«Wir müssen als Mannschaft noch näher zusammenrücken als bisher»

Die ersten zwölf Wochen der neuen Eishockey-saison nehmen für die SCL Tigers einen ungewohnten Verlauf. John Fust ist bemüht, das Ganze möglichst einfach zu halten.

Presse • • von Wochen-Zeitung, Werner Haller

Nicht viel ist in diesen Tagen, was für die SCL Tigers in den vergangenen Jahren Gewohnheit war. Das Ilfisstadion wird umgebaut und ist erst am 20. Oktober für das erste Heimspiel gegen Servette-Genf bereit. Aus diesem Grund absolviert die Mannschaft ihr gesamtes Eistraining im Hinblick auf den Meisterschaftsstart am 12. September im Hallenstadion gegen Schweizer Meister ZSC Lions in der schmucken und zweckmässig eingerichteten Eishalle in Burgdorf. Dort ist das Team auch noch in den ersten fünf Meisterschaftswochen beheimatet, und von dort aus reist es zu den ersten zehn Spielen, die alle auswärts ausgetragen werden müssen. Headcoach John Fust will die zeitlich befristete «Züglete» von Langnau nach Burgdorf nicht überbewerten: «Keep it simple», sagt er, was auf Deutsch soviel bedeutet wie: Halte das Ganze möglichst einfach. Mach es nicht komplizierter als es ist. «Hand aufs Herz, was gibt es denn für Unterschiede im Vergleich zu andern Jahren?», fragt er. «Die Distanz zwischen Langnau und Burgdorf beträgt etwa zwanzig Kilometer und die Fahrzeit etwas mehr als eine halbe Stunde. Was ist das schon? Wir haben in Burgdorf alles, was wir fürs Eishockeyspielen benötigen. Das ist doch wirklich das Einzige, was zählt, oder?»



Vieles ist eine Sache des Kopfes
John Fust hat einst in Princeton studiert. Die Uni im Bundesstaat New Jersey gilt als Olymp aller amerikanischer Universitäten. Durchschnittlich nur einer von zehn Bewerbern wird aufgenommen. Der Headcoach der SCL Tigers gehörte zu den Privilegierten und schloss seine Ausbildung mit Diplomen in den Fächern Psychologie, Geschichte und Politik ab. Seine psychologischen Kenntnisse wird er jetzt im Zusammenhang mit der speziellen Situation seiner Mannschaft mehr denn je gebrauchen können. «Unsere Vorbereitung in Burgdorf, die Serie von zehn Auswärtsspielen zum Meisterschaftsauftakt, der verletzungsbedingte Ausfall von Simon Moser, der fehlende vierte Ausländer und anderes mehr», zählt John Fust auf, «das sind alles Dinge, auf die wir reagieren müssen. Darüber müssen wir gar nicht diskutieren. Es sind aber auch alles Dinge, für die wir positive Antworten finden können.» Die wichtigste Voraussetzung dazu sei die richtige Einstellung, und die beginne bekanntlich im Kopf. Es bringe gar nichts, beispielsweise darüber zu jammern, «dass wir unser erstes Heimspiel erst am 20. Oktober bestreiten können. Wir müssen uns vielmehr darauf konzentrieren, das Bestmögliche aus den ersten zehn Auswärtsspielen herauszuholen.» Scheinbare Nachteile in Vorteile verwandeln, dies, betont John Fust, sei ausschlaggebend dafür, wie die Ausgangslage der SCL Tigers vor dem ersten Heimspiel im umgebauten eigenen Stadion aussehe. Er hofft, dass die Tabellensituation möglichst gut ist, «denn dann können wir unsere Emotionen vor eigenem Anhang so richtig ausleben und es unseren Gegnern ganz besonders schwer machen.»



