Berner Zeitung, Philipp Rindlisbacher

Wie aus einem «Gus»

Anton Gustafsson ist Schwede, er ging aber in Langnau zur Schule und spielte im Emmental als Junior Eishockey. Nach einem völlig missglückten Abenteuer in Nordamerika ist «Gus»wieder bei den SCL Tigers engagiert.

Presse •

 

Die Türe geht auf – und Anton Gustafsson ist auf einmal 15 Jahre jünger. Er betritt das Schulhaus Oberfeld in Langnau, um die Jahrtausendwende besuchte er in diesem Gebäude die vierte Klasse. Der Profi der SCL Tigers schlendert zu einem Zimmer, in dem er unterrichtet wurde; er setzt sich auf einen viel zu kleinen Stuhl, Bart und Schnauz können sein Grinsen nicht verdecken. «Ich war ein guter und braver Schüler. Wäre ich nicht einen Kopf grösser gewesen als alle anderen, hätte mich niemand bemerkt.»

 

 

Anton Gustafsson wird in Schweden geboren. Die Lebensjahre 3 bis 9 verbringt er im österreichischen Feldkirch nahe der Schweizer Grenze, es folgen 2 Jahre im Emmental. Vater Bengt-Ake Gustafsson coacht damals die Langnauer, sein Bub spielt bei den Piccolos und den Moskitos, unter anderen mit Simon Moser.

 

Heute noch steht Gustafsson, der Jüngere, in Kontakt mit früheren Schulkollegen. «Damals sprach ich besser Berndeutsch als Schwedisch.» Zurück in Nordeuropa, macht er auf dem Eis riesige Fortschritte. Er gilt als grosses Talent, debütiert mit 17 in der höchsten Liga. Kurz darauf wird er im NHL-Draft in der ersten Runde gezogen – von Washington, dem langjährigen Verein seines Vaters.

 

An der US-Ostküste beginnt die Leidensgeschichte von Anton Gustafsson. In Washington trainiert er mit Superstar Alexander Owetschkin, spielen darf er für die Capitals aber nie. Im zweiten Vertragsjahr wird er in die drittklassige East Coast Hockey League abgeschoben. «In dieser Liga gibt es fast nur Schlägereien, das Niveau ist tief. Ich wollte nach Schweden zurück.»

 

Washingtons Verantwortliche reagieren erbost, verweigern die Freigabe. Der Spieler geht trotzdem, wird weltweit gesperrt. «Ich hielt drei Monate lang keinen Stock in den Händen, dachte ans Aufhören.» Im Internet sucht  er einen Job, befasst sich damit, auf dem Bau zu arbeiten. Doch auf einmal juckt es ihn wieder. Die Capitals lenken ein, ausgerechnet in Langnau erhält Gustafsson nach Weihnachten 2010 die Chance, sich zu beweisen.

 

NLB statt NHL – Anton Gustafsson wirkt nachdenklich, als er mit den Fakten konfrontiert wird. «Soll ich traurig sein?», fragt er und schweigt einige Sekunden lang. «Es hätte anders kommen können. Aber mit meinem Leben bin ich zufrieden.» Zu früh sei er nach Nordamerika geflogen, «Körper und Geist waren nicht bereit». Nach dem Abstecher in die zweite schwedische Liga kehrt er vor bald 2 Jahren ins Emmental zurück; in dreieinhalb Saisons in Langnauer Diensten hat er aber lediglich 84 Partien absolviert.

 

Sein Krankheitsbulletin umfasst Hirnerschütterungen, Schulter- und Rückenbeschwerden sowie drei Kreuzbandrisse. Im Knie befindet sich mittlerweile ein Band eines Spenders. «Es ist brutal, was ich erlebte. Phasenweise bin ich fast durchgedreht.» Die Rückenbeschwerden habe er selbst verschuldet, meint Gustafsson. «Als 14-Jähriger trainierte ich bereits mit Profis, stemmte 100-Kilo-Hanteln. Niemand sagte mir, dass ich das besser unterlassen würde.»

 

Vater und Sohn sind wieder vereint. Bengt-Ake Gustafsson coacht die Tigers seit Oktober 2013, Filius Anton spielt in seinen Plänen eine zentrale Rolle. Als dieser im Februar nach monatelanger Absenz ins Team zurückkehrt, wird er gleich als Mittelstürmer in der ersten Linie eingesetzt, was rund um den Verein nicht jeder goutiert. «Ist der Trainer dein Vater, musst du damit rechnen, dass gelästert wird», sagt Gustafsson, der keine Zeitungen liest. «Früher tat mir das nicht gut.»

 

Dass sich in Langnau viele die Frage stellen, wie gut Gustafsson Junior eigentlich ist, kann der frühere schwedische Nachwuchsnationalspieler, welcher das Ausländerkontingent als Lizenz-Schweizer nicht belastet, nachvollziehen. Er sei kein Skorer, verhalte sich auf dem Eis aber schlau. «Und ich bin kräftig, lasse mich so schnell nicht wegdrängen.» Doch «Gus», wie er genannt wird, kann auch Tore schiessen. Deren sieben hat er in vier Playoffspielen erzielt, die Serie gegen Thurgau fast im Alleingang entschieden.

 

Da und dort wird Anton Gustafssons Leistungsexplosion mit dem Fakt verbunden, dass sein Vertrag – wie jener des Vaters – Ende Saison ausläuft. «Nach Schweden zurück möchte ich nicht», erzählt der 25-Jährige vor der am Sonntag (18.15 Uhr, Ilfishalle) beginnenden Halbfinalserie gegen Olten oder Langenthal. Bald wird er zum zweiten Mal Vater, nach Tochter Luvis  gibt es wieder ein Mädchen. «Langnau ist meine zweite Heimat, der Familie gefällt es hier.» Wer weiss, womöglich wird er seine Kinder dereinst ins Schulhaus Oberfeld begleiten.