Frei erfunden, und beinahe unmöglich:

Beim Psychiater

Wie wir alle wissen, sind die Emmentaler ein selbstbewusstes, stolzes Völklein. Sie fürchten sich vor nichts und niemandem, ähnlich wie die Bewohner des kleinen gallischen Dorfes, welches sich seinerzeit mit Asterix und Obelix gegen die Römer wehrte. Die Gallier fürchteten nur eines: Dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Er ist ihnen nie auf den Kopf gefallen.

Blog • • von Bruno Wüthrich

Auch der Emmentaler hat eine einzige Furcht: Nämlich diejenige vor den Playouts. Und diese sind ihm schon passiert. Mehrmals bereits. Einige Emmentaler haben unter diesem Umstand derart zu leiden, dass sie fremde Hilfe in Anspruch nehmen. «Bruno’s Blog» gelang es, unter der Couch des Psychiaters Dr. Hubertus von Ballmoos eine Wanze anzubringen, und so das Therapiegespräch mit dem Emmentaler Melchior Bühler aufzuzeichnen. Lest nachfolgend das Protokoll des Gespräches

-Wo drückt der Schuh?

-Ich habe Angst!

-Werden Sie konkreter.

-Ich habe Angst vor Zahlen.

-Angst vor Zahlen? (runzelt die Stirn)

-Ja.

-Vor mehreren Zahlen?

-Also – konkret habe ich Angst vor einer Zahl. Aber sie ist wechselnd. Aufsteigend.

-Wie ist dies zu verstehen?

-Vor zwei Jahren hatte ich Angst vor der Zahl neun. Letztes Jahr war’s die Zehn. Und aktuell ist’s die Elf.

-Erzählen Sie mir mehr.

-Was soll ich da gross mehr erzählen? Ich habe schlaflose Nächte.

-So schlimm? (mitleidiger Blick)

-Ja! Sehr schlimm. Mittlerweile liege ich fast jede Nacht wach.

-Und es ist die Zahl Elf, die Sie wach hält?

-Ja.

-Und letztes Jahr war’s die Zehn?

-Ja, und zuvor die Neun.

-Womit hängen diese Zahlen zusammen?

-Mit Langnau. Mit dem Emmental. Mit den SCL Tigers. Ganz wie sie wollen.

-Nichts da mit «Wie sie wollen». Mit was genau?

-Mit den SCL Tigers.

-Wer ist das?

-Dies ist ein emmentalisches Eishockey-Unternehmen aus Langnau.

-Und was hat es damit auf sich?

-Die waren noch nie in den Playoffs.

-Die waren noch nie in was ??? (verständnisloser Blick)

-In den Playoffs. Das ist eine Ausmarchung unter den besten Acht, für welche sich ein Team qualifizieren muss.

-Unter den besten Acht?

-Ja.

-Aber sie haben Angst vor der Elf. Wie ist das zu verstehen?

-Es könnte sein, dass die Tiger zum elften Mal nicht bei den besten Acht sind.

-Aber vor der Acht haben sie keine Angst.

-Hatte ich auch schon. Aber dies ist schon eine Weile her. Damals hatte ich Angst, dass die Tiger zum achten Mal nicht unter die besten Acht kommen.

-Ach so. Und weiter?

-Nun habe ich Angst vor dem elften Mal.

-Nach zehn Mal haben sie Angst vor dem elften?

-Ja, das ist der Fluch, mit dem ich lebe.

-Der Fluch?

-Ja, er lässt mich nicht los. Er kommt Jahr für Jahr wieder. Mit einer neuen Zahl.

-Was bedeuten denn diese Playoffs?

-Wir wären unter den besten Acht.

-Wer sind «wir»?

-Die SCL Tigers und ich. - Wir eben.

-Und weiter?

-Na ja, was soll ich sagen? Wir sind sozusagen eine Symbiose, die SCL Tigers und ich. Immer, wenn es Richtung Playoffs geht, kriegen wir Angst. Vor allem ich. Aber die Tiger auch.

