So schnell wird vergessen, was war

Blog • • von Bruno Wüthrich

 

In Langnau darf man jetzt nicht die Ruhe und die Geduld verlieren

 

So vergänglich ist der Ruhm. Zwei peinliche Niederlagen in Folge, und alles ist vergessen. Die wundersame Rettung der SCL Tigers im Jahre 2009: Vergessen! Die völlig überraschende, noch wundersamere erstmalige Qualifikation für die NLA-Playoffs im Jahr 2011: Vergessen! Die sensationelle, mutige, vollauf gelungene und schweizweit einmalige Sanierung der Ilfishalle: Vergessen! Gefordert werden bereits wieder Köpfe. Und dies im Emmental, bei den Emmentalern, die doch noch vor kurzem so bescheiden sein wollten.SEPARATOR

 

Zuerst eine kurze, frei erfundene Geschichte. Sie handelt von drei ebenfalls frei erfundenen Personen. Da ist Fritz. Fritz hatte in den letzten Wochen einen grauenhaften Liebeskummer. Seine Herzdame hat jetzt einen Andern. Die Umstände sind für unsere Geschichte unwichtig. Aber Fritz hat gelitten. Und wie der gelitten hat. Selbst bei der Arbeit holten ihn die Gedanken an seine renitente Allerliebste immer wieder ein. Häufig konnte er sich nicht konzentrieren. Da ist Franz. Franz feiert gerne. Wenn es was zu feiern gibt, ist Franz dabei. Und wenn Franz feiert, ist auch Alkohol dabei. Für Franz gilt: Wer feiern kann, kann auch arbeiten. Nie fehlt er deswegen am Arbeitsplatz. Dies bestätigen auch Arbeitskollegen. Ja, körperlich sei der Franz immer anwesend. Ob dies tatsächliche etwas bringt, davon sind sie jedoch nicht überzeugt. Da ist Florian. Florian geht im Sommer gerne mal an Open Air Festivals. Und da kann es vorkommen, dass er danach am Montag fehlt, obwohl er gar nicht frei genommen hat. Er meldet sich dann einfach krank. Für den Fall, dass er ein Zeugnis braucht, kennt er da einen Arzt. Und nun zu unserer kurzen Geschichte: Fritz, Franz und Florian bilden – was löblich ist – eine Fahrgemeinschaft zu den Spielen der SCL Tigers. Sie befinden sich auf dem Nachhauseweg nach dem Spiel ihrer Lieblingsmannschaft gegen Fribourg-Gottéron. Sie erlebten gerade die zweite peinliche Pleite in Serie, und sie sind verständlicherweise frustriert. Franz und Florian pflichten Fritz bei, als der sagt: «Wenn wir so arbeiten würden, wie die spielen, würden wir entlassen.» Und nach einigem Hin und Her kommen sie zum Schluss: «Der Trainer muss weg.» Und auch am Manager lassen sie kein gutes Haar mehr.

 

Zurück zur Realität, von der wir alle wissen, dass sie mit unserer erfundenen Geschichte nichts zu tun haben kann. Denn im Emmental kennen wir weder irgendwelche Auswirkungen von Liebeskummer, noch würden wir die Folgen einer Feier mit zur Arbeit nehmen. Und schon gar nicht würden wir blau machen. Und wenn all dies trotzdem der Fall wäre, so sähen wir die Relationen und die Zusammenhänge, und deshalb könnte es nie zu einem solchen Gespräch kommen, wie oben beschrieben.

 

Wir alle sind nur Menschen. Wir machen Fehler. Wenn wir Fan sind von einem Sportler, dann sind wir Fan von einem Menschen, der die besondere Fähigkeit hat, etwas Besonderes (zum Beispiel Eishockey zu spielen) ganz besonders gut zu können. Wir bewundern diese Sportler für ihre ganz besondere Fähigkeit, und übersehen dabei, dass es sich abgesehen davon um ganz normale Menschen handelt. Simon Lüthi fuhr in der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober ein Kandelaber um. Simu outete sich damit als ganz normaler Mensch, wegen dem trotz dessen besonderer Fähigkeit, Eishockey zu spielen, so ein Kandelaber nicht auszuweichen gewillt ist, wenn er darauf los brettert. Eishockeyspieler sind Menschen mit Gefühlen, Krankheiten und besonderen Umständen, deren Auswirkungen sie zuweilen an ihren Arbeitsplatz mitbringen. Ihre Befindlichkeiten haben Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des gesamten Teams.

 

Die SCL Tigers gelten innerhalb der NLA nicht als Team, das mit besonders viel Talent gesegnet ist. Mannschaften mit viel Talent können mehr negative Einflüsse von aussen wegstecken als die Langnauer, die ja zusätzlich von Verletzungspech geplagt sind und deshalb mit einem besonders schmalen Kader auskommen müssen. Es macht einen Unterschied, ob ein Team wie der SCB fünf Verletzte hat, oder ein Team wie die SCL Tigers. Auch die Berner spüren den Ausfall von wichtigen Spielern. Aber die Langnauer spüren dies besonders stark.