Egos haben keinen Platz
Die SCL Tigers waren in den vergangenen Jahren stets am erfolgreichsten, wenn sie als echte, geschlossene Mannschaft auftraten, nie aufgaben und unermüdlich und leidenschaftlich kämpften. «Als Mannschaft», sagt John Fust, «sind wir in der bevorstehenden Meisterschaft gefordert wie noch nie. Nur wenn wir zusammen hart und konzentriert arbeiten und ohne Egos alles der Mannschaft unterordnen, können wir Erfolg haben. Das ist der Weg, den wir um jeden Preis gehen müssen und den ich auch fordere.» Der Mannschaftsgedanke und der Teamgeist stehen auch im Vordergrund, wenn man den fehlenden dritten ausländischen Stürmer und den verletzungsbedingten Ausfall von Simon Moser anspricht. Das sind immerhin zwei von vier möglichen Topstürmern, ohne die die Langnauer für unbestimmte Zeit auskommen müssen. «Einen Schweizer Leader wie Simon Moser», spricht John Fust Klartext, «kann man nicht ersetzen. Das wissen wir alle, aber das können wir nicht ändern. Das gleiche gilt auch für den fehlenden dritten ausländischen Stürmer. Wie bereits gesagt: Wir müssen als Mannschaft einfach noch näher zusammenrücken als bisher.»



16 von 23 Verträgen laufen aus
Das Fehlen von gleich zwei Schlüsselfiguren in der Offensive ist zweifellos ein Handicap. Aber andererseits sind jetzt auch zwei Plätze frei, die im Idealfall besetzt wären. Und dies wiederum ist eine echte Chance für Spieler, die in der Vergangenheit nur für beschränkte Zeit aufs Eis geschickt wurden. Sie erhalten nun die nicht alltägliche Möglichkeit, sich zu zeigen und sich für einen festen Platz in der Startaufstellung aufzudrängen. Wer sich in der jetzigen Situation noch versteckt und sich als «Passagier» vom Team gemütlich mitziehen lässt, der hat immer noch nicht begriffen, was es bedeutet, Berufssportler zu sein. Zudem müsste vor der bevorstehenden Meisterschaft auch genügend Eigeninteresse vorhanden sein. Nicht weniger als 16 der 23 Spielerverträge laufen am Ende der Saison aus. John Fust hat Vertrauen in seine Spieler: «Die sind alle klug genug, um diese riesige Chance zu erkennen und sie mit einem weiteren Schritt in ihrer Entwicklung auch zu nutzen.»



Die Vorbereitung der SCL Tigers
Gestern Mittwoch in Kitzbühel: SCL Tigers - Karaganda (Kas). Fr, 10.8., 20.00, Leukerbad: SCL Tigers - Cherepowets (KHL). Sa, 11.8., 16.00, Leukerbad: SCL Tigers - Jaroslawl (KHL). Do, 16.8., 18.00, Le Sentier: SCL Tigers - Novokuznetsk (KHL). Fr, 17.8., 18.00, Le Sentier: SCL Tigers - Dynamo Minsk (KHL). Sa, 18.8., 14.00 oder 17.00, Le Sentier: Final 3./4. oder 1./2. Platz. Do, 23.8., 18.30, Meyrin: SCL Tigers - Servette-Genf. Sa, 25.8., 17.00, Burgdorf: SCL Tigers - Wolfsburg (DEL). Di, 4.9., 18.00, Burgdorf: SCL Tigers - Köln (DEL). Mi, 12.9., Meisterschaftsstart gegen die ZSC Lions (a).




Spiele gegen Russen sollen ein Weckruf sein
Karaganda, eine Spitzenmannschaft aus Kasachstan, Cherepowets, Jaroslawl, Novokuznetsk und Dynamo Minsk aus Russland, dem Land des amtierenden Weltmeisters. Das sind innerhalb von elf Tagen die ersten Testspielgegner der SCL Tigers. Diese Planung hat ihren Hintergrund: Headcoach John Fust will, dass seine Spieler gleich von Beginn weg von erstklassigen, technisch und läuferisch starken und intensiv spielenden Teams voll gefordert werden. «Das Ganze soll wie ein Weckruf wirken, wie wenn ein Wecker am frühen Morgen unüberhörbar rasselt», sagt er. «Wir haben keine Zeit, allmählich auf Touren zu kommen. Wir müssen in der Meisterschaft mit unserer Serie von zehn Auswärtsspielen von der ersten Minute an hellwach sein. Wir dürfen keine Angst vor der Herausforderung haben, erst am 20. Oktober unser erstes Heimspiel bestreiten zu dürfen.»
Gegner wie die jetzigen aus der Weltklasseliga Russlands werden die Schwachpunkte der Langnauer schonungslos aufdecken. «Das sollen sie auch», sagt John Fust. «Nur aus gemachten Fehlern kann man lernen und die nötigen Korrekturen vornehmen. Ein 8:1-Sieg in einem Testspiel gegen einen mittelmässigen Gegner bringt uns keinen Schritt weiter. Im Gegenteil.»