Ein alter Star zwischen Mitleid und Verehrung

Der alte Mann und das Spiel auf dem Eis: Stanley-Cup-Sieger Paul DiPietro (42) sah bei seinem 1. Liga-Debüt mit Seewen praktisch keinen Puck.

Presse • • von 20 Minuten-online, Klaus Zaugg

Der letzte Mittwoch zeigt treffend unsere reiche Hockeykultur. Am Mittag stellt der SC Bern seinen NHL-Star John Tavares vor. Am Abend haben auch die 622 Zuschauer in Seewen ihren «Lockout-Star»: Paul DiPietro debütierte mit dem EHC Seewen im ersten Heimspiel des 1. Liga-Aufsteigers gegen «Pikes EHC Oberthurgau». Erstmals erweist ein Stanley-Cup-Sieger der 1. Liga die Ehre. Der letzte noch aktive Spieler eines kanadischen Stanley Cup-Siegerteams (Montréal 1993). Ein grosser, ein historischer Abend für den grössten Sportverein des Kantons Schwyz.

 

Paul DiPietro ist am 8. September 42 Jahre alt geworden. Aber ans Aufhören denkt er nicht. Es ist, als wolle er einfach immer weiterspielen und so seine Jugend auf ewig konservieren. Sollen wir ihn als «ewigen Spieler» verehren, bewundern oder eher bemitleiden? Zumindest ist er eine lebende Legende.

 

Zu hohe Lohnforderungen verhindern Vertrag

Paul DiPietro befindet sich sozusagen in seinem persönlichen «Lockout»: Wegen zu hoher Gehaltsforderungen hat er nach wie vor keinen neuen Vertrag in der Nationalliga. Der durch Heirat eingebürgerte Kanadier hält sich mit Zugs Elitejunioren mit zwei Trainings pro Woche fit. Eine Einladung von Doug Shedden, mit dem EVZ zu trainieren, hat er abgelehnt. «Ich war so lange beim EVZ. Aber jetzt gehöre ich nicht mehr zum Team.»

 

Aber er braucht intensives Training und Spiele, um in Form zu bleiben. Um seine Karriere zu retten. Training kann den Ernstkampf nicht ersetzen – und so stürmte er am Mittwochabend für Seewen. Mehr oder weniger gratis. Es ist sein erstes Spiel seit dem 8. März. Damals hatte er mit den SCL Tigers in Ambri 4:1 gewonnen, das 2:0 beigesteuert und mit diesem Sieg Langnaus Ligaerhalt in den Playouts vorzeitig gesichert.

 

Spiel braust an DiPietro vorbei

Der Olympiaheld von 2006, der beim 2:0 der Schweizer gegen die Kanadier beide Tore erzielt hatte, nun also in der höchsten Amateurliga. Nach nur zwei Trainings mit dem Team.

 

Mit seinem Debüt kann er nicht zufrieden sein. Er sieht praktisch keinen Puck. Das Spiel braust an ihm vorbei. Er wirkt ein bisschen verloren draussen auf dem Eis. Denn in der 1. Liga wird schnell und leidenschaftlich und wild und taktisch oft unorthodox gespielt. Die Passqualität ist bei weitem nicht so hoch wie in der Nationalliga. Anders als in der Nationalliga gibt es kein verlässliches Spielsystem, am dem sich ein schlauer alter Fuchs wie Paul DiPietro orientieren kann.

 

Seewen verliert eine intensive, schnelle und zuletzt dramatische Partie unglücklich 2:4. Der Held der Partie ist Torhüter Fabian Balmer, der sein Team bis in die Schlussphase im Spiel hält. Paul DiPietro spielt nur eine Nebenrolle. Erst stürmt er am Flügel neben Adrian Oggier und Michael Nideröst. Doch gleich beim ersten Einsatz verletzt sich Oggier: Nach 20 Sekunden wird er durch «friendly fire» (durch einen Schuss seines Teamkollegen Schättin) an der Hand getroffen und fortan durch Andreas Trinkler ersetzt.



«In der NLA ist es leichter»

Paul DiPietro, der «ewige Spieler», ist hinterher sichtlich glücklich, dass er wieder spielen durfte und er schätzt seine Leistung durchaus realistisch ein: «Es war nicht einfach. Es war seltsam, so wie halt das erste Spiel nach einer langen Pause immer ist. Eigentlich ist es in der NLA leichter. Weil das Passspiel besser und das Spiel berechenbarer ist.»

 

Die 1. Liga ist eben nichts für alte Männer. Wer nicht schnelle Beine hat, an dem zieht das Spiel vorbei. So ist es Paul DiPietro ergangen. Weil er den Puck nicht erlaufen konnte und weil der Puck einfach nicht zu ihm kommen wollte. In der 1. Liga ist es nicht möglich, sich im Fuchsbau des Systems einzurichten, hinter dem Spiel herzuschleichen, hie und da einen Pass «abzubeissen» oder auf ein Zuspiel zu warten und dann ein Kunststück aufzuführen.

 

Eine Zweiminutenstrafe wegen Stockschlag, ein paar gewonnene Bullies, zwei Checks und eine 0:1-Bilanz (weil er beim vierten Gegentreffer ins leere Gehäuse auf dem Eis steht) – das ist der bescheidene Leistungsausweis für den einstigen Stanley-Cup Helden, der im Finale von 1993 den grossen Wayne Gretzky an die Kette gelegt hatte. In seiner persönlichen Statistik steht fortan neben 223 NHL-Partien, 657 NLA-, 73 NLB- und 68 Länderspielen auch ein Spiel der 1. Liga, Ostgruppe.

 

Ein Spiel war abgemacht mit Seewen. Doch Präsident Pierre Lichtenhahn möchte «Pauli» gerne für weitere Partien verpflichten. Schliesslich ist auch das wunderschöne Leibchen mit der Nummer 55, dem Namen Paul DiPietro, dem Logo und den Sponsoren des EHC Seewen bedruckt und sollte weiterhin Verwendung finden. Aber übers ordentliche Budget (rund 550 000 Franken) ginge die Weiterverpflichtung wohl nicht. Es müsste – wie bei den NHL-Stars in der NLA – eine Finanzierung neben dem Budget geben.

 

Weiteres Vorgehen unklar

«Ich weiss wirklich nicht, ob es mein letztes Spiel für Seewen war und wie es weitergeht», sagt ein sichtlich ratloser Paul DiPietro gegenüber 20 Minuten Online. «Ich hoffe einfach, dass ich bald wieder spielen kann.» Mit seiner coolen grauen Schirmmütze sieht er ein wenig aus wie ein alter Gewerkschaftsfunktionär. Er schultert seine Hockeytasche mit dem Logo der SCL Tigers (sein letzter Arbeitgeber) und geht in die Nacht hinaus.