 

So sehr wir uns im Frühjahr 2011 über die erstmalige Playoff-Qualifikation der SCL Tigers nach zuvor 12 vergeblichen Anläufen freuten, so sollten wir nicht übersehen, dass diese unter besonderen Umständen zustande kam. Die Langnauer hatten in dieser Saison kaum Verletzte zu beklagen, Captain Pascal Pelletier spielte erfolgreich, oder umgangssprachlich ausgedrückt: «es lief ihm», und deshalb funktionierte sein Leadership. Er konnte die Mannschaft führen, die plötzlich «einen Lauf» hatte. Vor der Saison schrieben die Experten die Tiger auf den 12. Rang, befürchteten oder prophezeiten gar den Abstieg. Voraussagen sind immer schwierig. Denn sie beruhen darauf, wie es sein wird, wenn alles normal läuft. Bei zwölf Mannschaften ist es jedoch nicht möglich, dass eine ganze Saison lang alles normal läuft. Da gibt es überall überraschende Ereignisse und Wendungen, sowohl im Positiven wie auch im Negativen. Aber die Experten waren nicht dumm, als sie die Langnauer an den Schluss der Tabelle setzten. Die SCL Tigers würden auch vor dieser Saison wieder auf den 12. Rang geschrieben. Sie befinden sich aktuell genau dort, wo sie die Experten vermuteten. Aber das Team von John Fust hat drei Spiele weniger bestritten als die Konkurrenz. Und sie spielten 11 von 14 Spielen auswärts. Sie haben bedeutende Verletzte zu beklagen, und Pascal Pelletier, an dessen Fähigkeiten wir nicht zweifeln, läuft es aktuell gerade gar nicht. Das sollten wir nicht vergessen.

 

Die Spiele gegen Biel und gegen Fribourg waren Dabakel. Das schleckt keine Geiss weg. Und wer in 14 Spielen 6 Mal den Start verschläft, darf sich über Kritik nicht wundern. Derzeit stimmt vieles nicht. Es sind nicht nur die verschlafenen Starts. Die Pässe von hinten heraus kommen nicht, das Powerplay klappt nicht, die Verwertung der Torchancen ist miserabel, und betreibt der Gegner intensives Forechecking, so herrscht in der Tiger-Defensive, und insbesondere beim Scheibenführenden die pure Panik. Und vermutlich müssen, was viele befürchteten, aber was wir alle nicht wollten, die Playoffs bereits frühzeitig abgeschrieben werden. Die Tiger haben bisher einen Punkteschnitt pro Spiel von 0,79. Dieser Wert ist etwas mehr als die Hälfte dessen, was es braucht, um sich für die Playoffs zu qualifizieren. Das ist unterirdisch, und die Frage ist nicht, ob die Langnauer in der Krise sind oder nicht, sondern nur noch, in welchem Stadium der Krise sie sich befinden.

 

Aber Coach John Fust hat den SCL Tigers nicht nur die Playoffs gebracht, er meisterte in der letzten Saison auch die schwere Krise mit den 10 Niederlagen in Serie letztendlich erfolgreich. Krisen wird es in einem Teams mit dem Talent der SCL Tigers immer wieder geben, denn so viel Glück, wie dies die Langnauer in der Saison 2010/11 hatten, und so wenig Verletzungen wie damals hat man nur sehr selten. An der Position des Coachs zu sägen ist deshalb der völlig falsche Weg. In Langnau soll etwas aufgebaut werden. Da darf man sich nicht durch Krisen oder dem Lechzen nach kurzfristigem Erfolg davon abbringen lassen. Da ist viel mehr jeder gefordert. In Langnau gehören die Fans zum Team. In einem Team, in dem jeder gegen jeden schiesst, braucht man sich nicht zu wundern, wenn nichts mehr funktioniert, und man aus Krisen nicht mehr heraus findet. Vorerst schiessen bei den SCL Tigers nicht jeder gegen jeden. Vorerst handelt es sich nur um einzelne Schützen aus dem Umfeld, und auch sie tun dies lediglich aus Sorge und aus Ärger, und nicht weil sie schaden wollen. Die Organisation der SCL Tigers muss von oben bis unten an einem Strang ziehen, um aus dieser schwierigen Situation wieder heraus zu finden. Dies fällt umso leichter (wenn das Wort «leichter» in dieser Situation überhaupt verwendet werden darf), wenn auch die Fans mitziehen.

 

Aber sind wir nicht alle auch Kunden, die ein Recht auf eine bestimmte Leistung haben? Ja, das sind wir. Aber sollte in unserer frei erfundenen Geschichte zu Beginn dieses Blogs auch nur ein Funken Wahrheit stecken, so müssen wir uns sagen: «Auch die Unternehmen, für die wir arbeiten, haben Kunden. Und auch uns bezahlt jemand unseren Lohn. Selbst dann, wenn wir mal nicht ganz so funktionieren, wie wir sollten.»