20.09.2012 - Die Spezialisten für spezielle Tore

Die Spezialisten für spezielle Tore

von Werner Haller - In den ersten zwei Meisterschaftsrunden haben die SCL Tigers die restlichen elf Mannschaften zumindest in einer Hinsicht klar übertroffen: Als Spezialisten für ganz spezielle Tore.

Presse • • von Wochen-Zeitung, Werner Haller

Zwei Punkte und 4:5 Tore. Das die Bilanz der Langnauer nach den beiden ersten von insgesamt zehn Auswärtsspielen in Serie. Das Spezielle am 3:2-Sieg nach Penaltyschiessen in Lugano und der 1:3-Niederlage gegen Meister ZSC Lions – nicht weniger als acht der neun Tore wurden in speziellen Spielsituationen erzielt und nur ein einziger Treffer fiel bei Vollbestand beider Mannschaften.


• Fünf gegen fünf Spieler: Bisher kein einziges SCL Tigers-Tor; ein Gegentor (das 0:2 in Zürich).
• Powerplay (Überzahl; fünf gegen vier Spieler): Zwei SCL Tigers-Tore (je eines in Zürich und Lugano); zwei Gegentore (Shorthander; beide in Zürich).
• Boxplay (Unterzahl; vier gegen fünf Spieler): Kein SCL Tigers-Tor; zwei Gegentore (beide in Lugano).
• Penaltys während der regulären Spielzeit: Ein SCL Tigers-Tor in Lugano durch Leblanc; kein Gegentor, Lugano-Stürmer Reuille verschoss beim Stande von 1:1.
• Penaltyschiessen: Ein entscheidendes Tor für die SCL Tigers durch Kurtis McLean zum 3:2-Sieg in Lugano. Das Spezielle am Siegestreffer des Kanadiers: Das Tor wird zwar für das Resultat (3:2) und für die Mannschaft in der Rangliste (4 Tore) gewertet, aber McLean erhält es gemäss Reglement nicht gutgeschrieben (siehe Skorerliste).


Anfällig auf Gegentore im Powerplay
Kurtis McLean schmunzelt, wenn man ihn auf die speziellen Tore und Gegentore anspricht. Der Kanadier ist einer der besten Analytiker im Team und hat deswegen auch eine klare Meinung zum Torverhältnis von 4:5. «Es könnte und müsste besser sein. Ohne die beiden Gegentore in Überzahl, die wir in Zürich zuliessen, wäre unser Torverhältnis schon positiv. Und wer kann schon sagen, wie das Spiel gegen den Meister ohne die beiden Shorthander verlaufen wäre? Eines steht für mich jedenfalls fest: Unsere Chancen auf einen Punktgewinn in Zürich wären gestiegen, vor allem wenn auch unsere Chancenauswertung bei fünf gegen fünf Spieler besser gewesen wäre.» Das offensive, besonders aber das defensive Verhalten der Mannschaft im Powerplay war einer der Trainingsschwerpunkte in dieser Woche. Grund: Auch in Lugano gingen die SCL Tigers beim Stande von 1:1 in Überzahl haarscharf an zwei weiteren Shorthandern und einem möglicherweise entscheidenden Rückstand vorbei. In der 30. Minute, als Lugano-Verteidiger Ulmer auf der Strafbank sass, verloren die Emmentaler im Powerplay die Scheibe, Steilpass auf Reuille, der nur mit einem Foul am Torschuss gehindert werden konnte. Reuille verschoss den Penalty, aber nur kurz danach kam auch Rüfenacht – immer noch in Unterzahl – zu einer erstklassigen Chance, traf zum Glück für die Langnauer jedoch nur die Torumrandung.


