Berner Zeitung

54 Sekunden, Kesä-Käse und die Angst vor dem Löwen

Die SCL Tigers müssen die Zusatzschlaufe nehmen. Die Langnauer verlieren die Playoutserie gegen die Rapperswil-Jona Lakers 3:4 und duellieren sich ab Donnerstag mit NLB-Meister Lausanne. Der Klub befindet sich

Presse • • von Philipp Rindlisbacher

 

Aus Wut haut Adrian Brunner den Stock energisch aufs Eis. Nach der Auswechslung drischt er auf die Wand hinter der Spielerbank ein. Es läuft die 39. Minute zwischen den Rapperswil-Jona Lakers und den SCL Tigers, im siebten und entscheidenden Playoutspiel steht es 3:1. Brunners Frust nach einer vergebenen Chance ist riesig. Ihm und seinen Teamkollegen will am Nachmittag des 1. April einfach nichts gelingen – die Langnauer Darbietung lässt sich als schlechter Scherz bezeichnen.

 

5:2 setzen sich die Rapperswiler in einer überraschend einseitigen Partie durch. Sie haben nicht nur die besseren Ideen, sondern auch mehr Energie. Nach dem Spiel lassen sich die Profis ausgiebig feiern, die Familienväter drehen mit ihren Kindern auf den Schultern Ehrenrunden. Die Langnauer ihrerseits wirken niedergeschlagen. Coach Alex Reinhard weicht den Journalisten nicht aus, antwortet jedoch einsilbig. Dass er sehr enttäuscht ist, überrascht in diesem Moment nicht, ebenso wenig, dass er die schwachen «Special Teams» und die ausbleibende Reaktion anspricht. Zum Schluss sagt Reinhard noch, er habe nicht damit gerechnet, dass sein Team viermal gegen die Lakers verlieren würde.

 

Einen Strauss Mikrofone vor sich hat wenig später Jörg Reber. Für Langnaus Dinosaurier hätte es der letzte Auftritt sein können, der bald 39-Jährige wird seine Karriere Ende Saison beenden. Die Zusatzschlaufe Ligaqualifikation hätte er sich gerne erspart, «nun müssen wir uns neu sammeln und sofort aufraffen». Dies gilt insbesondere für die Langnauer Goalies. Auch gestern hütet Remo Giovannini das Tor, frustriert lässt er sich nach dem fünften Treffer (41.) durch Thomas Bäumle ersetzen. An Selbstvertrauen mangelt es beiden.

 

Szenenwechsel, 44 Stunden zuvor. Die Stimmung in der ausverkauften Ilfishalle erreicht den Höhepunkt. Soeben hat Etienne Froidevaux rund anderthalb Minuten vor Schluss das 3:2 für die Tigers erzielt, der Ligaerhalt ist in Griffnähe. Froidevaux springt ans Plexiglas und treibt die euphorisierten Fans an, welche bald darauf ihren Augen nicht trauen. Mit dem nächsten Angriff gleichen die St. Galler 54 Sekunden vor Schluss aus, der Siegtreffer der in Unterzahl spielenden Gäste in der Verlängerung versetzt die Emmentaler in einen Schockzustand.

 

Die SCL Tigers verlieren nicht nur das Spiel sondern auch Claudio Moggi, Joël Genazzi und Bryce Lampman. Womöglich wird das Trio in der Ligaqualifikation nicht mehr mittun können. Lampman trifft es besonders hart, bei einem Stockschlag wird ihm mehr als ein Zentimeter des rechten kleinen Fingers abgetrennt. Ob es zur vollständigen Heilung kommen wird, ist ungewiss. Moggi wiederum leidet nach einem wuchtigen, unfairen, aber ungeahndeten Check von Teemu Kesä an einer Hirnerschütterung. Kesä spielt am Samstag meist einen Käse zusammen – ein Schelm, wer behauptet, er sei nur aufgestellt worden, um den formstärksten Langnauer über den Haufen zu fahren. Den Emmentalern indes gelingt es nie, den besten «Laker» in den Griff zu bekommen. Robbie Earl erzielt sowohl am Samstag als auch gestern sein Tor. Hätte man ihn allenfalls auch mit unsauberen Mitteln aus dem Spiel nehmen sollen? «Das ist eine Charakterfrage», sagt Reinhard. «Wir haben uns dagegen entschieden.»

 

62 Spiele haben die Emmentaler in dieser Saison absolviert, deren 17 für sich entschieden. Die Siegquote von 27 Prozent ist miserabel, Anspruch und Wirklichkeit klafften bei den Langnauern seit dem Wiederaufstieg 1998 wohl nur einmal krasser auseinander. Das war 2011 in der Playoff-Saison, damals aber im positiven Sinn.

 

Die Teilnahme an der Ligaqualifikation ist das logische Verdikt. In der Serie gegen den Abstieg treffen die Tigers auf Lausanne. Es wird ein Kampf zwischen Raubtieren, ziert doch ein Löwe das Lausanner Vereinswappen. Trotz Zweitklassigkeit und Fussballkonkurrenz im Oberhaus ist die Stadt «eishockeyverrückt». 8500 Zuschauer schauten sich den B-Final gegen Olten an – nur Bern und die ZSC Lions locken hierzulande mehr Fans an. Die Waadtländer peilen den Aufstieg seit geraumer Zeit an, verfügen über entsprechende Strukturen und Mittel. Das Tor hütet mit Cristobal Huet ein ehemaliger NHL-Goalie, Thomas Déruns und Paul Savary haben schon an Weltmeisterschaften teilgenommen. Auch Sven Helfenstein, Philippe Seydoux, Joël Fröhlicher, Florian Conz und Alain Reist besitzen reichlich Erfahrung auf höchster Stufe. Wer viermal siegt, spielt nächste Saison in der NLA. Lausannes Trainer Gerd Zenhäusern beobachte die SCL Tigers zuletzt, sagte nur, er habe eine gewisse Unsicherheit festgestellt.

 

Gerd Zenhäusern weiss bereits, dass er nächste Saison nicht mehr als Trainer der Waadtländer arbeiten darf. Auf Langnauer Seite hat der Druck auf Alex Reinhard am gestrigen Nachmittag gewiss zugenommen. Es soll Leute im Verein geben, die einem Wechsel zumindest nicht abgeneigt wären. Sie sind allerdings (noch) in der klaren Minderheit. Reinhard wird übermorgen sicher an der Bande stehen, ein Plan B liegt nicht vor. Ausgeschlossen ist, dass Sportchef Köbi Kölliker die Verantwortung für die Equipe übernehmen wird, Assistent Konstantin Kuraschew dürfte Reinhard gegenüber loyal sein.