute lesen wir deshalb auf dem Internetportal der Berner Zeitung Artikel über die ZSC Lions und den HC Davos, oftmals obwohl keiner der drei Berner Klubs (SC Bern, EHC Biel und SCL Tigers) gerade gegen eine dieser beiden Mannschaften spielen wird oder gespielt hat. Wir haben es also bei der Konzentration der Medien nach Zürich auch mit einer Verschiebung der Interessen weg von den Randregionen des Kantons Bern zu tun. Kaum vorstellbar, dass kein Sportjournalist der Tamediagruppe nach Lugano oder Davos reist, wenn die ZSC Lions dort spielen. Aber bei den SCL Tigers darf man getrost seinen Bericht nach der Meinung der Fernsehkommentatoren verfassen.

Es ist übrigens eine unbeantwortete Frage, ob denn eigentlich bei den Redaktionen eingespart werden muss, weil der Markt für Inserate eingebrochen ist, oder ob der Markt für Inserate eingebrochen ist, weil auf den Redaktionen gespart wird. Ist es gar die berühmte Frage nach dem Huhn oder dem Ei? - Nicht ganz. Zu vermuten ist, dass die ersten Einsparungen tatsächlich mit einem Rückgang von Werbeeinnahmen zu tun hatten. Doch inzwischen hat man es mit dem Sparen längst übertrieben. Wenn zunehmend Redaktionen zusammen gelegt werden, und der Leserschaft immer mehr Einheitsbrei serviert wird, so wird sich mit der Zeit niemand wundern, wenn nicht mehr Beachtung findet, was in den Zeitungen und in den Internetportalen steht. Sehr zum Leidwesen auch für Sport-Unternehmen wie die SCL Tigers. Oft muss man auf dem Portal der Berner Zeitung in der Rubrik Eishockey weit herunter scrollen, bis man nach diversen Berichten über den SC Bern, dem einen oder anderen über den EHC Biel, je einem Artikel über die ZSC Lions und den HC Davos und noch etwas über die NHL endlich auch etwas über die Tiger aus Langnau zu lesen bekommt.

Die SCL Tigers sind darauf angewiesen, dass die grossen Zeitungen und Portale, und vor allem die Berner Zeitung, über sie berichten. Denn dies hat auch Auswirkungen auf die Gewinnung neuer und die Treue von bisherigen Sponsoren. Da kann ein Fanportal wie FANTIGER-online nie und nimmer vollwertig in die Bresche springen. Denn so schön dies für dieses Portal wäre: es wird wohl nie ganz die Bedeutung erlangen können, welche eine Berner Zeitung oder oder andere grosse Tageszeitungen haben. Ausnahme: Es wird auf den Redaktionen immer noch mehr gespart, und dem FANTIGER gelngt nach Jahren endlich die personelle Aufrüstung.

Dieser Artikel soll dazu beitragen, dass sich Trends wie diese «Berichterstattungen aus zweiter Hand» und das Verschieben der Interessen nach Zürich nicht noch weiter entwickeln. Denn damit ist niemendem gedient.