Eine Frage des Kopfes
Die Frage ist: Weshalb kann sich ein vermeintlicher Vorteil (Powerplay) in einen Nachteil (Shorthander-Gegentore) verwandeln? Die Ursache, meint Kurtis McLean, liege nicht nur im technischen oder taktischen Bereich, sondern sei auch eine Frage des Kopfes und komme nicht nur im Eishockey vor: «Wenn beispielsweise ein Tennisspieler 40:0 führt, dann ist er – ob er nun will oder nicht – eine Spur entspannter und dadurch auch fehleranfälliger. Gleichzeitig aber ist sein im Rückstand liegender Gegner eine Spur konzentrierter und bestrebt, einen weiteren Fehler zu vermeiden. Das ist vergleichbar mit der Powerplaysituation im Eishockey. Vieles spielt sich zwar auf dem Eis ab, aber eben auch einiges im Kopf jedes Einzelnen.»


Ohne Extrafinanzen auch kein Extraspieler
Die Meisterschaft der National Hockey League beginnt nicht wie geplant Mitte Oktober. Milliardäre (Klubbesitzer) und Millionäre (Spieler und ihre Gewerkschaft) konnten sich nicht auf einen neuen Arbeitsvertrag einigen. Die Klubbesitzer fordern im Vergleich zum ausgelaufenen Vertrag einen höheren Anteil an den NHL-Gesamteinnahmen, die letzte Saison eine neue Rekordhöhe von 3,3 Milliarden Dollar erreichten. Ob die beiden Parteien innert nützlicher Frist doch noch eine Lösung ihres Luxusproblemes finden und zu einem späteren Zeitpunkt in der weltbesten Liga doch noch gespielt wird, ist derzeit völlig ungewiss.


Sportlich Sinn machen
Wie schon vor neun Jahren, als die ganze NHL-Meisterschaft ausfiel, leisten sich auch jetzt wieder Schweizer Klubs mit einem zusätzlichen finanziellen Grossaufwand einen oder gar mehrere Stars. Der neuste Lockout, der sich seit einiger Zeit abgezeichnet hat, ist auch bei den SCL Tigers ein Thema. Die Rahmenbedingungen sind klar definiert: Kein Extraspieler ohne Extrafinanzen von aussen. «Die Fremdfinanzierung ist nur der eine Punkt», sagt Geschäftsführer Ruedi Zesiger. «Der zweite Punkt ist, dass die Verpflichtung eines NHL-Spielers für uns auch noch sportlich einen Sinn machen muss. Er muss so gut sein, dass er unsere Mannschaft mit seinen Qualitäten einen Schritt weiter in die richtige Richtung bringt. Alles andere kommt überhaupt nicht in Frage.» Die Führung der SCL Tigers ist zweifellos gut beraten, sich die ganze Angelegenheit reiflich zu überlegen. Das in der Lockoutsaison 2004/05 erlebte Desaster sollte Warnung genug sein. Corey Hirsch, Jamie Heward, Jeff Shantz und Ryan Savoia hiessen damals zu Saisonbeginn die vier Ausländer. Später kamen Martin Gerber, Tim Connolly, Fernando Pisani, Rob DiMaio, Richard Park, Niko Dimitrakos, Stéphane Roy und die EU-Ausländer Jukka Tiilikainen, Stefan Ketola und Harijs Witolinsch hinzu. Gerber, der nach 20 Spielen nach Schweden zu Färjestads wechselte, und Connolly, der von seinem NHL-Klub wegen einer Knieverletzung nach Buffalo beordert wurde und nie mehr nach Langnau zurückkehrte, waren die beiden einzigen Lockoutspieler, die ihr Geld wert waren.


Teuerstes Kader versagte kläglich
Gesamthaft gesehen aber versagte das teuerste Kader der Vereinsgeschichte mit dem grössten Potenzial seit dem Meisterteam von 1976 auf dem Eis kläglich. Die Langnauer erzielten mit 96 am wenigsten Tore aller NLA-Teams, kassierten mit 154 am zweitmeisten Gegentreffer, beendeten die Qualifikation auf dem elften Platz und schafften wenigstens den Ligaerhalt in der ersten Playoutrunde mit einem Sieg gegen Fribourg.


Ernüchterndes Fazit: Die vermeintlichen Verstärkungen aus der NHL hatten die Langnauer in der Hierarchie der NL A keine einzige Position nach oben gebracht. Ausser Spesen nichts gewesen.