Berner Zeitung, Philipp Rindlisbacher

Kampf um Aufstieg – und gegen Vorurteile

Thomas Nüssli liess sich vor drei Jahren zum vierten Mal am Rücken operieren, hatte mit dem Eishockey weitgehend abgeschlossen. Nun gilt der Appenzeller als Langnauer Hoffnungsträger.

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Thomas Nüssli war der Verzweiflung nahe. Die Rückenschmerzen waren enorm und so stark geworden, dass er sich kaum mehr bücken, kaum schlafen konnte. Er nahm Medikamente ein, sehr viele sogar, als Folge dessen fielen ihm die Haare aus. Weil er sich für einen Vertrag empfehlen wollte, spielte er trotzdem weiter, verständlicherweise mehr schlecht als recht. Im Frühling 2011 stand er am Scheideweg, dachte ans Aufhören.

 

Nach langem Zögern liess er sich operieren, zum vierten Mal. Acht Monate lang fiel er aus, schloss sich danach dem HC Thurgau an, einem NLB-Verein ohne grosse Ambitionen, mit höchstens halbprofessionellen Strukturen. Nüsslis Ziel war, noch ein wenig Eishockey spielen zu können. Hätte ihm jemand gesagt, er würde dreieinhalb Jahre später in Langnau tätig sein, «dann hätte ich diese Person für verrückt erklärt».

 

Das unvorteilhafte Image

Nun also ist Thomas Nüssli bei den SCL Tigers engagiert, beim NLB-Favoriten gilt er als Hoffnungsträger in der Offensive. Er ist ein gleichermassen angenehmer und interessanter Gesprächspartner, erzählt und lacht viel. «Ich bin glücklich, es geht mir gut.» Der Rücken ist keine Baustelle mehr, nach Jahren des Leidens hat er endlich geeignete alternative Behandlungsformen gefunden.

 

Der Stürmer macht Pilates-Übungen; er besucht den Neuraltherapeuten, muss sich alle zwei Monate einer Spritzenkur unterziehen. In Diensten Thurgaus buchte er letzte Saison im Schnitt einen Skorerpunkt pro Spiel, hatte wesentlichen Anteil an der überraschenden Playoff-Teilnahme. Bei den Ostschweizern aber sah er keine Perspektiven, «ich hatte die Schnauze voll vom Verlieren und wollte weg».

 

Bereits 2012 und 2013 weilte Nüssli ein paar Wochen lang im Emmental, wurde jeweils als Leihspieler verpflichtet. Er war Teil der Equipe, welche in Lausanne abstieg, «deshalb habe ich hier etwas gutzumachen». Mehrere Spieler setzten sich im Verlauf der vergangenen Qualifikation für seine Verpflichtung ein, der Transfer aber zog sich in die Länge. Womöglich war Nüsslis Charakterbild Grund dafür. Wer in der Schweizer Mediendatenbank nach Berichten über den Hünen (194 cm, 95 kg) sucht, findet Titel wie «Die launische Diva» oder «Der Problemspieler». 

 

Zuweilen heisst es, er habe zu wenig aus seinem Talent herausgeholt. Darauf angesprochen, schüttelt Nüssli den Kopf. Ein paar wenige Journalisten hätten ihm dieses Image verpasst, «kaum einer von ihnen hat mich aber je einmal im Training, geschweige denn mein Verhalten in der Garderobe gesehen». Er sei «abgestempelt. Gewisse Aussagen waren rufschädigend.»

 

Der Draft von Vancouver

Thomas Nüssli ist kein Mitläufer. «Ich sage meine Meinung, damit kann man anecken.» Doch sowohl in Zug und Rapperswil-Jona als auch in Basel, Biel und bei Thurgau sei er ein Teamplayer gewesen. 465 NLA-Spiele hat er absolviert, 117 Treffer erzielt. Mit der Junioren-Nationalmannschaft nahm er an drei Weltmeisterschaften teil, 2002 wurde er gar von der NHL-Organisation der Vancouver Canucks gedraftet, machte 3 Länderspiele. Darauf habe er sich nichts eingebildet, sagt Nüssli, der mit seiner Karriere zufrieden ist. «Mein Körper hat halt nicht mitgespielt. Das muss man akzeptieren.»

 

In der Equipe von Coach Bengt-Ake Gustafsson hat sich der Familienvater gut integriert und in der Vorbereitung seine Qualitäten angedeutet. «Wir wollen B-Meister werden», meint Nüssli, und fügt an: «Langnau gehört in die NLA.» So speziell es klingen mag, aber der Linksschütze hofft auf eine Baisse während der morgen beginnenden Qualifikation. «Eine Niederlagenserie könnte uns helfen. Wir müssen im Hinblick auf die Playoffs oder gar die Aufstiegsspiele lernen, uns aus einem Loch zu befreien.»

 

Die Fehler korrigieren

32-jährig ist Thomas Nüssli mittlerweile; er kann sich auch vorstellen, dereinst als Trainer zu arbeiten. «Ich verstehe nun mal von nichts anderem mehr als vom Eishockey.»  Erste Kurse hat er absolviert, in Herisau den Nachwuchs betreut. Auch in Langnau wird er bei den Young Tigers reinschnuppern. Ihm habe früher niemand erklärt, wie man richtig trainiere. «Das lernte ich erst, als der Rücken bereits streikte. Zuvor hatte mein Konditionstraining primär aus Fussballspielen und Ausdauerläufen bestanden.» Seine Erfahrungen will er der Jugend weitergeben, gemachte Fehler korrigieren.