-Was geschieht, wenn sie die Playoffs nicht erreichen?

-Dann spielen wir Playouts.

-Wo liegt der Unterschied?

-Playouts sind eine Ausmarchung unter den letzten Vier.

-Unter den letzten Vier ???

-Ja. Zwölf Mannschaften versuchen, unter die besten Acht zu kommen. Diejenigen, die es nicht schaffen, machen den letzten Platz unter sich aus. Dabei kommt immer der Verlierer weiter. Man kann absteigen.

-Absteigen?

-Ja, absteigen in eine tiefere Liga. Dann sind wir niemand mehr.

-Die SCL Tigers und sie?

-Ja, und ich.

-Das muss spannend sein. Spannender als die Ausmarchung der ersten Acht.

-Es ist viel zu spannend. Unmenschlich spannend. Wenn wir in den Playouts sind, schlafe ich keine Minute mehr.

-Wann schlafen sie überhaupt mal? (Stirnrunzeln)

-Oooch – den Sommer über geht’s ganz gut. Und zu Beginn der Eishockey-Saison, so bis Ende November, geht’s auch mit dem Schlaf. Aber danach…

-Steigt die Spannung zu stark?

-Wir Emmentaler halten dies nicht aus.

-Wir Emmentaler?

-Ja, wir Emmentaler. Wissen sie, alle Emmentaler sind Fans der SCL Tigers.

-Ich bin auch Emmentaler.

-Sehen sie…

-Was sehen sie? Ich bin kein Tiger-Fan!

-Sie sind ein Abtrünniger?

-Wieso Abtrünniger? Ich kenne die nicht einmal.

-Sie kennen die SCL Tigers nicht? (!!!) In welcher Welt leben sie denn? (Empörter Blick)

-In der Welt der Psychiatrie. In der Welt, in der ihnen geholfen wird. (mit fachärztlicher Milde in der Stimme)

-Mir helfen nur die Playoffs. Sie können mich mal mit ihrer Psychiatrie. (aufmüpfig)

-Was ist, wenn die Playoffs erneut…

-Dann fühle ich mich wie ein Niemand. (hängende Schultern, gesenkter Kopf)

-Ich dachte, nur der Abstieg…

-Bei einem Abstieg sind wir definitiv «Niemand». Wenn wir die Playoffs nicht schaffen, ist der «Niemand» provisorisch. Bis zum nächsten Jahr.

-Nun ja – dann ist das Ende abzusehen.

-Es ist eben nicht abzusehen. Wenigstens für mich nicht. Deshalb bin ich ja hier. (wieder etwas aufgerichtet)

-Was bedeutet es für sie, ein «Niemand» zu sein?

-Ein Niemand wird nicht wahrgenommen. Nicht einmal für den Emmentaler-Käse ist das Emmental gut genug. Der Emmentaler wirbt mit dem SCB. (mit einem Blick der Resignation)

-Wer ist der SCB?

-Sie kennen den SCB nicht? Na gut, das ist verzeihlich. Muss man nicht kennen. Ein unbedeutender Rivale der Tiger. (verächtliche Geste machend)

-Unbedeutend?

-Ja, völlig vernachlässigbar. Qualifiziert sich zwar regelmässig für die Playoffs, wird aber ansonsten kaum wahrgenommen. (desinteressierter Blick)

-Also auch ein Niemand.

-Kann man so sagen. (verächtliche Handbewegung)

-Also spielt es keine Rolle, ob Playoff oder Playout?

-Natürlich spielt das eine Rolle! Na ja, für uns Emmentaler spielt es eine. Für den Berner nicht. (aufmüpfig)

-Wieso für den Berner nicht?

-Na ja – der Berner ist und bleibt ein Niemand. Egal ob Playoff oder Playout.

-Für heute ist die Stunde vorüber. Wir sehen uns die nächste Woche um die gleiche Zeit.